Unser tägliches C gib uns heute

Die Sehnsucht nach einer starken Kirche in Deutschland

Anfang Juni trat in Bayern die Kreuzpflicht für die Landesbehörden in Kraft.
Foto: dpa.

Kaum dachte ich, dass es endlich mit der Hysterie um den „Kreuzerlass“ in Bayern vorbei war, schon stieß ich auf einen Artikel im Spiegel, in dem Seine Eminenz, Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, erneut glasklar erklärt, was heutzutage „ein guter Katholik“ ist. Auch weiß Seine Eminenz, was keine guten Katholiken sind, nämlich jene Schäfchen seiner Herde, die nicht seine politische Gesinnung teilen – die schlimmen Rechten also. „Nationalist sein und katholisch sein, das geht nicht“, predigt er von der medialen Kanzel direkt in den „Spiegel“, damit man klar und deutlich versteht, dass man nicht nur ein schlechter Katholik, sondern auch ein schlechter Christ, ja sogar ein schlechter Mensch ist, wenn man mit Kardinal Marx nicht einer Meinung ist.


Diejenigen hierzulande, die dachten, die Szene, in der Mircea Geoană, der Kandidat der nominal „linken” PSD, eine orthodoxe Ikone kurz nach der Präsidentschaftswahl 2009 demütig küsste, wäre absonderlich gewesen, würden auch in Deutschland aus dem Staunen nicht herauskommen, wenn man sich die eklatante Einmischung der Geistlichen in die allzu weltliche Politik ansieht. Überhaupt ist es extrem merkwürdig, um es gelinde zu sagen, was die Kirchen, sowohl die katholische als auch die evangelische, alles verdammen, anklagen und brandmarken. Dieser neue Proselytismus ist im Grunde genommen nicht weit vom orthodoxen Fundamentalismus des serbischen Patriarchen Irinej entfernt, der im Jahre 2014 verkündete, die Überschwemmungen, die das Land plagten, seien die gerechte Strafe Gottes dafür, dass Conchita Wurst den Eurovisions-Wettbewerb gewonnen hatte. Während für den orthodoxen Irinej singende österreichische Transvestiten der Feind Gottes auf Erden sind, sind es die Nationalisten für den katholischen Marx, die Gott nicht gefallen – da könnte man sich doch glatt freuen, dass sogar das große Schisma zwischen der abend- und morgenländischen Kirche überwunden werden könnte, wenn man es nur schaffen würde, ein und dieselbe Gruppe von Menschen zum gemeinsamen Feind zu erklären.


Was ist heute christlich?


Aber nicht nur die Kirchen scheinen heutzutage von der weltlichen Politik besessen zu sein, auch andersrum stellt man fest, wie Staatspolitiker, die eigentlich nicht von Steuergeldern bezahlt werden, um Priester zu spielen, immer mehr die Religion ins Spiel bringen. Die Gretchenfrage des heutigen „zoon politikon“: Wofür stehen die Parteien, die das „C“ im Namen haben? Mit anderen Worten: Was ist also heute „christlich“? Und immer wieder stellt man fest, „unchristlich“ ist, zumindest in Deutschland, wenn man sich nicht in peinlich moralischen Überlegenheit wälzen möchte, wenn man denkt, dass es immer noch einen Unterschied zwischen legal und illegal gibt, wenn man nicht für eine unkontrollierte Masseneinwanderung – bestenfalls aus muslimischen Ländern – ohne „Obergrenze“ ist, wenn man Staatsgrenzen nicht für „fascho“ erklärt oder wenn man sich nicht für Flüchtlinge „engagiert“. Kurzum, „bunt“, „vielfältig“ und „tolerant“ ist das neue „christlich“; dieselben Attribute bilden heute die heutige Auffassung von „demokratisch“ in der Politik.
Wenn sich die katholische Kirche darüber echauffiert, dass Kreuze wieder in bayrischen Schulen eingeführt werden, ist es nicht nur köstlich für die Glaubensgemeinschaft, sondern stellt auch perfekt dar, wofür das C heutzutage wirklich steht. Das hat auch Seine Eminenz, der ehrenwerte Kardinal Marx, bewiesen, als er und sein evangelischer Kollege, Heinrich Bedford-Strohm, während eines Besuches der Al-Aqsa Moschee in Jerusalem ihre Kreuze abgelegt haben – „aus Respekt vor den Gastgebern“, wie sie nach dem Geschehen bekannt gemacht hatten.


Politisierte Predigt und sakrale Politik


Auch interessant ist, wie stark sich die neuen militanten Geistlichen in Deutschland für die „Flüchtlingspolitik“ der aktuellen Bundesregierung begeistern lassen. So hielt vor ein paar Jahren Kardinal Rainer Woelki, Erzbischof von Köln, die Ostermesse auf einem auf der Domplatte aufgestelltem und aus Griechenland gebrachtem Flüchtlingsboot, welches als Altar diente, danach in den Dom gebracht und mit einem Plakat versehen worden war, das die Aufschrift „Auch Jesus sitzt in diesem Boot“ trug. Selbiger gab etliche Interviews am Rheinufer, in denen er leuchtende Schwimmwesten trug und mitteilte „jeder einzelne tote Flüchtling ertrinke auch in unserer Gleichgültigkeit“. Er geißelte die Flüchtlingspolitik im Jahre 2017 und bemängelte, die EU wolle „eine geschlossene Gesellschaft“ („Kölner Stadtanzeiger“), kritisierte noch im vorigen Monat die Asyldebatte, verlangte einen „würdigen Umgang mit Flüchtlingen“ und prangerte „die Selbstverliebtheit“ der Politiker an – ohne dabei nur für eine Sekunde in den Spiegel zu gucken. Über die evangelische Kirche und deren Engagement für Flüchtlinge ließe sich ein ganzes Buch schreiben. Es stellt sich die Frage: Wer braucht schon heutzutage byzantinischen Cäsaropapismus und die damit verbundene gottgefällige Politik?


Anstatt sich über Politik den Kopf zu zerbrechen, sollten sich die Kirchenfürsten vielleicht Gedanken über die Christenverfolgung im Nahen Osten und vor allem über die folgenden Zahlen machen: Im Jahre 2017 kehrten in Deutschland 162.000 Katholiken Seiner Eminenz Marx den Rücken zu, gleichzeitig traten 190.000 Protestanten aus, Bedford-Strohms Appellen zum Trotz. Mitten im neuen religiösen Eifer und politischen Tugendterror möchte man den Politikern und Geistlichen einen Zitat Johann W. Goethes nahelegen: „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür und die Welt ist sauber“.