„Unsere Lehrer – Kinder in einem  deutschgeprägten kulturellen Milieu“

Ein Film der Bukarester Goetheschüler aus der 8. Klasse über ihre Lehrer

Ecaterina Ștefan, Goethe-Kolleg Bukarest, 8. Klasse, bei der Vorstellung des Films vor ihren Kollegen Foto: Șerban Căpățână

Vor zwei Jahren haben sieben der damaligen Siebtklässlerinnen des Bukarester Goethe-Kollegs unter der Betreuung ihrer Geschichtslehrerin Rodica Ilinca ein interessantes Projekt eingeleitet, in dem sie ihren Lehrern, deren Leben und insbesondere deren Kindheit näher kommen durften und dadurch einiges über die Geschichte und die Traditionen der deutschen Minderheit in Bukarest und Rumänien erfahren haben. Die von den freiwilligen Schuljournalisten durchgeführten Interviews wurden von den Elftklässlern unter Betreuung eines Film- und Regieabsolventen bearbeitet. So entstand der Film „Unsere Lehrer – Kinder in einem deutschgeprägten kulturellen Milieu“. Von der Förderung seitens der Deutschen Botschaft Bukarest konnte die Schule auch eine kleine Kamera kaufen, mit der die Schüler das Filmen erlernt haben. Projektleiterin Ilinca hofft, dass dieser Film die erste Folge einer Serie ist, bei der die Schüler weitere interessante Live-Informationen über die deutsche Gemeinde der vorangegangenen Generationen sammeln können, um deren Sitten, Bräuche, Traditionen und Alltag näher kennenzulernen. 

Die acht „Journalistinnen“ Ioana Zăvoianu, Ecaterina Ștefan, Patricia Micu, Sandra Stănescu, Ioana Bolocan, Maria Nistor Chinole, Alexia Ulman und Marta Caranfil haben ihe Lehrer über deren Kindheit und Freizeitgestaltung befragt, aber auch über die „Qual des Lesens“ und die Teilnahme am Leben der deutschen Gemeinde. Dabei haben sie erfahren, dass einige Lehrer in Bukarest, andere wie-derum auf dem Lande aufgewachsen sind und dadurch komplett unterschiedliche Geschichten zu erzählen hatten. Hinzu kommt der Altersunterschied: ältere Lehrer hatten im sächsischen Dorf der Nachkriegszeit, inmitten der deutschsprachigen Gemeinde, eine komplett andere Wahnehmung als Stadtkinder, insbesondere jene aus rumänischen Familien, die kurz vor der Wende geboren sind. „Niemand erzählt über seine Kindheit“, motiviert Projektleiterin Ilinca die Idee. „Ich wollte irgendwie diese beiden Welten zusammenbringen und den Kindern zeigen, dass ihre Kindheit gar nicht so unterschiedlich ist von der Kindheit ihrer Lehrer und dass sie gleichzeitig vielleicht etwas aus deren Kindheit lernen können.“

Der Film zeigt eine Reise in die Vergangenheit der Lehrer, bietet eine Chance, über diese Vergangenheit zu reflektieren und Ähnlichkeiten und Unterschiede zu unserer Gegenwart zu erarbeiten, wie die Journalistinnen am Anfang des Films erklären. Die Informationen sollten danach im Deutschunterricht, in Geschichte oder in der Geschichte der deutschen Minderheiten verwendet werden. 

Kindheit und Freizeit

Generell empfinden alle Lehrer die Kindheit als die schönste Zeit ihres Lebens, in der sie „möglichst sorglos auf- und heranwuchsen, ohne daran zu denken, was morgen passieren wird“, wie der Deutsch- und Religionslehrer Sebastian Stica gesteht. Eine Zeit, die sie mit Freunden hauptsächlich draußen verbracht und wo sie viel Sport getrieben haben. Mădălina Popa bemerkt, dass die Eltern damals mehr Zeit für ihre Kinder hatten. „Als ich Kind war, wollte ich immer erwachsen werden, aber jetzt würde ich lieber zurück gehen“, meint die Vorschullehrerin Cristina Călinescu ein wenig melancholisch. „Kindheit ist alles, was schön ist. Deswegen  arbeite ich mit Kindern, ich möchte mich nicht von ihr trennen“, sagt Fabiana Vâlcu.

