Stopp Weltzirkus, Start Horizontvertiefung

Fotokünstler Marc Schroeder richtet Objektiv und Sinne auf Realitätsdeutung aus

Im Berufsleben war Ada Teutsch (1927-2015) Schauspielerin. Dieses Foto hingegen zeigt wahre Schattenseiten schwarzweißer Rückblende. Foto: Marc Schroeder

Marc Schroeder ist zu Recht stolz darauf, das kollektive Erinnerungsbewusstsein der Zeitzeugen-Generation ehemals nach Russland deportierter Minderheitsangehöriger fotografisch dokumentiert zu haben. Foto: der Verfasser

„Ja, natürlich, aber so funktioniert die Welt nun mal eben nicht!“ - schon oft musste ich´s mir sagen lassen. Welche Strategien stehen zur Auswahl? Verhasstes Weichwerden, um eine höhere Dosis Unbekümmertheit ins Umfeld einspeisen zu können, oder weiterhin stures Festhalten an Visionen, die man für genügend vertikal erachtet? Häufig provoziert letztere Überzeugung die Folgeerscheinung Alleinsein. Die jedoch lohnt, vorausgesetzt, dass man weder für die Macht von Anarchie noch missbräuchlichen Pyramiden-Denkens eintritt und Menschen kennt, mit denen es sich Abende und halbe Nächte lang über Gott und die Welt reden lässt, ohne dass polarisierende Gesprächsstoffe je versiegen. Wer den Dingen auf den trüben Grund geht, sucht Gesprächspartner mit geistigem Stehvermögen. Kluge Köpfe, die nicht resigniert das Handtuch werfen, Kritik an der eigenen Filterblase ernst nehmen und vorgefertigte Meinungen hinterfragen.

Marc Schroeder ist einer von ihnen. Da ich von der Ausstellung „Immer war diese Hoffnung. Ehemalige Russlanddeportierte erinnern sich“ des ausgebildeten Bankkaufmanns und freischaffenden Fotografen in der Sakristei der evangelischen Stadtpfarrkirche Hermannstadt/Sibiu erfahre und vorab Informationen einhole, gibt mir mein Nörgler-Instinkt den Ratschlag: Diesen Künstler solltest du um ein Gespräch bitten! Marc Schroeder ist gleich zu Beginn des Termins mit dem Du einverstanden. Als wir die Gaststätte „Weinkeller“ an der Sagstiege verlassen und eineinhalb Stunden lang über Krieg, Deportation, Minderheit, Ideologie, Rumänien, Johannis, Juncker und Europa fachgesimpelt haben, kommt er auf Hannelore Baier zu sprechen. „Wer kennt sie nicht, hier in Hermannstadt?!“ Auch über die sommers „schön warme“ ADZ-Lokalredaktion in der aufgeheizten Mansarde der Hauptimmobilie des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) am Großen Ring/Piața Mare, Ecke Sporergasse/General Magheru, weiß er Bescheid.

Herausforderung Kehrtwende

Neun Jahre sind seit seiner ersten Rumänien-Reise ins Land und in die Welt gegangen. 2008 quittierte er eine Etappe, die ihn ab 1998 als Arbeitnehmer eines US-amerikanischen Finanzdienstleistungsanbieters anfangs in London und später in New York festhielt. „Ich war einer von 165.000 Angestellten und hatte auch geschäftliche Verantwortung. Dennoch gab es immer einen Menschen über mir, der Rechenschaft einforderte. Am Ende des Tages musste ich ihm sagen können, dass die Millionen stimmen.“ Obwohl festgezurrte Strukturen ihm nicht ausgesprochen schwer fielen, war nach zehn Jahren Trott die Zeit reif zum Aussteigen. Marc Schroeder gönnte sich sechs Monate Langzeitpause und machte sein altes Hobby zum Wahlberuf. Fotograf sein ist von Natur aus eine Sache für Einzelgänger. Wer ist denn schon gerne im Rudel mit anderen Fotografen unterwegs?

