„Tote Zimmer“ sprechen laut im MARe-Museum

Ausstellung des Weltklassekünstlers Gregor Schneider

Gregor Schneider (Mitte) stellt sein Werk während der Debatte mit Erwin Kessler (r.) – Kunstkritiker und Direktor des MARe-Museums – vor, die von Joachim Umlauf (l.), Leiter des Goethe-Institutes, im Pavillon 32 moderiert wurde. Foto: die Verfasserin

Im MARe (Museum für Zeitgenössische Kunst in Bukarest, Primăverii-Boulevard 15) wurde am 13. Februar 2020 die Ausstellung „Gregor Schneider. Tote Zimmer/Dead Rooms“ eröffnet. Der Ausstellung ging die englischsprachige Debatte „Tote Zimmer sprechen laut/Dead Rooms Speak Loudly“ am 11. Februar im Pavillon 32 des Goethe-Instituts Bukarest unter Teilnahme des deutschen Botschafters Cord Meier-Klodt voraus. Der vor Publikum geführte Dialog zwischen Gregor Schneider und Erwin Kessler, dem Direktor des MARe-Museums und zugleich Kurator der Ausstellung, wurde von Joachim Umlauf, Direktor des Bukarester Goethe-Instituts, moderiert. Ausstellung und Konferenz wurden im Rahmen der Partnerschaft zwischen dem MARe-Museum und dem Goethe-Institut Bukarest veranstaltet.

Gregor Schneider, 1969 geboren in Rheydt, Deutschland, ist ein „Enfant Terrible“ der zeitgenössischen Kunst, ein „Star“ gemäß aller Kriterien, die dieses Konzept definieren. Seine Werke können entweder als Skulpturen, als Installationen oder – womöglich am passendsten – als „etwas“ jenseits all dieser Bezeichnungen verstanden werden. Er blickt auf eine glänzende Karriere zurück: Mit erst 16 Jahren hatte er seine erste Soloausstellung, 2001 erhielt er den renommierten Goldenen Löwen in Venedig – einer der über 20 wichtigen Preise, die ihm verliehen wurden. 2012 veröffentlichte er das Buch „Mein erster Brockhaus“; 33 Kunstkataloge wurden ihm exklusiv gewidmet, und er wird in über 200 Werken über zeitgenössische Kunst und aktuelle künstlerische Phänomene erwähnt, darüber hinaus ist er Sujet von fünf Dokumentarfilmen. Seine Werke können in drei privaten und 41 öffentlichen Galerien und Museen in neun Ländern auf drei Kontinenten bewundert werden. Mit anderen Worten: Schneider ist einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart. Wie alle anderen wichtigen Künstler hat er sein Publikum schockiert, genervt, begeistert; er verursachte Konfrontationen, konzeptuell und auf Ebene der öffentlichen Wahrnehmung, und er löste damit eine Verlagerung der Grenzen des Konzeptes von Kunst aus.

Schneider ist übrigens auch der Künstler, der das Haus, in dem der nationalsozialistische Propagandaminister Joseph Goebbels geboren wurde und aufwuchs, gekauft hat, um es zu verfremden und diesen Prozess zu dokumentieren: Die Innenwände wurden abgerissen,  nur die Außenwände blieben intakt. Der so erzeugte Schutt wurde in Museen und an symbolischen Stätten in Deutschland und Polen ausgestellt. Dies ist die Weise, in der Schneider, der Künstler- Philosoph des Innenraums, mit dem Andenken eines Hauses, eines Landes, und letztlich einer ganzen Welt umgeht.

Ab dem 13. Februar 2020 ist Gregor Schneider im MARe-Museum mit der Ausstellung „Tote Zimmer/Dead Rooms“ zu sehen. Schneider ist der fünfte weltbekannte Künstler, dessen Werk das MARe als erstes Museum Rumäniens in einer Soloausstellung präsentiert – und dies in nur einem Jahr und drei Monaten seit seiner Eröffnung. Die Ausstellung umfasst eine Installation (ohne Titel), eine Skulptur (Weißer Negativ Kern Massiv, 1999. MARe-Kollektion), sechs Videowerke, die zwischen 1996 und 2018 gedreht wurden, sowie elf Fotos mittleren Formates, die zwischen 1988 und 1996 entstanden sind.