„Wir sprechen von ganz anderen Zeiten“, gibt Hilde Weidle zu bedenken, die seit 51 Jahren unterrichtet, „die Kindheit heute ist ganz anders. Ganz anders! Wir hatten Freizeit. Wir gingen nicht in die Afterschool, wir machten unsere Hausaufgaben daheim. Natürlich wurde bei uns zu Hause Deutsch gesprochen. Heute sprechen viele Eltern kein Deutsch und leider gehen sehr viele Kinder in die Afterschool. Ich finde, das sind gequälte Kinder, die um sieben Uhr morgens von zu Hause weg gehen und um sieben Uhr abends wieder zurückkommen. Persönlich bin ich damit nicht einverstanden: ein Kind braucht auch Spiel, braucht auch ein bisschen Freiraum für sich alleine. Kinder haben heute weniger Spielraum als wir. Kinder spielen heute anders: am Sofa sitzend auf dem Handy oder Tablet. Das behindert dann ihre Aufmerksamkeit und sie können sich schwerer beim Lernen konzentrieren. Ich glaube, die Kinder sind heute zu stark überfordert. Sie haben wenig Zeit für Unterhaltung, wenig Zeit, etwas zu tun, was ihnen wirklich Spaß macht.“

„Ja, die Kindheit heute ist total anders“,  bekräftigt auch die Vorschullehrerin Silvia Sâmbotelecan. „Genau wie Michael Ende in ‚Momo‘ geschieben hat: es wurden Kinderdepots eingerichtet, wo die Kinder lernen, zu spielen. Das ist katastrophal. Kinder müssen nicht spielen lernen, Kinder sind kreativ!“

„Die Kinder heute haben so viele Gadgets, Laptops, Tablets, Handys und ich glaube, dass ein großer Teil ihrer Freizeit von diesen gestaltet wird“, meint auch Biologielehrer Dorin Dochinoiu. „In allen Zeiten ist es aber wichtig, die Zeit angemessen einzuteilen zwischen Lernen, Lesen, Spielen“, findet Sebastian Stoica.

Freude am Lesen

Alle Lehrer erinnern sich, dass es wenige Bücher auf Deutsch gab, nur in den Bibliotheken und im Kulturpalast, manchmal bekam man welche von Verwandten aus Ostdeutschland – aber jeder hatte trotzdem deutsche Bücher daheim. Auch Oana Farkaș schmunzelt, wenn sie daran denkt wie sie Karl Mays „Winnetou“ oder die „Digedags“-Comics mit anderen Kindern getauscht hat. 

„Andere Beschäftigungen hatten wir nicht, wir hatten keine Gadgets. In meiner frühen Kindheit nicht einmal einen Fernseher“, erklärt Francisca Sechaczek.

„Wir hatten nicht so viele Bücher wie die Kinder heute und sie waren nicht so bunt und schön. Aber wir waren von Büchern fasziniert, weil wir ansonsten eigentlich nichts hatten, keine Handys, keinen Fernseher. Wir haben viele Geschichten gelesen“, erinnert sich Sorana Oltean.

„Es war für jeden etwas ganz Normales, zu lesen“, weiß Hilde Weidle.

Die heutigen Schüler scheinen hingegen vom Lesen nicht so beeindruckt zu sein: „Sie sollen mehr lesen, denn sie lesen wenig“, erklärt Ana Maria Răuca. „Sie müssen mehr lernen. Wir lernten viel mehr. Sehr viel mehr!“, meint auch Alina Harmann. 

Gemeinschaft, Feste und Sprache

Als einen der größten Nachteile der jetzigen Zeit empfinden die Lehrer das Schrumpfen der deutschen Gemeinde und den Verlust der Traditionen und sogar der Sprache. „Noch eine Generation muss aussterben und dann wird auch diese Sprache nicht mehr sein“, meint Silvia Sâmbotelecan über das Sächsische.

Von den zahlreichen Bräuchen, die sie in ihrer Kindheit kennengelernt haben, sind derzeit nur die wichtigsten Feiertage verblieben: Ostern, Pfingsten, Weihnachten, der Fasching und Martinsfest – aber auch diese scheinen nicht mehr so familiengeprägt zu sein wie früher, als man daheim gemeinsam bastelte, kochte, buk und sang. 

Ein weiteres Problem seien die Deutschkentnisse: „Damals lernten die Kinder Deutsch, weil das ihre Sprache war. Die heutigen Kinder lernen Deutsch, weil es ihre Eltern wollen”, bedauert Silvia Sâmotelecan.

