Tabuthema „Fehlgeburt“

Frauen und Männer verarbeiten den Schmerz unterschiedlich

Den emotionalen Schmerz einer Fehlgeburt verarbeiten Männer und Frauen unterschiedlich. Paare sollten einen gemeinsamen Weg finden und in solch schwierigen Zeiten viel kommunizieren, empfehlen Psychotherapeuten. Foto: freestocks.org/Pixabay

Für Bogdana P. (Name geändert) war es das größte Glück, als sie erfuhr, dass sie endlich schwanger war. Die gute Nachricht erzählte ihr Lebensgefährte sofort all seinen Freunden weiter, das Glück der beiden war groß und alles schien in bester Ordnung zu sein. Sie nahm ihre Folsäure und die vom Frauenarzt verschriebenen Vitamine ein, ging regelmäßig zur Untersuchung, die Schwangerschaft schien bestens zu laufen. Sie war in der zwölften Schwangerschaftswoche, als eine besondere Untersuchung bevorstand – die junge Familie sollte das Geschlecht des Babys erfahren. Zusammen mit ihrem Lebenspartner ging Bogdana P. zum Gynäkologen, ihr Herz pochte vor Aufregung, als sie sich auf den Ultraschall-Tisch legte. Und dann der Schock: Der Arzt, der den Ultraschall durchführte, hatte plötzlich eine ernste Miene und die 33-Jährige merkte sofort, dass etwas mit dem Baby nicht stimmte.

„Es tut mir leid, aber die Schwangerschaft scheint sich nicht mehr weiterentwickelt zu haben“, sagte dann der Arzt. Für Bogdana und ihren Lebenspartner, die sich auf ihr erstes Kind so sehr gefreut hatten, brach plötzlich die ganze Welt zusammen. Die furchtbare Nachricht traf die beiden wie ein Schlag, denn nichts hatte darauf hingedeutet, dass eine Fehlgeburt eintreten würde. Bogdana hatte keine Schmerzen und auch keine Blutungen gehabt. Das Babyherz hatte wohl schon eineinhalb Wochen früher aufgehört zu schlagen, bestätigte der Arzt. Es folgten Tränen, eine Kürettage, viele Ängste und die große Frage: „Was habe ich denn falsch gemacht?“ Eine Frage, auf die sich Bogdana zahlreiche Antworten hätte geben können, die aber alle überhaupt keinen Sinn machten. Ein genetischer Fehler soll es in dieser Situation gewesen sein – und doch machte sich die junge Frau jede Menge Vorwürfe und fühlte sich vorerst hilflos.

Die Fehlgeburt – darüber spricht man heutzutage eher wenig, obzwar sie häufiger vorkommt, als man es glauben würde. Zehn bis 15 Prozent der Schwangerschaften enden mit einer Fehlgeburt, rund 80 Prozent davon in den ersten zwölf Wochen. Frauen vermeiden es, darüber zu sprechen, denn meist stoßen sie auf kein Verständnis seitens der Angehörigen. Den sehr persönlichen Schmerz können selbst Menschen, die einem sehr nahe stehen, oft nicht so richtig nachvollziehen.

Das Auftreten von Fehlgeburten hängt von verschiedenen Faktoren ab. Bei Frauen unter 30 tritt die Fehlgeburt bei einer von zehn Schwangerschaften im ersten Schwangerschaftstrimester auf. In der Altersgruppe 35-39 sind es zwei von zehn Schwangerschaften, die in den ersten zwölf Wochen mit einem Abort enden, wobei bei Frauen über 45 fast jede zweite Schwangerschaft im ersten Trimenon abrupt endet, informiert die Frauenärztin Dr. Alina Corpade aus Temeswar/Timișoara. Dreiviertel aller Abgänge ereignen sich im ersten Trimester – der häufigste Grund seien genetische oder chromosomale Defekte, erklärt die Ärztin. Ein weiterer entscheidender Grund wäre die Entwicklung der Plazenta. Chronische Erkrankungen der Mutter, wie etwa Stoffwechselstörungen, Diabetes, Schilddrüsenfehlfunktionen, autoimmune Erkrankungen u.Ä. würden ebenfalls dazu beitragen. „Und, nicht zu vergessen, die Thrombophilie, die in Rumänien sehr schnell und sehr gern diagnostiziert bzw. behandelt wird. Was eigentlich, so die internationalen Protokolle, falsch ist. Eine schwangere Frau müsste auf Thrombophilie getestet werden, wenn sie über 35 Jahre alt ist und drei oder mehrere Fehlgeburten hinter sich hat“, erklärt Dr. Corpade. „Wenn zu mir aber eine über 30-jährige Patienten mit einer Fehlgeburt kommt, werde ich nicht abwarten, bis sie 35 ist und weitere Fehlgeburten erleidet, um die Thrombophilie-Tests machen zu lassen, denn bei uns werden diese Analysen sowieso nicht von der Krankenkasse getragen“, sagt sie. Interessant sei, dass nach diesen Tests bei vielen Frauen meist mindestens eine Mutation der Thrombophilie-Gene zum Vorschein kommt. Es folgen der Gang zum Hämatologen und die Verschreibung von Clexane-Spritzen, die die Frau während der gesamten Schwangerschaft anwenden muss. „Bei uns wird diese Erkrankung zurzeit hyperbehandelt, in anderen Ländern ist das nicht der Fall“, sagt Alina Corpade.