Ohne die Tätigkeit und das Werk des Künstlers seit 1984 bis heute umfassend darstellen zu können, ist die Ausstellung in MARe sowohl exemplarisch als auch aufschlussreich und demonstrativ. Sie bewahrt und drückt kompromisslos die Art und Weise aus, mit der der Künstler rund um die Idee des Innenraums, des bewohnten oder verlassenen Raums, des Raums als Erinnerungsspeicher geschaffen hat. An der Schnittstelle zwischen Architektur, Innendesign und Installation/Performance ist Schneiders Kunst in erster Linie eine Herausforderung und ein Frontalangriff gegen manche Sorgen, Ängste und sogar den Tod.

All dies hat Gregor Schneider bei der Konferenz im Goethe-Institut im Gespräch mit Erwin Kessler erläutert, auch seine Faszination für Zimmer, Schachteln und Würfel. Der Künstler gab zu, den genauen Grund seiner Neigung für die erwähnten Sujets nicht zu kennen. Habe er wohl im Laufe seiner künstlerischen Tätigkeit immer wieder versucht, sein Elternhaus in Rheydt, das wegen Bergwerksarbeiten in der benachbarten Kohlemine zusammen mit anderen Häusern in eine Grube gestürzt ist, durch seine Werke wiederaufzubauen? Dann hätte Schneider die prachtvollste Wohnung der Welt gebaut, die sich als Ganzes gemäß neuplatonischer Philosophie mosaikartig in den zerkrümelten, von ihm geschaffenen Teil-Räumen widerspiegelt. Bei Gregor Schneider kommt der schöpferische Wesenszug, der alle Künstler prägt, durch die Art und Weise, wie er sich mit seinen Sujets auseinandersetzt, besonders stark zum Vorschein. Wie ein echter Schöpfer erschafft er seine eigene Kunstwelt, die er seinem Willen entsprechend rund um die Welt in Museen einrichtet, für eine Weile ausstellt, dann zum richtigen Zeitpunkt nicht zerstört, sondern vorsichtig abbaut und aufbewahrt, um sie in einer neuen Kunstgalerie wieder aufzubauen und somit neu zu erschaffen. Man kann vermuten, dies wäre die Weise, wie Schneider figürlich Ordnung aus dem Chaos schaffe.

Eine andere Theorie, deren Anhänger Schneider ist, besagt, dass Neues immer auf einer alten Grundlage aufgebaut wird. Daher halten Kunstkritiker seine Werke für eine Art bildliches Palimpsest, was im primären Sinn ein antikes oder mittelalterliches Schrift-stück bezeichnet, von dem der ursprüngliche Text abgeschabt oder abgewaschen und das danach neu beschriftet wurde. Seine Kunst weist wie ein solches Palimpsest zahlreiche Schichten auf, sowohl physisch als auch auf Bedeutungsebene, die der Kunstschaffende mit der Struktur einer Zwiebel vergleicht. Doch je mehr Hüllen von Baumaterialien er einem vorhandenen Zimmer hinzufügt, desto weniger ist die anfängliche Struktur erkennbar. Als Künstler isoliert sich Gregor Schneider mitten in seinem Kunstzimmer von dessen ursprünglichen Wänden. Dies ergibt einen Verfremdungseffekt, der Schneider ewig fasziniert und ihm eine Hypostase des Unbekannten und Unbegreiflichen enthüllt.

Dem Direktor des MARe-Museums, Erwin Kessler, zufolge sehen Gregor Schneiders „Tote Zimmer“ wie das Corpus Delicti eines affektiven Mordes aus, das nach erfolgter Obduktion offengeblieben sei. „Unterdrückte Gefühle drängen wie blasses Blut aus den Innereien des Verstandes. Das Nicht-Bewohnen weist sie als Exposition aus – der Schmerz, sich in einem klinischen menschlichen Raum zu befinden, in einem rhetorischen Instrument, in einem poetischen Speicher der Reue, des Versteckens und der Amnesie. In Gregor Schneiders Toten Zimmern ist kein Platz für Freude, Behaglichkeit oder Hoffnung, jedoch viel Platz für Zweifel.“

Die Ausstellung wird vom Künstler sowie Erwin Kessler (MARe) gemeinsam kuratiert und kann bis zum 4. Mai 2020 täglich, ausgenommen dienstags, von 11 bis 19 Uhr besucht werden.