„Verdiene ich das?“

Der Malteser Hilfssdienst organisiert Essen auf Rädern für bedürftige Menschen in Bukarest

Grigore Cojocaru beim Abholen des Essens

„Es ist schrecklich, ich kann mich nicht bewegen“, erklärte uns Marin Roman in seiner Wohnung. Er kann nicht einmal aufstehen. Als wir klingelten, kam er auf einem Bürostuhl zur Tür, den er mit den Füßen hin und her schiebt. Das letzte Mal, als man ihn wog, zeigte die Waage 188 Kilogramm.

Sind es in der Hauptstadt tatsächlich nur 20 Leute, die eine solche Unterstütztung brauchen? Wer helfen möchte, kann nähere Informationen unter maltez.ro finden.

Lidia Iarca und ihre Mutter. Mehr als zehn Minuten kann Cojocaru mit ihnen nicht verbringen. Er versucht in dieser Zeit zu erfahren, ob sie noch etwas brauchen.
Fotos: die Verfasserin (3), Malteser Hilfsdienst (1)

In einer Plastiktüte bringt der Mann einen kleinen dunklen Gegenstand ins Auto. Es ist das Handy von Marin Roman, dessen Akku leer ist und aufgeladen werden muss. Marin Roman, ein übergewichtiger Mann, der an krankhafter Fettleibigkeit leidet, hat seit einem Jahr keinen Strom mehr in seiner Wohnung in der Bukarester Ivo-Andric-Straße. Er ist seit gut vier Jahren arbeitslos und bekommt erst seit Kurzem Sozialhilfe. Er konnte sich einfach nicht mehr leisten, den Strom zu bezahlen. Seine Nachbarn haben aufgehört, ihm mit der banalen Aufladung des Akkus zu helfen. Diese Aufgabe übernimmt jetzt Cojocaru und bringt das Handy am nächsten Tag zurück. „So sind die Menschen“, sagt der nachsichtige Mann und startet das Auto.

Nicht alle aber sind so geduldig. Es riecht nach warmem, gekochtem Essen im Wagen, als Cojocaru die Lebensgeschichten der Menschen erzählt, die er als Vertreter des Malteser Hilfsdienstes in Bukarest besucht und unterstützt: Er bringt ihnen jeden Tag Essen. Krankheit, Einsamkeit, Depression und manchmal der Tod sind Probleme, mit denen er in diesen Kreisen regelmäßig umgehen muss. Im Verkehr verbringt der eher kleine Mann mit dem sanften Blick vielleicht die meiste Zeit – nicht mehr als 10 Minuten kann er sich bei jeder Person aufhalten. Seine Stimme ist angenehm. Bei jeder erzählten Geschichte nickt er verständnisvoll und macht eine kleine Pause. Seine Visitenkarte ist die makellose Art und Weise, wie er seine Tätigkeit durchführt.

Erzählt wird von Marin Roman. „Er hat nur eine Gasflasche und wir werden ihm bald einen Ofen besorgen“, setzt Cojocaru fort. Der 60-Jährige hatte vor Jahren ein kleines Geschäft – er verkaufte alte Bücher am Universitätsplatz. Das Geschäft ist zugrunde gegangen. Roman wurde arbeitslos, depressiv und nahm zu. Übergewichtige Menschen leiden oft an Depression. Die Ausgrenzung von der Gesellschaft löst die Schwermut aus. Es ist nicht lange her, dass ihm ein Hund gebracht wurde. So ist er weniger alleine. Seine Wohnung hat er seit langer Zeit nicht mehr verlassen, da er die Treppen nicht hinuntergehen kann. Cojocaru erläutert, dass ein Arzt gefunden wurde, der bereitwillig ist, eine Operation für die Fettreduzierung durchzuführen. Wesentlich sind aber die Prothesen und die Periode vor und nach der Operation: Insgesamt ein Jahr sollte er in einem Zentrum betreut werden.

Essen auf Rädern

An diesem nassen Herbsttag ist Marin Roman nicht die erste Person, der das Essen nach Hause gebracht wird. Das Auto mit der Beschriftung und dem kennzeichnenden roten Kreuz des Malteser Ordens hält zuerst am Rande Bukarests: Hier holt Cojocaru das warme Mittagsessen für 20 Senioren ab – Leute in der Hauptstadt, die krank und allein sind. Der Kontakt zu den meisten wurde durch die katholische Kirche hergestellt. Die Beziehung zu ihnen pflegt Grigore Cojocaru, der jeden Einzelnen fragt, ob es Probleme gibt und was er tun kann. Seine Tätigkeit hat er bei dem Malteser Hilfsdienst als Freiwilliger begonnen: „Ich habe immer geholfen, soweit ich konnte“, meint er und fährt kopfnickend fort: „Es gibt viele, viele Leute, die Hilfe brauchen“.

