Türkischer Kaffee in der Stadt von Herakles

Mangalia: Das vielseitige Gesicht des historischen Callatis

Münzen aus Callatis (Archäologiemuseum)

Ein gemütliches tatarisches Cafe in der Anlage der „Esmahan Sultan“ Moschee (unten) bietet Ruhe, Schatten und Erfrischung. Fotos: George Dumitriu

Grabstein mit Turban

Ausgrabungsstätte im Untergeschoss des Hotels „President“

Große Göttermutter Kybele

Viele denken bei Mangalia an Sonne, Strand und Meer. Manche an das antike Callatis, gegründet von den dorischen Griechen, die im 4. Jh. v. Chr., basierend auf einer Prophezeiung des Orakels von Delphi, aus Herakleia Pontike kamen, einer antiken Stadt in der heutigen Türkei an der Mündung des Gülüc ins Schwarze Meer. Tatsächlich aber war die Region schon lange vorher bewohnt: Callatis thronte auf den Ruinen von Cerbatis, der ältesten bekannten Stadt Rumäniens. 25 Jahrhunderte vor Ankunft der griechischen Händler und Seefahrer wurde sie von den Geten - einem Volk, das später in den Dakern aufging - errichtet. 

Andere wiederum verbinden die Stadt mit der schmucken „Esmahan Sultan“-Moschee inmitten der grünen Oase, die einen alten muslimischen Friedhof mit turbantragenden Grabsteinen beherbergt. Mit dem Ruf des Muezzin, der noch heute vom Minarett schallt, wenn auch aus dem Lautsprecher. Mit dem luftigen tatarischen Zeltcafe, wo man auf dicken Kissen wie ein Sultan vor bodennahen Tischchen gemütlich lagert und den aromatischen türkischen Kaffee im Kupferkännchen genießt, den der junge Aidun unermüdlich braut, während seine Mutter am Kiosk tatarische Souvenirs und türkisches Parfüm verkauft.

Mangalia ist natürlich auch Sandstrand und Meeresbrise, Sonnenbaden und Eisessen. Doch sollte man sich die geballte Portion Geschichte nicht entgehen lassen, mit der das „Archäologische Museum Callatis“ aufwartet. Immerhin steht die heutige Stadt auf den Ruinen ihrer antiken Vorgänger, das Museum selbst auf einer der berühmtesten Ausgrabungsstätten der Region, dem „Grab mit dem Papyrus“. Den antiken Hafen von Callatis hat längst das Meer verschlungen, doch ein Teil der Festungsmauern kann  besichtigt werden - in der Nähe des Strands, des Stadions, unter dem transparenten Boden eines Restaurants neben dem Wirtschaftskolleg und im Untergeschoss des Fünfsternehotels „President“, wo sich eine sehenswerte Ausgrabungsstätte befindet. Dort wurden Teile eines Stadtviertels aus dem 7. Jh., das eines aus dem 4. Jh. überlagert, rekonstruiert. 

Mangalia war eine der Etappen der sechsten Journalistenreise, die das Departement für Interethnische Beziehungen (DRI) an der Rumänischen Regierung vom 2. bis 5. Juli organisierte, auf der Suche nach dem touristischen Potenzial der nationalen Minderheiten  (siehe ADZ-Online: 20. Juli: „Die stille Botschaft der Dobrudscha an Europa“, 29. Juli „Wo die Donau russischen Liedern lauscht“, 10.August: „Auf dem Teppich unter dem silbernen Halbmond“, 1. September: „Unter dem Banner des Sultans“ und 29. September: „Das tatarische Hochzeitszimmer“).

