UkrKidsHub – Schule, Lern- und Freizeitzentrum

Ein Vorzeigeprojekt für ukrainische Geflüchtete in Temeswar sucht dringend Lehrkräfte und Finanzkontinuität

Iryna Yetskalo ist die Gründerin von UkrKidsHub und kämpft für das Bestehen der Schule. Sie sucht ununterbrochen nach Sponsoren, die die Einheit im Temeswarer Jugendhaus finanzieren könnten.

Seit knapp einem Jahr haben Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine in der westrumänischen Stadt Temeswar Zuflucht gefunden. Einige Kinder mussten den Start ins Schulleben weit entfernt von ihrer Heimat erleben. Im Bild die Erstklässler mit ihrer ukrainischen Grundschullehrerin. | Fotos: UkrKidsHub Temeswar

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF wird die ukrainische Schule in Temeswar vorläufig bis Juni 2023 finanziell unterstützen. So kann die Einrichtung für rund hundert Schüler kostenlosen Zugang zu Bildung in ihrer Muttersprache sichern.

Im Temeswarer Jugendhaus können die ukrainischen Kinder die Schule besuchen oder zur Freizeitgestaltung und Unterhaltung zusammenkommen.

Jede Woche findet mindestens ein Freizeitevent statt: Film- und Spielabende aber auch Kochworkshops sind bei den UkrKidsHub-Besucher sehr beliebt.

Der Aufenthaltsort UkrKidsHub hat sich in der Zwischenzeit zu einer wahren Schule entwickelt. Etwa 50 Schüler verschiedenen Alters kommen täglich her und nehmen am Unterricht in ihrer Muttersprache und nach ukrainischem Lehrplan teil. Derzeit werden noch weitere ukrainische Lehrkräfte für die Schule gesucht.

Fast ein Jahr ist es her, seit das Leben unserer ukrainischen Nachbarn tief erschüttert wurde: Erste Bomben fielen am 24. Februar und zerstörten der Reihe nach Wohnungen, Schulen und Träume. Tausende von Flüchtlingen haben in der Zwischenzeit das Kriegsland Ukraine verlassen und fanden unter anderem auch in Rumänien ein neues zeitweiliges Zuhause. Doch niemand dachte, dass der Krieg in der Ukraine so lange dauern wird. Viele Flüchtlinge meinten, sie würden sich nur einige Wochen oder ein paar Monate in Rumänien bzw. in Temeswar/Timișoara niederlassen. Nun ist es schon fast ein Jahr her, seitdem sie auf der Flucht sind. So mussten sie sich auf einen längeren Aufenthalt vorbereiten und auch die Vereine, die ihnen helfen, mussten sich entsprechend organisieren. Sich für ihre Landsleute mit voller Energie einsetzen – entweder direkt im gefährdeten Land oder jenseits der Grenzen – ist für viele Ukrainer zu einer gemeinsamen Mission geworden. Nach Flucht und Asyl folgten Hilfsaktionen, Läden, Schulen und Unterhaltungsmöglichkeiten in den Aufnahmeländern. 

Etwas über drei Millionen ukrainische Geflüchtete sind 2022 durch Rumänien weitergereist – knapp 100.000 sind geblieben. Derzeit leben etwa 3000 ukrainische Flüchtlinge in Temeswar und Umgebung. Die Stadt hat sich kurz nach dem Ausbruch des Krieges im Nachbarland mobilisiert: mehrere Institutionen, NGOs und Unternehmen reichten sich für die Hilfsaktion „Temeswar für die Ukraine“ die Hand. Eine Plattform und ein Hilfszentrum für die Flüchtlinge, die in der Stadt ankamen, wurden bereits in den ersten Märztagen eröffnet. Die Hilfe ging in zwei Richtungen: den Geflüchteten vor Ort Unterstützung zu gewähren und für die weiterhin in der Ukraine Verbliebenen Hilfsmittel zu sammeln und zu verschicken. Durch die Online-Plattform konnten die Geflüchteten in Temeswar besser betreut werden. Sie erhalten dort Zugang zu einer geprüften und sicheren Unterkunft, Jobangebote, und werden schließlich ein Teil der Gemeinschaft. All dies sorgte rasch für eine Meinungsänderung unter den Flüchtlingen, die anfangs Rumänien nur als Transitland auf dem Weg in den Westen betrachteten. Wegen den gut organisierten Hilfsaktionen in der Bega-Stadt entschieden sich viele der Geflüchteten, zu bleiben. 

Für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine wurde u.a. vergangenen Sommer auch ein Sozialladen eröffnet. Im Laden haben Flüchtlinge aus der Ukraine kostenlosen Zugang zu einer breiten Palette von Produkten, die von Privatpersonen und Unternehmen gespendet wurden, die Angestellten des Ladens kommen ebenfalls aus der Ukraine (die ADZ berichtete). Es gibt auch multinationale Unternehmen, die geflüchtete Mitarbeiter aus ihren ukrainischen Niederlassungen in ihre Niederlassung in Westrumänien übernommen haben. Aber auch weitere Aktionen machen das Leben der Geflüchteten vor Ort leichter, so dass in der Zwischenzeit viele weitere Ukrainer extra dafür nach Temeswar angereist sind. Und dafür macht Iryna Yetskalo (31) weiterhin Werbung: Im Augenblick sucht die junge Frau noch Lehrkräfte und Psychologen für ihre ukrainische Schule, die in Temeswar im Herbst des vergangenen Jahres eröffnet wurde. Rund hundert ukrainische Kinder verschiedenen Alters könnten diese Schule besuchen. Derzeit sind es knapp 50.