Abgeklärt statt wie aus der Pistole geschossen kommt die Antwort auf die Frage, ob es eine glückliche Entscheidung war, die Bankenkarriere gegen ein Leben als freischaffender Künstler einzutauschen: „Es ist auf jeden Fall das Richtige gewesen. Allerdings muss man stets zusehen, sich Aufträge ins Boot zu holen, sonst kann einem die Freiheit Angst machen. Ich spreche aus Erfahrung, weil ich genau dies auch erlebt habe.“ Anfangs war er von aller Unabhängigkeit begeistert, doch kehrte der Ordnungswunsch bald zurück. „Ist man auf sich alleine gestellt, muss man Struktur in Eigenregie gewährleisten. Das kann sich belastend anfühlen. Weil ich aber am liebsten alles selber machen möchte, kostet mich bei Bedarf das Delegieren einzelner Schritte an Dritte meist Überwindung.“

Fotograf Marc Schroeder nimmt sich gemütlich Zeit für Dokumentationsvorhaben. Herzstück seiner Fachausrüstung auf zahlreichen Fahrten zu Wohnadressen hochbetagter Zeitzeugen der Russland-Deportation war eine Spiegelreflex-Profikamera Canon5D, die von Temeswar bis Suceava zum Einsatz gelangte und dem ausgewiesenen Könner Schwarzweißporträts in Top-Qualität ermöglichte. Er beherrscht sein Metier aus dem Effeff und ist nicht der Meinung, dass nur Hochglanzfotografie zählt. „Manchmal mache ich ganz einfach Fotos mit dem Smartphone statt der Profikamera. Bildaussagen sind wichtiger als technische Raffinessen“ - der in Lissabon und Berlin lebende Luxemburger schätzt den feinen Unterschied zwischen kommerzieller Bildwerbung und echter Fotokunst. Weil er zudem leidenschaftlich gerne Bahn fährt, hat er selbst in den Bummelzügen der rumänischen Eisenbahngesellschaft CFR seinen Ruheinstinkt nicht eingebüßt und trotz schmuddeligen Abteilfenstern sprechende Landschaftsaufnahmen geschossen.

Deportation damals und heute

Tränen der Interview-Partner unterstrichen die Erzählungen von Qualen russischer Zwangsarbeitslager der Jahre 1945 bis1949. Auch seine eigenen Augenhöhlen waren nicht davor gefeit. Für ihn, der die Ausstellung nicht als Pauschalreportage interpretiert haben will, gab es keine Stoppuhr. 2012 knüpfte Marc Schroeder Kontakt zu Ada Teutsch in Kronstadt/Brașov. „Ja, gerne, schauen Sie einfach mal vorbei, sagte sie. Und dann haben wir enorm viel geraucht und einige Flaschen Wein geleert. Danach stand für mich das Thema Deportation fest.“ Ein Fotobuch in englischer und deutscher Sprache mit dem schicksalshaften Januar-1945-Beschluss Stalins im Titel („Order 7161“) soll noch vor Ende 2019 aufliegen. Bestimmt weckt die auf www.marcpschroeder.com verfügbare Vorschau des Buchentwurfes von Designer Rob van Hoesel das Interesse Neugieriger.

„Selbstverständlich würde die Ausstellung (die noch bis einschließlich Freitag, den 7. Juni, in der Sakristei der evangelischen Stadtpfarrkirche am Huetplatz/Piața Huet in Hermannstadt besichtigt werden kann – Anm. d. Red.) ein anderes Bild ergeben, hätte ein anderer Fotograf Porträts derselben Zeitzeugen gemacht. Ich hoffe, die Ausstellung vermittelt auch mein persönliches Profil und nicht allein Gedanken der alten Menschen.“