Archäologische Highlights

Der Legende nach soll Herakles persönlich Callatis gegründet haben, verrät die Eingangstafel zum Museum. Die Highlights unter den dortigen Exponaten, die von der jungsteinzeitlichen Hamangia-Kultur bis in die byzantinische Zeit reichen, präsentierte Museograf und Archäologe Nicolae Alexandru.  Einer der bedeutendsten Funde stellt die 1959 entdeckte Keramikstatue der Großen Göttermutter Kybele dar, die an einen bis in die Spätantike beliebten Mysterienkult erinnert, der sich von Phrygien (Kleinasien) ausgehend im ganzen römischen Reich verbreitet hatte. Mit Kybele werden ekstatische Fruchtbarkeitsriten und priesterliche Selbstkastration verbunden, aber auch das Märzfest zum Frühlingsanfang, Parallelen zum ägyptischen Osiris-Kult sind nicht zu übersehen.

1959 wurde auch das „Grab mit dem Papyrus“ entdeckt, auf dem heute das Museum steht: ein Hügelgrab aus dem 4. Jh. v. Chr., das neben einem männlichen Skelett und verschiedenen Beigaben den ältesten Papyrus Europas barg. Die einzige jemals in Rumänien gefundene Papyrus-Schriftrolle war mit brauner Tinte und griechischen Buchstaben beschrieben - und zerfiel im Moment der Öffnung des Sarkophags. 154 Fragmente wurden zur Restauration und Entzifferung nach Moskau geschickt, von wo sie erst nach über 50 Jahren und mit Hindernissen rückgeführt werden konnten. An ihnen wird immer noch geforscht.

Ein Mysterium verbirgt sich auch hinter dem 1941 entdeckten Hügelgrab von Movila Documaci, das einem getischen Prinzen zugeschrieben wird. In der darin befindlichen Kalksteinkonstruktion – der größten dieser Art in Rumänien - wurde unter anderem eine Münze aus der Zeit von König Kanites gefunden. Einige Quellen schreiben diesen den Bastarnen zu - ein germanischer Stamm, der in Osteuropa zur Zeit der Daker und Skythen lebte. Sechs Bastarnenkönige sollen in der Dobrudscha Münzen geprägt haben: Kanites, Tanousas, Charaspes, Aelis, Akrosas und Sariakes. Andere Quellen führen Kanites als König der Skythen, wie auch die alten Griechen die Bastarnen für Skythen hielten. Die Wände des Grabmals sind mit Sgraffiti bedeckt, die einfache antropomorphe und zoomorphe Figuren, Schiffe und Pentagramme zeigen. Sie weisen Parallelen zu Darstellungen in einigen Höhlenkirchen Bessarabiens auf, im Steinbruch von Aliman und in frühmittelalterlichen Grabkomplexen Bulgariens.

Die Grabungsstätte im Untergeschoss des Hotels „President“ zeigt, dass an der Festung Callatis von der griechischen und hellenistischen Zeit (4.-1. Jh. v. Chr.) bis in die römische und byzantinische Zeit (1.-7. Jh.) kontinuierlich gebaut wurde. Dort sind auch Teile eines Stadtviertels aus dem 4.-7. Jh. zu sehen, die einen hohen urbanistischen Entwicklungsstand demons-trieren. So war die Hautpstraße mit einem Sammelkanal für Abwässer und Abfall versehen. In den Häusern warf man diesen in tönerne Schlünde, Dolium genannt. Riesige Tongefäße zeugen auch von der Anwesenheit eines Lagerhauses (Horreum). Auch Reste einer Heizanlage sind zu sehen.

Oase des Propheten

Wie eine kühle Oase mutet die „Esmahan Sultan“-Moschee, umgeben von schattenspendenden Pinien, an. Die älteste Moschee der Dobrudscha wurde 1573 von Esmahan, der Tochter von Sultan Selim II., Nichte von Süleyman dem Prächtigen und Ehefrau des Großwesirs Sokollu Mehmet Pascha, im Andenken an ihren Vater erbaut. Sie besteht aus Steinen der Festungsruine von Callatis und zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Bauweise aus, die von türkischen Baumeistern eingeführt wurde. Die Steine wurden vor Ort zurechtgehauen und ganz ohne Mörtel mit eisernen Klammern, die  in entsprechende Löcher gegossen wurden, fixiert. So entstanden die 85 Zentimeter dicken Mauern, aber auch das schlanke Minarett. 