Im zweiten Schwangerschaftstrimester können verschiedene Infektionen zum Abort führen. Die Einnahme gewisser Medikamente, Fehlbildungen des Uterus oder die Verkürzung des Gebärmutterhalses sind ebenfalls Faktoren, die eine Fehlgeburt begünstigen. „Der emotionale Zustand der Mutter, leichte Sportübungen, an die Schwangerschaft angepasste Arbeiten, Geschlechtsverkehr, das Fliegen mit dem Flugzeug bis zum siebten Schwangerschaftsmonat, scharfes Essen – all diese Sachen tragen nicht zu einer Fehlgeburt bei“, betont Alina Corpade.

Die Frauenärztin in Temeswar nimmt sich immer mindestens eine halbe Stunde Zeit für ihre Patientinnen. Sie erklärt viel und gern, steht den Frauen, die sie behandelt, Rede und Antwort. „Nach einer Fehlgeburt ermutige ich sie, optimistisch zu bleiben und es wieder zu versuchen, denn wir sollten ja keine Zeit verlieren“, sagt die Fachärztin. Für sie selbst sei es sehr schwer, die Nachricht einer Fehlgeburt zu übermitteln, umso mehr, wenn es sich um das erste Kind einer Frau handelt. „Man muss die Information sehr klar und ohne zu zögern übermitteln. Ich gebe zu: Es verdirbt auch mir den Tag, wenn ich eine solche Nachricht überbringen muss“, gesteht die Frauenärztin. „Ich habe auch Patientinnen erlebt, die nach einer solchen Fehlgeburt in eine Depression versunken sind. Wir versuchen, diesen Frauen soweit wie möglich mit viel Empathie entgegenzukommen und sie zu beraten, aber ich glaube, dass in einigen Fällen die professionelle Hilfe eines Psychologen angeraten ist“, sagt die Frauenärztin. In den staatlichen Krankenhäusern in Rumänien steht den betroffenen Frauen kein Psychologe zur Seite.

Für viele Frauen, die eine Fehlgeburt erlebt haben, ist das Thema wie eine Wunde, die – sobald wieder aufgerissen – sogar Jahre später noch bluten kann. Doch gerade das Schweigen und Verinnerlichen von Gefühlen ist es, was den psychischen Heilprozess erschwert, wissen Psychologen. Monica Kovats ist Psychotherapeutin in Temeswar. In ihrer Tätigkeit möchte sie sich insbesondere auf Frauen und ihre Probleme konzenrieren. Eines dieser Probleme, die Frauen belasten, ist auch die Fehlgeburt. „Es ist ein einschneidendes Lebensereignis, das nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer erheblich psychisch beeinträchtigt, obwohl sie das unterschiedlich verarbeiten. Frauen haben gemischte Gefühle – Schuldgefühle, Ängste, Verzweiflung – es ist wie eine Achterbahn der Gefühle. Die Männer übernehmen oftmals die Rolle des starken Partners und zeigen ihre traurige Seite nicht. Es ist aber sehr wichtig, dass die betroffenen Paare einen gemeinsamen Weg finden, um diesen Trauerprozess zu verarbeiten“, erklärt Monica Kovats. Selbsthilfegruppen könnten in diesem Fall helfen, ein Abschiedsritual zu gestalten wäre ebenfalls sinnvoll – auf diese Weise ermutigt die Psychotherapeutin die Eltern, sich diesem Schmerz zu stellen, denn auf Langzeit ist das eine bessere Verarbeitung des Traumas, als wenn man sich vor dem Schmerz versteckt.

Es sei wichtig, dass die Familie dem Paar etwas Zeit gibt, um ihren Verlust zu verarbeiten. Sprüche wie „Ihr seid ja noch jung, ihr könnt gleich wieder ein Kind bekommen“ sollten die Angehörigen lieber lassen, denn sie verschlechtern nur die Situation, sagt die Psychotherapeutin. Wenn Frauen sich besonders betroffen fühlen, dann sei eine Trauma-Therapie mit Sicherheit sinnvoll, empfiehlt Monica Kovats.

Fehlgeburten kommen relativ häufig vor und stellen doch weitgehend ein Tabuthema dar. Für Frauen wie Bogdana P., die bei der ersten Schwangerschaft einen Abort erlitten haben, ist der Schmerz umso größer und schwerer zu verarbeiten. Manchmal kann es sogar Jahre dauern, bis die Frau wieder zu einer Schwangerschaft bereit ist. Doch die Zeit heilt viele Wunden, gerade, wenn man seinen emotionalen Schmerz nicht beiseite geschoben, sondern diesen verarbeitet hat. Heute ist Bogdana P. stolze Mutter eines zwei Wochen alten Sohnes.