Ein Hub wurde zur Schule

Iryna Yetskalo ist selbst eine der Geflüchteten, seit März 2022 hat sie sich in Rumänien niedergelassen. Als Bildungsunternehmerin gründete sie zusammen mit anderen Flüchtlingen aus ihrem Land eine Schule, in der ukrainische Kinder in ihrer Muttersprache und nach dem ukrainischen Lehrplan lernen können. Die Gründerin von UkrKidsHub war vor dem Krieg Beraterin für School Navigator, ein Dienst zur Auswahl von Schulen, Kindergärten und außerschulischen Aktivitäten für Kinder auf der ganzen Welt. Nach ihrer Ankunft in Rumänien setzte sie ihre Kenntnisse in diesem Bereich ein und lernte, wie man eine Schule von Null aufbaut.

Im zweiten Stock des Temeswarer Jugendhauses, Sitz der Temescher Jugendstiftung (FITT) hat sich die Schule für ukrainische Kinder im vergangenen Jahr entwickelt. Der UkrKidsHub war zuerst als ein Aufenthaltsort für Kinder und Jugendliche gedacht, wo sie zusammenkommen, unter sich sein und an Online-Kursen ihrer jeweiligen Schule zuhause teilnehmen konnten. Mittlerweile wurde das Hub selbst zu einer Schule im wahrsten Sinne des Wortes. Der internationale Verbund der Hilfs- und Entwicklungsorganisationen OXFAM und die Gemeinschaft der Juden in Temeswar haben das Projekt im Herbst gefördert. So wurde die Schule Mitte September letzten Jahres, pünktlich zum Start des neuen Schuljahrs, offiziell eröffnet.

Sechs Räume – für Grundschul-, Sekundärschul- und Gymnasialklassen, aber auch Multimedia- und Unterhaltungsräume – sind hier untergebracht. In gleich zwei Schichten – vormittags und nachmittags – wird unterrichtet. Die Kleinen werden von Grundschullehrerinnen vor Ort betreut, die größeren Schüler nehmen an Online-Kursen in Korrespondenz mit der Ukraine teil und können so virtuell mit gleichaltrigen Schülern jenseits der Grenze, die das Land noch nicht verlassen haben, in Kontakt treten. Am Ende jedes der beiden Schulsemester absolvieren die ukrainischen Kinder zertifizierte Online-Tests. 

Erweiterung in Sicht 

Das alles soll sich aber in den kommenden Wochen ändern: In der unteren Etage des Jugendhauses soll die „Schule” einziehen, mehr Raum und besser organisierte Säle haben. Denn kurz vor Jahresende hat die Unternehmerin Iryna Yetskalo eine gute Nachricht erhalten: Ihre Anstrengung hat sich ausgezahlt, durch die Unterstützung des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF wird die Schule nun mehr Lehrkräfte anstellen und mehr Kindern kostenlosen Unterricht bieten können. 

Das Schulteam soll insgesamt größer werden: Statt den bisher fünf im Dezember  Angestellten sollen es demnächst zwölf werden. Dafür werden weitere ukrainische Lehrkräfte gesucht. Einige der Lehrer vor Ort sind selbst ukrainische Flüchtlinge. „Ich versuche, Lehrer aus den gefährdeten Gebieten in der Ukraine anzusprechen. Es ist aber etwas schwierig, jetzt mitten im Schuljahr welche zu finden. Wir versprechen nicht nur ein sicheres Leben vor Ort, sondern auch gute Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen, weit weg von den russischen Angriffen, für sie und ihre Familien und sie können vor allem in dem Bereich arbeiten, in dem sie bisher tätig waren”, sagt Schulmanagerin Iryna Yetskalo, die gleichermaßen auch für Rumänien gute Werbung macht, denn laut ihrer Aussagen sind hier die bürokratischen Hürden deutlich kleiner als etwa in Deutschland.

Die 31-Jährige gibt aber zu: Es fällt ihr schwer für Stabilität zu werben, wo doch im letzten Jahr alles um sie herum in Tausende Teile zerschlagen wurde. Doch die Hoffnung bleibt. So war sie froh, kurz vor Weihnachten ankündigen zu können, dass für UkrKidsHub infolge einer Vereinbarung mit UNICEF bis Juni 2023 eine finanzielle Unterstützung gesichert ist. „Was dann folgt, ist ungewiss“, sagt Iryna Yetskalo besorgt. „Wenn die Garantie für die Fortsetzung fehlt, fällt es mir auch schwer, die aktuellen Angestellten zu überzeugen, hier zu bleiben, oder neue anzuwerben“, gibt sie zu Bedenken. 

