„Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“

Das österreichische Jazz-Duo Hofmaninger/Schwarz präsentiert neu interpretierte Klangbilder verschiedener Kulturen

Lisa Hofmaninger, Sopransaxofonistin und Bassklarinettistin, (l.) und Judith Schwarz, Schlagzeugerin, (r.) reisen als Jazz-Duo Hofmaninger/Schwarz im Rahmen des Projekts „Sound Collector“ in verschiedenen Ländern, wo sie die lokalen Klänge erforschen und neu interpretieren. Diese musikalischen Entdeckungsreisen führten die Musikerinnen auch nach Rumänien. Fotos: Hans Klestorfer

Auf Einladung des Österreichischen Kulturforums hat das österreichische Jazz-Duo Hofmaninger/Schwarz diesen Herbst das musikalische Projekt „Sound Collector“ in einer speziell für Rumänien entwickelten Version in einem Offline-Konzert im Garten des Bukarester Jazz- und Theatercafés Green Hours (Calea Victoriei Nr. 120) präsentiert. Die Rhythmen und Klangbilder von Lisa Hofmaninger (Sopransaxofon und Bassklarinette) und Judith Schwarz (Schlagzeug) stammen aus den unterschiedlichsten kulturellen Räumen der Welt und bilden das Projekt „Sound Collector“, eines der ehrgeizigsten und innovativsten der jungen österreichischen Jazzszene.
Ziel des Projekts ist es, einen interkulturellen Dialog durch Musik zu ermöglichen. Die Klarinettistin Lisa Hofmaninger und die Schlagzeugerin Judith Schwarz haben eine künstlerische Karriere geschaffen, die sie in Länder mit einer starken musikalischen Identität führt. In enger Zusammenarbeit mit lokalen Künstlern versuchen die beiden Instrumentalistinnen, die für die besuchten Orte charakteristischen kulturellen und musikalischen Traditionen auf zeitgenössische Weise wiederzuentdecken, zu verstehen und neu zu interpretieren. Über diesen Vorgang und vieles andere haben sich die beiden Musikerinnen mit ADZ-Redakteurin Cristiana Scărlătescu unterhalten, aus dem Gespräch ist das folgende Interview entstanden.


Wann und wie haben Sie sich kennengelernt?
Lisa H.: Wir haben uns auf der Musikuniversität in Linz, an der „Anton Bruckner“ Privatuniversität, wo wir beide studiert haben, kennengelernt.
Judith S.: Bei einem Doppelkonzert der ersten Jam-Band der Uni, da hat Lisa so wunderbar mit der Saxofonistin des Quartetts harmoniert, dass ich mir dachte, ich muss irgendwie mit ihr zusammenspielen! Lisa hatte so unglaublich tolle grüne Schuhe an und ich habe sie auf die Schuhe angesprochen. So sind wir ins Gespräch gekommen und dann haben wir gleich gemeinsam geprobt. Seit damals haben wir viele unterschiedliche Projekte aufgezogen.

Gibt es diese Projekte heute noch? 
Judith S.: Das Projekt „ChufffDRONE“, ein Quintett,  besteht bis heute. Dann gibt es „Little Rosies Garden“, eine 13-köpfige Band, in der wir zusammen mit Studierenden der „Anton Bruckner“ Privatuniversität in Linz spielen. Außerdem noch das Trio „First Gig Never Happened“, und natürlich das Duo Hofmaninger/Schwarz...
Lisa H.: ...und verschiedene andere Projekte, an denen wir uns sowohl gemeinsam wie auch separat beteiligen.

Wie sind Sie auf die Idee zum aktuellen Projekt „Sound Collector“ gekommen, und wie hat es sich entwickelt?
Lisa H.: Beim ersten Teil des Projekts haben wir uns gemeinsam mit verschiedenen Klängen befasst und versucht, sie zu imitieren. So ist das erste Programm entstanden, durch intensive gemeinsame Beschäftigung, nur wir zwei im Proberaum. 
Nun wollen wir uns öffnen, da wir durch ein Förderprogramm des österreichischen Außenministeriums die Möglichkeit zu reisen bekommen haben, dass wir Musiker vor Ort kennenlernen und mit ihnen gemeinsam neue Vokabeln erforschen, die für die betreffende Kultur und das Land stehen.
Judith S.: Beim zweiten Teil des Projekts haben wir vor, nicht nur die Stadt, in der wir konzertieren, kurz zu bereisen, sondern länger zu bleiben, dort  Geschichte, Politik und Gesellschaft zu erkunden, um ein bisschen Hintergrundwissen und einen Überblick über die örtliche Vergangenheit und Gegenwart zu bekommen. 
Auf diese Weise können wir dieses Klänge-Finden und -Verarbeiten noch treffender gestalten und ein neues Programm schaffen.