Trotz erschütternder Bio-graphien besteht Marc Schroeder auf kritischer Reflexion: „Die Erinnerungskultur ist sehr stark von der Opferrolle bestimmt. ‘Ja, der Rumäne, der hat seinen Neid und Hass auf uns ausgelebt!´ - nur ein Zeitzeuge hat die Nuancierung zwischen ausführenden Offizieren Rumäniens und Befehlsgeber Stalin nachvollzogen. Wenigen war es nach dem Ersten Weltkrieg gebuttert, dass plötzlich Bukarest die Richtung vorgibt. Da hinein tönte die Nachricht, dass in Deutschland einer aufkommt, der sagte, ‘Ihr Deutschen in Rumänien, jetzt habt Ihr die Möglichkeit, wieder groß zu werden, macht bei uns mit!´. An die ideologische Mitverantwortlichkeit zur Zwischenkriegszeit möchte kaum jemand erinnert werden. Klar, damals sind unschuldige Zivilisten deportiert worden, aber die Anbindung an den Nationalsozialismus hatte zu dem Zeitpunkt offensichtlich bestanden“, so der welterfahrene Finanzexperte und Fotograf, der zurecht behauptet, dass „einfach immer irgendwo auf der Welt Krieg und Deportation herrschen, das ist die Realität!“
Er setzt nach, als ich nachhake: „Weißt du was, Klaus? Wenn ich in einem siebenbürgisch-sächsischen Dorf aufgewachsen wäre und es neunzehn andere gegeben hätte, die alle begeistert zur Waffen-SS strömen und ich Außenseiter Bedenken gehabt hätte – du, ich wäre garantiert nicht der Zwanzigste gewesen, der ein kritisches Nein dagegenhält und nicht mitmacht...“

Dunkle Farbtöne Europas

Was hält Marc Schroeder von Rumänien? „2010 waren große Fortschritte erreicht worden. Aber die Regierenden von heute, die sich Gesetze nach Belieben zurechtbiegen, das ist ein großer Schritt zurück, so kann das nicht gutgehen!“ Ihm zufolge ist auch die internationale Szene krank. Wolle man ganz hinauf, müsse man so werden wie andere, die schon oben sind, und einmal oben angelangt, bliebe nur noch die Feststellung, sich erfolgreich genau dort hingearbeitet zu haben, wo man als junger Spund nicht sein wollte. „Die Politik ist immer noch ein Saftladen.“

Neugierig verfolgt er Nachrichten zum Thema Korruptionsbekämpfung und Klaus Johannis. Marc erzähle ich von der Episode Victor Ponta und dem Fakt, dass Ioan-Aurel Pop, Rektor der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca und Vorsitzender der Rumänischen Akademie in Doppelamt und -Würden, sich 2012 öffentlich schützend vor das Plagiat des promovierten Ex-Premierministers gestellt hatte. Dezember 2014 suchte Victor Ponta persönlich um die Aberkennung seines Doktortitels an, aber das moralische Vergehen des Akademikers und Ethik-Vorstandmitglieds Ioan-Aurel Pop, der Herbst 2016 vom Staatspräsidenten als unabhängiges Mitglied der 25-köpfigen Präsidial-Kommission betreffend das Langzeitentwicklungsprojekt Rumäniens aufgestellt wurde, dieser Schnitzer hinterlässt auch Spuren auf der Integritäts-Statue Johannis und tanzt aus einer kompromisslos vertikalen Geradlinigkeit, die einfache wie informierte Bürger vom einstigen Bürgermeister Hermannstadts erwarten.

Marc Schroeder artikuliert einen Vergleich: „Das ist auch nicht anders als in der Griechenland-Schuldenfrage und der Verhandlungspolitik des scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der sich in der Kommunikation mit Alexis Tsipras und dessen Finanzbeauftragten verzettelt hat.“

Als Forschender auf der Suche nach Erlebnisberichten voll Differenzierung verstaut er keine Resignation in seinem Reisegepäck. Marc Schroeder ist einer der Freunde desjenigen Rumäniens, das irgendwann einmal tatsächlich wieder ins rechte Lot gerückt werden könnte. Ein Rumänien, das sich von Generation zu Generation aus eigener Kraft aufrichten und seine geistige Standkraft trotz nicht funktionierender Welten behaupten muss.