Bis dahin versucht sich die junge Frau, auf praktische Dinge zu konzentrieren: die neuen, größeren Räume bei FITT, darunter auch ein Lehrerzimmer, eine medizinische Praxis für die Schule, einen Raum für das Mittagessen sowie einen Saal für Afterschoolklassen müssen eingerichtet und ausgestattet werden. Elektronische Geräte für Schüler und Lehrer wie Laptops, Kopfhörer, Drucker sowie Lehrmaterial müssen erworben werden. Die aktuellen Räumlichkeiten in der zweiten Etage des Jugendhauses werden weiterhin für die Jugendlichen aus der Ukraine benutzt. 

Integration ist der Schlüssel

Zusätzlich zum nationalen Lehrplan gibt es Aktivitäten zu Menschenrechten, interkulturellem Dialog und Freizeitgestaltung. Die Kinder lernen auch Rumänisch und Englisch und haben Zugang zu einem ukrainischen Psychologen. Das erleichtert ihnen die Integration in der rumänischen Gesellschaft, allerdings in ihrem eigenen Tempo.

Für eine gute Integration gibt es auch eine Austauschzeit mit rumänischen Schülern. Die Jugendlichen treffen sich außerhalb der Schule und lernen von ihren rumänischen Kommilitonen, etwas auf Rumänisch zu bestellen oder einfach, ausgegangen von den gemeinsamen Interessenspunkten der Jugendlichen, im Temeswarer Alltag zurecht zu kommen. „Bisher lernten sie auch, dass sie trotz verschiedenen Sprachen und Kulturen eigentlich gar nicht so verschieden sind”, erzählt Iryna. 

Auch für Eltern und Familienangehörige ist die Schule ein guter Ort fürs Zusammenkommen. 

Während die Unternehmerin auf dem Flur des FITT-Hauses erzählt, ist es schon kurz nach Mittag geworden. Eine Großmutter ist gerade angekommen, ihr Enkelkind von der ukrainischen Schule abzuholen. In der Zwischenzeit kommen noch weitere Eltern und Familienangehörige an. Sie alle kennen sich bereits. Egal woher sie aus der Ukraine kommen, verbindet sie nun ein ähnliches Schicksaal. Um das Zugehörigkeitsgefühl und das Sozialleben zu fördern, werden bei UkrKidsHub auch Brettspiel- und Filmabende oder Sonderevents wie Koch- oder Handarbeitstreffen organisiert. Kurse für Finanzmanagement werden sowohl für Eltern als auch für die Angestellten des Hubs angeboten – denn laut Aussagen der Schulmanagerin Yetskalo sind solche praktischen Ausbildungen immer nützlich, wo auch immer das Leben hinführen wird. 

Zukunftsträume: Die Heimat wieder aufbauen

Und wo auch immer das Leben die ukrainischen Kriegsflüchtlinge hingeführt hat, scheinen sie alle nur einen Wunsch zu haben: die Rückkehr in eine gewaltlose Heimat. 

Denis Valetskyi ist 15 Jahre alt und ist Schüler der 9. Klasse. Vor einem Jahr lebte er noch friedlich mit seiner Familie in Lutsk, in der nordwestlichen Ukraine. Kurz nach dem Start des russischen Angriffs fielen Bomben ganz in der Nähe seiner Stadt. Das Geräusch eines Luftangriffs auf eine Militäreinheit am Stadtrand von Lutsk hat ihn eines morgens geweckt. Der Jugendliche erlitt einen Schock. Das war der Auslöser für die Familie: „Wir müssen los!“ Polen war der erste Halt für Denis und seine Mutter, dann kamen sie nach Rumänien, wo seine Schwester bereits auf die beiden wartete. Seither hat der Jugendliche Freunde vor Ort in Temeswar gefunden. In den Räumen des UkrKidsHubs nimmt er täglich an den Online-Kursen einer Schule in Kiew teil. Er lernt weiter und hat einen klaren Plan: „Nachdem wir den Krieg gewinnen, will ich weiter im Ausland studieren, und wenn ich einmal mein eigenes Geld verdient habe, werde ich das Geld in die Heimat für den Wiederaufbau meines Landes schicken.“ 

Auch Helena B. hat einen ähnlichen Wunsch. Die 16-Jährige aus Kiew lebt schon seit Monaten in Temeswar mit ihrer Mutter und ihrem kleineren Bruder. Beide besuchen die Schule im Temeswarer UkrKidsHub. Helenas Vater wohnt weiterhin in Kiew. Drei Monate nach dem Kriegsausbruch ist die Jugendliche zum ersten Mal wieder mit ihrer Familie zu Besuch in der Ukraine gewesen. Was sie dabei sehen konnte, war für sie erschütternd. Nun besucht sie ihr Vater jeden Monat. Der ehemalige Tänzer hält weiterhin Gesellschaftstanzkurse in der ukrainischen Hauptstadt. Die Mutter macht dasselbe hier in Rumänien. Dass sie alle wieder zusammen als eine Familie leben, das bleibt für die Jugendlichen der größte Wunsch überhaupt.