Stimmungsvolle Oral-History über zwei Diktaturen bis in die Transformationszeit in Siebenbürgen

Zu: Werner Schmitz, Sara Dootz „Mit der Sonne steh’ ich auf. Eine Bäuerin aus Siebenbürgen erzählt aus ihrem Leben“, mit vielen Abbildungen. Landwirtschaftsverlag Münster, 160 Seiten. 2010, ISBN 978-3-7843-5081-3

Der im Landwirtschaftsverlag GmbH, Münster-Hiltrup 2010 erschienene Band

Sara Dootz mit ihrer Familie (rechts) schenkte Prinz Charles ein selbst gewebtes Handtuch, 1998.
Foto privat

Der von Werner Schmitz lektorierte Bericht der siebenbürgisch-sächsischen Bäuerin aus Deutsch-Weißkirch/Viscri über ihr Leben ist Oral-History in einem so lebendig-anschaulichen Maß, dass man mit dieser einfachen lebenserfahrenen Bäuerin aus der Vielvölkergegend Siebenbürgen – hier leben Rumänen, Ungarn, Deutsche und Zigeuner (dort nicht abwertend gebraucht, sondern eine Eigenbezeichnung für die rumänisch oder ungarisch sprechenden Zigeuner. Roma nennt sich nur eine ganz kleine Minderheit derjenigen, die untereinander Romanes reden, das die anderen gar nicht beherrschen) – im Verlaufe des Berichtes immer vertrauter wird (Siehe auch KR Nr. 29/22. Juli 2010).

Auf eine wirklich einmalig anrührend-naive und durch Mutterwitz und Ironie gewürzte Erzählweise gelingt es Sara Dootz ein siebenbürgisch-sächsisches Dorfschicksal lebendig vor den Augen des Lesers entstehen zu lassen.
Dieses Jahr wird Sara Dootz 74 Jahre alt, so musste sie zwei Diktaturen über sich ergehen lassen. Die erste dauerte „nur“ 6 Jahre. Von 1938-1944, als Rumänien die Front im Zweiten Weltkrieg wechselte. Danach, bis 1989, bis zu Ceau{escus Sturz und Hinrichtung musste sie dann die zweite Diktatur ihres Lebens durchstehen, was ihr trotz aller Schwierigkeiten, ohne sich zu verbeugen, doch noch gelang.

Ihr Vater war im Krieg in der rumänischen Armee auf der Krim bei Sewastopol gefallen. Ihre Mutter, nun Witwe mit vier kleinen Kindern allein geblieben, gab sie im Alter von 5 Jahren in die Obhut ihrer Schwägerin.
Die war geschieden und hatte ihren einzigen Sohn verloren, als er in der rumänischen Armee vor Odessa fiel, so- dass sie als Alleinstehende ohne Rente sich allein von einem kleinen Stück Land – als Mutter eines Sohnes, der Angehöriger der rumänischen Armee war, fiel sie nicht unter die deutsche Kollektivschuld – ernähren musste. Ihre kleine Nichte war ihr dabei eine Hilfe, auf die sie im Sommer nicht verzichten konnte.

Dadurch konnte Sara Dootz einen Kurs für Schneiderinnen, für die es nur einen Platz im Sommer für sie gab, nicht besuchen.
Nach sechs Klassen deutscher Schule musste sie aufhören, da es im Internat nur einen kostenfreien Platz für ein Kind aus einer Familie gab. Den erhielt ihr Bruder.

Sara Dootz bildete sich weiter durch Lektüre und zog als Hausfrau drei Kinder groß, die es dann alle zu etwas bringen sollten.
Ihr Lieblingskind war ihr Sohn Karl, der Ingenieur in einer Kleinstadt aus der Nähe wurde.

Eine Tochter heiratete nach Deutschland, kam aber nach Trennung von ihrem Mann wieder nach Deutsch-Weißkirch, wo sie eine Anstellung fand und einen neuen Lebenspartner. Diesmal auch einen Siebenbürger Sachsen, aber noch in Deutschland im Dienst und vorerst längere Zeit nur in den Ferien, hauptsächlich im Sommer bei ihr. Ein sogenannter Sommersachse. Die ausgewanderten Siebenbürger, die ihre Sommerferien regelmäßig in der alten Heimat verbringen – wie bei uns die türkischen Mitbürger –, werden in Siebenbürgen scherzeshalber neuerdings Sommersachsen genannt.

