Über die Diversität des menschlichen Spektrums

Hans Bergels neues Buch handelt von „Menschen, Masken und Mächten“

Bergel, Hans: Blick auf die Welt. Von Menschen, Masken und Mächten. Edition Noack & Block, Berlin, 2017, 202 Seiten, 24,80 Euro, ISBN 978-3-86813-053-9.

Wer sich für die Zeit vor 1989 in Rumänien interessiert, sollte im unlängst erschienenen Essayband „Blick auf die Welt. Von Menschen, Masken und Mächten“ von Hans Bergel den Text „Fünfzig Jahre im Fokus der Securitate“ lesen. Schon der Untertitel des Essays („Von Verfolgungs- und Verhaftungsbefehlen, Denunzianten und Informanten, honorigen und weniger honorigen Persönlichkeiten“) weist auf ein brisantes Thema hin, und im Vorwort wird der Text treffend als „Schriftstück bestürzender Entlarvung“ (10) vorgestellt. Der Autor selbst unterstreicht jedoch, dass es ihm nicht um „Skandalenthüllungen, sondern (um) Feststellungen“ (82) geht.

Konkret fasst Hans Bergel hier seine umfangreiche Securitate-Akte zusammen und greift einige Fragen auf, die sich auch als Startpunkt einer Debatte eignen. Angesichts der Fülle an Securitate-Material, bemerkt der Autor, dass er „niemals eine Autobiographie schreiben“ müsse (65), da sie bereits von anderen mit Akribie geschrieben worden sei. Vieles entpuppt sich jedoch auch als „Faschingsscherz“ und der Wahrheitsgehalt der Eintragungen hängt immer wieder von den Personen ab, die zur Akte beigetragen haben, und von den Interessen, die im Spiel waren.

Bergel systematisiert das Material, indem er es in vier Perioden einteilt. Die Jahreszahlen weisen gleichzeitig auf geschichtliche Zäsuren hin: 1947 bis 1959; 1959 bis 1964; 1964 bis 1968; 1968 bis zur Wende. Wie der Autor feststellt, belegt aber die gesamte Akte „mittel- und unmittelbare Zusammenarbeit – zumindest naive Willfährigkeit – auf fast allen Ebenen siebenbürgisch-deutschen Lebens mit der Securitate“ (76). Hans Bergel nennt Beispiele, die sich spannend lesen, aber auch sehr ernüchternd sind. Manche Namen werden nicht genannt, aber selbst für später Geborene ist es nicht schwierig, Assoziationen herzustellen.

Gerade für die jüngere Generation erscheint die Lage vor 1989 oftmals als Schwarz-Weiß-Bild: Entweder man war Informant (und war „böse“) oder man war kein Informant (und war „gut“). Was Hans Bergel noch einmal greifbar darstellt, ist die erstaunliche Diversität des menschlichen Spektrums innerhalb des „Systems“: Man konnte eben leidenschaftlicher Informant sein, und wissentlich massiven Schaden anrichten, konnte aber auch zurückhaltend „berichten“ oder nur so tun, als berichte man, und dabei darauf achten, dass man niemanden wirklich belastet.
 

Der Essay nennt mehrere Fälle (Seiten 61-64), die die „unterschiedliche Facettierung der Informations-Kader“ belegen, versucht aber auch eine Annäherung an den Fall von Friedrich („Fritz“) Cloos (84-88), über den in jüngster Zeit bereits einiges geschrieben worden ist (siehe die Veröffentlichungen von William Totok und Ottmar Traşcă).

Zudem reflektiert Hans Bergel in seinem Text über Instrumentalisierungen des innersächsischen Disputs „Bleiben oder Gehen“. Er zitiert unter anderem eine „Vier-Punkte-Erklärung“ (73), die in den frühen siebziger Jahren erschienen ist, und die ein Beleg ist gegen den Vorwurf, er habe sich für die vollständige Auswanderung der Deutschen aus Rumänien ausgesprochen. Von den drei Kategorien – Menschen, Masken, Mächte – die im Untertitel des Bandes vorkommen, wäre dieser zentrale Essay angesichts der Vielfalt der porträtierten „honorigen und weniger honorigen Persönlichkeiten“ wohl am sichersten der Kategorie „Masken“ zuzuordnen.

„Blick auf die Welt“ ist schon der zweite Essayband, den Hans Bergel 2017 veröffentlicht hat. Ähnlich wie in „Glanz und Elend der Siebenbürger Sachsen. Rückblicke und Ausblicke eines Beteiligten“ hat er hier zwölf Essays publiziert, die in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten geschrieben und zum Teil veröffentlicht worden sind, die aber in Bezug auf aktuelle Entwicklungen an Relevanz nicht verloren haben. Manche behandeln „zeitlose“ literarische oder kunsthistorische Themen, andere bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Politik, Gesellschaft und Zeitgeschichte. Der rote Faden, der sich durch die heterogene Themenauswahl zieht, ist der „unorthodoxe Blickwinkel“ des Autors, wie das Vorwort betont (9).

Zu den politischen Texten gehört beispielsweise die Rede „Was soll denn noch mit diesen Menschen geschehen dürfen?“, die Bergel vor 35 Jahren in Köln gehalten hat, und in der er über die „Entheimatung in der Heimat“ (105) der Deutschen in Rumänien spricht. Dem Bereich „Mächte“ kann ein weiterer politischer Essay zugeordnet werden, „Rot und Braun. Das Absurde als Normalität oder Die heroische Mitte der Humanitas“, in dem sich der Autor jenseits des „akademisch sanktionierten Lehrsatzes“ (131) mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den zwei großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt. In „Der ‚Weiße Mann‘ und die Migration als Problem seiner Zukunft“ thematisiert Bergel wiederum Fragen zur Identität von Migrantengruppen, zum stärker werdenden Regionalismus und zu gefährlichen „Problemverkennungen“ der Politik, die heute hochaktuell sind.

Rührend sind im Buch schließlich die biographischen Essays, unter anderem über Ana Blandiana, Alfred Margul-Sperber und Erich Bergel. Es sind Würdigungen von Menschen, die ihre Menschlichkeit bewahrt haben – trotz der „Masken“ und „Mächte“, die sie umgaben. Sechzig Jahre nach der Veröffentlichung der Erzählung „Fürst und Lautenschläger“ darf man feststellen, dass dieser Fokus in Bergels gesamtem Oeuvre von zentraler Bedeutung ist.