Tiertransporte in der Corona-Krise

Ein besorgter Appell von Tierschutzorganisationen an die EU-Kommission

Innerhalb von Europa sind die Grenzen für den Personenverkehr infolge der Corona-Pandemie weitgehend dicht. Das hat u. a. zur Folge, dass sich lange Staus an den Grenzübergängen bilden. LKW-Fahrer warten häufig tagelang, bis sie von einem Land ins andere kommen, obwohl der freie Warenverkehr eigentlich und grundsätzlich (und möglichst reibungslos) gewährleistet sein soll. Genau diese Staus an den Grenzübergängen haben nun Tierschutzorganisationen aus ganz Europa auf den Plan gerufen: Denn unter den vielen Tausend LKWs befinden sich häufig auch Lebendtier-Transporte. Die nicht unbegründete Befürchtung der Tierschutzorganisationen: Schweine, Kälber, Rinder, aber auch Küken stehen bei den langen Wartezeiten an den Grenzen häufig vor dem Verdursten oder Verhungern, erleiden unermessliche Qualen. In einem gemeinsamen Appell an die EU-Kommission fordern die Tierschützer nun, dem ein Ende zu setzen.

„Das waren äußerst kritische Situationen an der deutsch-polnischen Grenze: Da gab es Staus zwischen 40 und 65 Kilometern. Genau das Gleiche konnten wir an der rumänisch-ungarischen Grenze beobachten, ebenso an den bulgarisch-rumänischen und an den türkisch-bulgarischen Grenzübergängen. Und das hat zu sehr großem, aber völlig unnötigem Leid bei jenen Tieren geführt, die sich da in den Transportern befanden.“ So Gabriel Păun, Umweltaktivist (Leiter von „Agent Green”) aus Rumänien und Sprecher der Organisation „Animals International“, eine von 38  Tierschutzvereinigungen, die in einer Petition an die EU-Kommission auf die Problematik von Lebend-Tiertransporten in Zeiten der Corona-Krise aufmerksam machen. Denn zahlreiche untereinander auswechselbare Situationen beobachteten die Tierschützer auch an vielen anderen innereuropäischen Grenzen. Die Zustände bei Lebend-Tiertransporten waren offenbar zu Beginn der Wiederaufnahme der Grenzkontrollen (diesmal: aus Schutzgründen vor der Corona-Pandemie) derart haarsträubend, dass nationale Regierungen um Notmaßnahmen einfach nicht mehr herumkamen.

„In Bulgarien hat der zuständige Minister Transporte durch Bulgarien in die Türkei gestoppt, weil es Staus gab von über 1000 LKWs an der Grenze. Uns wird zwar im Moment gesagt, die Tiertransporte dürfen rein- und durchfahren, die hätten eine Vorzugsspur. Nur: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gerade im Niemandsland zwischen Bulgarien und der Türkei, also an der Grenze, die LKW doch wieder zusammenkommen. Und das kann zu stunden-, sogar zu tagelangen Wartezeiten für die Tiere führen an diesen Grenzen“, ergänzt Iris Baumgärtner, für das Thema „Tiertransporte“ bei der „Animal Welfare Foundation“ (AWF) zuständig.

An der deutsch-polnischen Grenze habe sich das Problem zwischendurch ein wenig entspannt: „Also Deutschland - Polen, meines Wissens funktioniert das jetzt, im Moment, weil die Tiertransporte jetzt einen kleinen Grenzübergang bei Guben benutzen, und das scheint zu funktionieren“,…anderswo in Europa könne aber von Entspannung der Situation bei Lebend-Tiertransporten überhaupt keine Rede sein.

„Ungarn hat ja seine Kontrollstellen geschlossen. Das sind die Versorgungsstellen, an denen die Tiere für 24 Stunden entladen und versorgt werden können. Und Ungarn ist ein wichtiges Transitland. Also man muss sich fragen, wie im Moment noch Tiertransporte nach Ungarn abgefertigt werden, wenn diese Versorgungspausen nicht eingehalten werden können?“, fragt sich Iris Baumgärtner.

Als einzig mögliche Folgerung aus solchen Beobachtungen fordern die 38 europäischen Tierschutzorganisationen in ihrem Papier an die EU-Kommission einen sofortigen Stopp jedwelcher Lebendtier-Transporte. Die nämlich seien keineswegs alternativlos, so Gabriel Păun von „Animals International“: “Die Tiere müssen dort geschlachtet werden, wo sie geboren, wo sie aufgewachsen, wo sie gezüchtet worden sind. Ortsnahe Schlachtung nennt man das – und dann: Das Fleisch transportieren, dorthin, wo es hin muss, wo man es braucht. An Fleischmangel braucht wegen der Einstellung von Lebendtier-Transporten niemand zu leiden. Es ist doch eigentlich ganz einfach, das Fleisch gekühlt oder gefroren in Kühltransporten über die Grenzen zu bringen. Wir können da überhaupt keine Qualitätsprobleme erkennen.“

Was, so die Argumentation der Tierschützer, das Leid der Tiere ganz erheblich verringern und ein Stückchen weit die Ordnung europäischer Regeln wieder herstellen könnte. Denn nach Ansicht der Tierschutzorganisationen missachtet die EU derzeit ihre eigenen Regeln für Lebendtier-Transporte. Artikel drei der EU-Verordnung zu Tiertransporten aus dem Jahre 2005 lege schließlich fest, dass das Leid von Tieren während Lebend-Transporten „so gering wie möglich gehalten” werden müsse.  Die EU-Kommission handle derzeit offensichtlich gegen ihre eigenen Gesetze, so die Klage von Gabriel Păun von „Animals International“.

Eine Stellungnahme der EU-Kommission, als Reaktion auf die Forderung, die Lebendtier-Transporte zu stoppen und stattdessen lokale Schlachtungen zu intensivieren, liege derzeit noch keiner der 38 Tierschutzorganisationern vor. Iris Baumgärtner von der „Animal Welfare Foundation“ hegt eine leise Vermutung, wa-rum bislang noch keine Antwort eingetroffen ist: „Die EU-Kommission setzt immer noch auf den Export von Lebendtieren. Also: Die Geschäfte müssen weitergehen. Die Versorgung der Bevölkerung ist oberstes Ziel. Und dazu gehören nach Meinung der Agrarminister eben die Langzeittransporte lebender Tiere.“

Immerhin haben die EU-Agrarminister kürzlich zumindest eines beschlossen – nämlich, „…dass jedes Land diese Vorzugs-Spuren für Lebend-Tiertransporte umgehend ausweisen muss an den Grenzen und dass die Tiertransporte bevorzugt zu behandeln sind.“