Ihre zweite Tochter Caroline, verheiratete Fernolend, arbeitete viele Jahre als Lehrerin, bevor sie dann, bisher viermal, zur Gemeinderätin von Bodendorf/Buneşti als Vertreterin von Deutsch-Weißkirch/Viscri gewählt wurde und bei der von Prinz Charles von England unterstützten Stiftung Eminescu-Trust, Managerin wurde.

Mit ihren Kindern hatte Sara Dootz Glück, mit ihren Männern etwas weniger, obwohl sie sich mit beiden gut verstand. Sie verlor sie aber beide durch Krankheit, den ersten durch Selbstmord aus Depression, weil er von ihr berufsmäßig getrennt zeitweilig in der nahen Kreisstadt leben musste und die Einsamkeit nicht verkraftete. Den zweiten verlor sie im Alter von 62 Jahren durch Lungenkrebs.

Mit ihm hatte sie aber sechs sehr glückliche Rentenjahre verbringen können, da die großzügigen Rumänen ihm vorzeitig mit 56 Jahren Rente gewährten. Normalerweise gab es die Rente für Männer erst ab 60, man rechnete ihm aber die Samstage und Sonntage, die er als Tierpfleger auch arbeiten musste, zusätzlich an, sodass er vier Jahre sparen konnte.

Sie genossen einen aktiven Ruhestand in Haus, Hof und Garten und im geselligen Leben des Dorfes, das hier auch sehr anschaulich geschildert wird mit seinen evangelischen Nachbarschaften, seinem Fasching, seinen Kränzchen und seinen traditionellen Kirchgängen, die in Festtracht und in altersmäßiger Hierarchie begangen wurden.

Den Massenexodus nach Deutschland macht sie und ihre engere Familie nicht mit. Sie versucht mit den nicht sehr zahlreich Zurückgebliebenen nach dem Umbruch in der Transformationszeit eine Alternative zu dem Bisherigen zu finden.

Es gelingt durch das Weiterführen ihrer Bauernwirtschaft wie bisher und dann vor allem auch in Deutsch-Weißkirch dadurch, dass die siebenbürgisch-sächsische Kirchenburg aus dem Jahr 1225 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wird. Dies bringt viel Ruhm ein, aber kein Geld, sodass man nun durch den Tourismus die Instandhaltungskosten erwirtschaften muss.

Zum unvorhergesehenen Glücksfall erweist sich Prinz Charles‘ von England Begeisterung für Transsylvanien und seine mittelalterlichen Städte und Burgen, vor allem auch für die uralten Wehrkirchenburgen der Siebenbürger-Sachsen, denen er durch den Eminescu Trust in Deutsch-Weißkirch besonders tatkräftig hilft. Prinz Charles kaufte sich selbst ein altes sächsisches Haus in Deutsch-Weißkirch.

Als Burgführerin kann heute Sara Dootz ihre Sprachbegabung anwenden. Sie spricht die drei Sprachen Siebenbürgens, Rumänisch, Ungarisch, Deutsch, außerdem etwas Russisch aus ihrer Schulzeit, etwas Französisch und durch die siebenbürgisch-sächsische Mundart auch Luxemburgisch, Letzelburgisch, das dieser sehr ähnlich ist, da die Vorfahren der Siebenbürger-Sachsen aus derselben Gegend Rhein-Maas-Mosel kamen.

Ihre Führungen sind so beliebt, dass Prinz Charles ein persönliches Dankesschreiben – am Ende des Buches, auch im Original nachzulesen – für sie verfasst hat.

Auch Peter Maffay, der bundesdeutsche Rockstar aus Kronstadt/Bra{ov in Siebenbürgen, macht ihr seine Aufwartung und ist sehr angetan von ihr und ihrem ganzen Umfeld.

Nicht bloß ein, sondern zumindest zwei, wenn nicht noch mehrere Lichtblicke für die Leser dieses Buches. Allen wärmstens zu empfehlen, die unkonventionelle Herzlichkeit erfahren möchten.