Das schlichte Innere der Moschee lässt nicht erahnen, dass es sich um eines der bedeutendsten historischen Denkmäler an der Schwarzmeerküste handelt. Die Moschee wird bis heute als Gotteshaus genutzt, doch reicht sie schon lange nicht mehr aus, um die über 900 muslimischen Familien in Mangalia zu fassen. Eine zweite ist daher im Bau, verrät Imam Ali Ismet. Trotzdem seien Touristen stets willkommen, betont der freundliche 80-Jährige, der seit seiner Ausbildung in Medgidia 62 Jahre als Imam diente, davon 32 Jahre in Mangalia. Fünfmal am Tag ruft er die Gläubigen zum Gebet. Der Gottesdienst wird in arabischer Sprache gehalten, die Predigt auf Türkisch, auch wenn die Mehrheit der Muslime vor Ort Tataren sind. In den Schulen der türkischen und tatarischen Minderheit wird Türkisch unterrichtet, Tatarisch spricht man nur noch in den Familien. Gemischte Ehen zwischen Türken und Tataren gibt es häufig, gelegentlich sogar unter Muslimen und Christen, erzählt Ali Ismet und erwähnt einen Fall, in dem ein Rumäne zum Islam konvertierte. „Die christliche Ehefrau hat sich nicht daran gestört, jeder übt seine Religion aus.“ Diese Art von Toleranz ist typisch für die Dobrudscha.
Von Anfang an galt die „Esmahan Sultan“-Moschee als Pilgerort für Frauen und Kranke, die nicht nach Mekka reisen konnten. Der Imam erklärt: Auf die Hadsch solle man sich nur einmal im Leben begeben, und nur dann, wenn es die materielle Situation erlaubt. Auf keinen Fall dürfe man sich dafür Geld leihen oder die Familie vernachlässigen. 

Paradiesische Ruhestätte

Die Moschee, die den ganzen Tag geöffnet ist, umgibt ein 350 Jahre alter muslimischer Friedhof, auf dem Zivilisten wie Soldaten ruhen. Turbane zieren die Stelen oder das Kopfende von Gräbern höherer Würdenträger. Auf dem Grabstein eines jung verstorbenen Mädchens steht: „Ich bin auf diese Welt gekommen, aber habe mich an ihr nicht sattgelebt.“ Ein anderer Spruch unkt: „Heute war ich dran – morgen bist du an der Reihe!“ Auch das Grab des 1579 verstorbenen Großwesirs Mehmet Pascha kann man hier bestaunen, der Grabstein trägt die Nummer 22. 

Zwischen Pinien, blühenden Blumen und grünem Gras steuern wir das kleine Freiluftcafe in der Ecke neben dem Eingang an. Wie in der Moschee muss man die Schuhe auch hier vor dem Teppich lassen. Köstliche Düfte wabern durch die flirrendheiße Luft: aromatischer Kaffee und das frische Zitronenparfüm, das die Tatarin am Kiosk gerade vorführt. Eine sanfte Brise streift die Vorhänge. Auf dem Tisch  liegt eine mit Ornamenten verkleidete Mappe, die in Schnörkelschrift die Essenz des Islams erklärt. Der Text betont die gemeinsame religiöse Basis der Juden, Christen und Muslime und schließt mit den Worten: „So erklärt sich der gemeinsame Hintergrund dieser drei großen Weltreligionen und damit ihre Möglichkeit zu einem interkonfessionellen, interreligiösen Dialog.“  Ja, so haben wir sie überall erlebt, die Muslime in der Dobrudscha. So wünscht man sich, sie zu erleben, überall auf der Welt.