Überwundene Grenzen

Weihnachtsbotschaft von Pfarrer Dr. Johannes Klein, Fogarasch

Einstimmung auf Weihnachten: Krippenspiel am Alten Marktplatz in Kronstadt Foto: Ralf Sudrigian

In der Geburt Jesu feiern wir Weihnachten als Fest der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen. Diese Gemeinschaft gilt nicht vorrangig den Wohlhabenden, sondern vor allem den an den Rand Gedrängten. Letzteres wird im Evangelium nach Lukas durch die Erzählung von der Geburt im Stall und der Verkündigung der Engel, die zuerst an die Hirten gelangt, verdeutlicht. Ausgerechnet ein verlobtes Paar, das auf Wanderschaft ist und mit Müh und Not eine Unterkunft findet, indem es sich mit einem Stall begnügt, wird mit der Geburt Christi gesegnet, und ausgerechnet die Hirten auf dem Feld sind die ersten, die davon erfahren. Der Evangelist Matthäus erzählt die Geschichte aus einer ganz anderen Perspektive. Für ihn sind es reiche Könige, die von weit her kommen und den neugeborenen König bewundern und beschenken. Führen wir die Gedanken dieser beiden Erzählungen zusammen, dann ergibt sich, dass Christus für die gesamte Menschheit geboren ist: sowohl für die Armen als auch für die Reichen, sowohl für die Nahen als auch für die Fernen. Dass Christus auf die Welt gekommen ist, damit alle Menschen miteinander Gemeinschaft haben, formuliert der Apostel Paulus im Galaterbrief:

„Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott“    (Gal 4,4-7).

Dem Apostel Paulus geht es darum, zur Gemeinschaft mit Gott als dessen Kinder zu gelangen. Das geschieht in dem Spannungsfeld von Anpassung an die gegebenen Strukturen und deren Überwindung. Der Theologie des Apostels gemäß können Strukturen nur überwunden werden, wenn man zunächst Teil derselben wird, man könnte sagen von innen heraus. Um das Ziel der Überwindung der Strukturen zu gewährleisten, sendet Gott seinen Sohn, damit dieser Mensch wird. Wie sich dieses Menschwerden zuträgt, beschreibt der Apostel in einer Weise, wie es für Weihnachten ganz unüblich klingt.

Er sagt nämlich nicht, dass Jesus von einer Jungfrau, sondern eben von einer Frau geboren wurde, wohl um die Eingliederung des Sohnes in die menschlichen Strukturen zu betonen. Jesus ist also ganz Mensch geworden, mehr noch, als Mensch seiner Zeit und seines Umfelds wurde er nach allen Riten und Gesetzen großgezogen. Deshalb wurde er auch beschnitten. Gerade weil er sich an diese Äußerlichkeiten formell angepasst hat, konnte er über sie inhaltlich hinausweisen. Die Grenzen, die zwischen Beschneidung und Unbeschnittensein gezogen waren, konnten von ihm, da er selbst der Beschneidung unterzogen wurde, aufgehoben werden. Der Inhalt des Evangeliums galt nun auch den Unbeschnittenen, den Heiden, den Menschen, so wie du und ich.

Wenn wir nun dieser Tage Weihnachten feiern, dann erleben wir ein ähnliches Spannungsfeld. Um Gemeinschaft zu erleben, die uns weiter trägt, sind wir gehalten, das eine wie das andere zu tun. Einerseits passen wir uns an, um Teil der Gemeinschaft zu werden oder Teil der Gemeinschaft zu bleiben. Andererseits weisen wir darüber hinaus, um die Gemeinschaft zu fördern und beizutragen, dass sie auf eine höhere Stufe gehoben wird. Es ist klar, dass zu viel Anpassung die Gemeinschaft insgesamt herunterzieht, und zu viel Veränderungsdrang der Gemeinschaft unzumutbar ist. Die Gratwanderung zwischen beidem wird eine stetige Aufgabe sein. Jesus ist auf diesem Grat vorangegangen um uns alle zu gewinnen und alle nach sich zu ziehen. Lasst uns ihm folgen und dadurch Weihnachten verwirklichen.