„In meiner Schulzeit gab es fast keinen Schüler, der nicht eine Großmutter oder einen Großvater hatte, die Deutsch sprachen. Hier kann man in einer Klasse vielleicht fünf Kinder finden, bei denen zu Hause Deutsch gesprochen wird“, erklärt Francisca Sechaczek.

„Klar ist es für sie schwer, weil sie nicht perfekt Deutsch können. Aber sie freuen sich, diese Feste zu feiern“, meint Hilde Weidle.

„Ich glaube, die Kinder von heute lernen Deutsch mit derselben Freude wie auch damals. Leider haben sie vielleicht nicht so viel Zeit, miteinander Deutsch zu reden“, gibt Beatrice Alexandra Herbert zu bedenken.

Unabhängig davon scheint aber die deutsche Schule eine Gemeinschaft zu sein, in der die Schüler ab dem Kindergarten und oftmals bis zur 12. Klasse gemeinsam „wie in einer Familie“ leben, beobachtete Fabiana Vâlcu.

Für Sebastian Stoica ist das Erlernen der deutschen Sprache eine Tür, welche gleichzeitig den Zugang zur deutschen Kultur und zum deutschsprachigen Raum öffnet, wovon die Schüler nur pofitieren können.

Was wüschen die Lehrer den jetzigen Kindern?

Oana Farkaș, wie auch zahlreiche andere interviewte Lehrer, wünscht ihren Schülern, dass sie mehr lesen, mehr zusammen spielen und insbesondere mehr Deutsch sprechen sollen, „...also nicht nur in den Stunden (…), vielleicht auch in den Pausen“, schmunzelt Dorin Dochinoiu. Die Kinder „entwickeln sich und erweitern ihren Wortschatz nur durch Lesen“, bemerkt auch Cristina Călinescu. 

Andererseits wünscht ihnen Alina Harmann „mehr Implikation“, Fabiana Vâlcu die Beibehaltung der Schulfreundschaften auch im späteren Leben und Hilde Weidle hofft, dass sie „ernsthafte  Leute werden“ und „dass sie glücklich sind“. Manuela Mihăiță würde ihre Schüler gerne als Lehrer in der Schule sehen, um die deutschen Bräuche, Traditionen und die Kultur weiterzuführen und weiter zu vermitteln, ebenso wie Beatrice Herbert. Francisca Sechaczek hätte gerne, dass ihre Schüler „eine schönere und bessere Zukunft und Möglichkeit haben, auch andere Länder und Welten kennenzulernen“ und Mădălina Popa, dass sie „ein bisschen mehr Freizeit haben, ein bisschen mehr ihren Hobbys nachgehen. (…) Und mehr Zeit mit der Familie, damit man ihnen zuhört, dass man ein Ohr für sie hat, für ihre Probleme.“ 

Iris Naumescu hofft, dass den Schülern „die deutsche Sprache weiterhilft, dass sie etwas damit anfangen können”. Laura Stana bringt es auf den Punkt: „Ich hoffe, dass die Schüler es schätzen, dass sie in einer deutschen Schule sind. (…) Also bitte weiter machen mit Deutsch, es hilft auf jeden Fall!“


„Es war sehr interessant, weil ich vieles erfahren habe über die Kindheit der Lehrer und wie anders es für sie war. Die meisten Lehrer waren auch froh, über ihre Kindheit zu sprechen. 
Es gab nicht viele Handys und elektronische Gadgets und sie konnten mehr miteinander spielen, mehr lesen, sie konnten mehr hinausgehen. Ich habe erfahren, dass manche Lehrer in ihrer Kindheit auch während der Schulzeit hinaus gingen, um zu spielen. Das erscheint mir außerordentlich. Wir können heute auch hinaus gehen in den Pausen, aber es ist nicht dieselbe Sache. Jetzt sitzen immer mehr Kinder mit dem Handy in den Pausen oder machen Hausaufgaben, weil es zu viele sind und wir auch Nachhilfestunden haben. 
Vor den Interviews dachte ich, dass manche Lehrer nicht sympatisch sind, aber nachdem sie mir über ihre Kindheit erzählt haben und ich etwas mehr über sie erfahren habe, glaube ich, dass sie sehr nett sind. Es wäre ein Spaß, mit ihnen mehr Zeit zu verbringen, als wären sie Kinder, nicht Lehrer.“ 

Ecaterina Ștefan