Sie befassen sich mit Klängen auf eine ähnliche Art, wie die Brüder Grimm Volksmärchen sammelten?
Lisa H.: Wir verlassen uns auf die einheimischen Musikerinnen und Musiker und sammeln womöglich sowohl Volks- als auch zeitgenössische Musik. 
Zum Beispiel hier in Bukarest haben wir mit der Jazzmusikerin Cristina Leonte ein von ihr gewähltes Volkslied interpretiert, welches die Sehnsucht thematisiert (rum. doină).
Judith S.: Und trotzdem finde ich es spannend zu beobachten, was noch von der Tradition mitschwingt, wenn man bedenkt, dass Cristina Leonte sich musikalisch eher in einer elektronischen Klangwelt ausdrückt.
Lisa H.: Aber wie auch ein berühmtes Zitat des Komponisten Gustav Mahler lautet, „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“.

Wie geraten Sie an die kulturellen Einflüsse für Ihre Kompositionen?
Judith S.: Wir schicken eine Anfrage bezüglich des Projekts „Sound Collector“ an verschiedene Botschaften und Kulturanstalten und merken, wo es Interesse, Unterstützung und Infrastruktur für ein solches Vorhaben gibt. Wir sind an jeder Kultur interessiert, Hauptsache, man trifft gleichgesinnte Leute. Man ist auf einmal überrascht, eine Kooperation in einem Land, an das man gar nicht gedacht hätte, zu erhalten. Dieses Roulettespiel und diese Wahl sind günstig für uns, da man dadurch auf neue Ideen kommt.
Lisa H.: ...und in Ländern, in denen man sich zunächst nicht vorgenommen hat, hinzureisen, und die wunderschön sind! Dort findet dann ein spannender Kulturaustausch statt.

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Zusammenarbeit mit einheimischen Musikerinnen und  Musikern, und wie sieht diese aus?
Lisa H.: Erstens das Einreisen und die Zusammenarbeit vor Ort, dann die Absprache, die gemeinsame Terminvereinbarung und -einhaltung, die hängen alle von den Corona-Einschränkungen ab. Alles ist in diesem Fall sehr spontan passiert. Wir haben jedoch ein Konzept entwickelt, das uns ermöglicht, digital mit unseren Musikpartnern zu arbeiten, was halt nicht denselben Wert hat, aber es ist auf jeden Fall eine gute Alternative. 
Judith S.: Und wir versuchen auch, mit einem Klangingenieur und einem Visual Artist zu kollaborieren, so dass wir ein Video mit guter Qualität veröffentlichen, nicht nur in dem Sinne, dass man uns spielen sieht, sondern, dass wir uns mit grundlegenden Problemen eines Landes musikalisch auseinandersetzen. 
Zum Beispiel: Im Iran, wo es Frauen nicht erlaubt ist, öffentlich Musik zu interpretieren, werden wir einen Frauenchor begleiten. Im Video werden wir auch ein Gespräch mit ihnen zum Thema Weiblichkeit präsentieren, das uns und sie bewegt, und zugleich unser gemeinsamer Nenner ist.

Ein anderes Ziel Ihrer Musik ist es, die unterschiedlichen vorgefassten Vorstellungen über die Rolle von Instrumenten umzukehren. Bei Ihrer Darbietung überlässt die Bassklarinette dem Schlagzeug die Solo-Rolle und übernimmt selber das Behalten des Rhythmus. Die Idee ist innovativ, aber welche Auswirkung hat sie auf die Zuhörerinnen und Zuhörer?
Lisa H.: Wir haben sehr viel darüber reflektiert und mithilfe der Vorstellungskraft uns in die Hörerwarte versetzt, um herauszufinden, ob die Musik auch unter diesem Gesichtspunkt spannend bleibt. Deshalb versuchen wir, Geschichten zu erzählen, einen roten Faden von vorne bis hinten in der Komposition zu ziehen und ruhige Stellen, Spannungsbögen und Überraschungsmomente einzusetzen. Auf diese Weise wird man überrascht, denn man kann nicht vorausahnen, was danach folgt, und durch Improvisation lassen wir uns auch selbst auf der Bühne überraschen. 
Judith S.: Wir suchen auch nach Indikatoren, durch die wir die Spannung der Hörerinnen und Hörer messen. Wenn man mit der Lautstärke und immer neuen Klangfarben spielt und die Überraschungen richtig platziert, dann erobert man das Interesse des Publikums. 

Laut Aussage einiger Konzertfreunde haben Sie ihr Interesse überraschenderweise auch durch Ihre ausdrucksvolle Körpersprache gefesselt...
(Beide lachen) Judith S.: Außerdem arbeiten wir sogar Laute und Geräusche aus der Umwelt in unserer Musik ein. Zum Beispiel war heute Abend das plötzliche Bellen des Hundes einer der Zuhörer ein unerwarteter und willkommenen Zusatz zu unserer Musik. Manchmal passieren eben ungeplante Dinge und wir müssen vom geplanten Programm abweichenund improvisieren, aber genau das hält unsere Musik auch frisch.

Wo haben sich Ihre Projekte bisher entfaltet, und an welchen Orten wollen Sie das Projekt „Sound Collector“  in Zukunft fortsetzen?
Beide: Im Rahmen des Projekts „Sound Collector“ traten wir gemeinsam zum ersten Mal hier in Rumänien auf. Davor waren wir noch getrennt mit unterschiedlichen Projekten in Südafrika, Brasilien, der Türkei, Kirgistan, Kasachstan, Deutschland, Polen, Dänemark usw. Unsere nächste Zusammenarbeit erfolgt in Iran.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!