Das Vertrauen der Leute, mit denen er jeden Tag in Kontakt kommt, hat er allmählich gewonnen. Gegen Mittag klopft Grigore Cojocaru ans Fenster eines Hauses auf einer ruhigen Straße in der Hauptstadt. Georgeta Matei (92) ist alleine zu Hause und erwartet ihn. Sie eilt zum Fenster, öffnet es und drückt ihm den Schlüssel zu ihrem Haus in die Hand. Das ganze Haus ist abgesperrt und ihr fällt es schwer, aufzusperren. Als ihr das Essen zum ersten Mal gebracht wurde, hat sie die Initiative des Malteser Ordens für verdächtig gehalten. Sie konnte nicht verstehen, wieso jemand das tun würde, ohne irgendeinen Zweck zu haben. „Wieso bin ich ihnen das Wert? Warum opfert man sich für mich? So dachte ich damals“, meint die Dame mit Tränen in den Augen und zitternder Stimme, als ihr das Essen gebracht wird. „Das machen wir aus Respekt vor den Menschen. Nicht aus Mitleid“, erklärt Cojocaru. „Ich fühle mich wohl, wenn Sie das sagen. Dann bin ich keine Bürde für andere“, erwidert Frau Matei.

Auch wenn Cojocaru heute Essen an ungefähr 20 Leute liefern soll, bleibt er noch ein wenig bei der alten Dame, die sich nur schwer bewegen kann. Dabei erzählt sie von ihrer Vergangenheit. An ihr Leben in Klausenburg und ihre Arbeitsstelle erinnert sie sich gerne. Dass sie nach Bukarest gekommen ist, betrachtet die Seniorin nicht gerade als die beste Entscheidung, denn jetzt ist sie alleine: Ihre Kinder und ihr Mann sind gestorben. Sie wirkt resigniert, als sie von ihrer Nichte erzählt, die im gleichen Haus wohnt, aber die meiste Zeit nicht da ist.

Die Geschichte wiederholt sich

Ähnliche Geschichten wie die der Frau Matei spielen sich parallel ab: Murat Getved ist extrem mager und krank. „Als er noch als Blumenhändler im Obor-Stadtviertel gearbeitet hat, hat er viel geraucht“, erklärt Cojocaru. Mit einer 300 Lei-Rente kann er sich nicht viel leisten. Weiter fährt Cojocaru zu Silber Saimet, deren Hausschlüssel er immer dabei hat. Wenn die Dame nicht zu Hause ist, geht er einfach rein und lässt das Essen auf dem Küchentisch. Die Frau braucht Therapie und verbringt täglich ein paar Stunden im Krankenhaus. Lidia Iarca (61) leidet an essenziellem Tremor. Ihre Mutter (80), die selbst an Parkinson erkrankt ist, muss sie mit dem Löffel füttern. Auch sie leben isoliert, da sie seit Jahren das Haus kaum verlassen können. Für sie soll der Malteser Hilfsdienst in Kürze einen Rollstuhl besorgen. „Es ist mir eine Ehre, dass ich für einen karitativen Dienstleister arbeite. Verdiene ich das?“, fragt sich Grigore Cojocaru unterwegs zu den nächsten Senioren.

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Malteser Hilfsdienst in Rumänien

Der Hauptsitz des Malteser Hilfsdienstes befindet sich in Klausenburg/Cluj- Napoca. Seit mehr als 20 Jahren organisiert die NGO verschiedene Projekte für Bedürftige – ältere Leute, Kranke, Behinderte und andere gefährdete Gruppen. Insgesamt 1200 Volontäre werden eingesetzt, damit diese Leute ein besseres Leben führen können. Dabei geht es um ein breites Spektrum von Projekten. Ausbildungen in Erster Hilfe, geistliche Programme und Interventionen nach Katastrophen zählen auch zu den Tätigkeiten des Malteser Hilfsdienstes. Viele Leute im Alter sind allein und haben niedrige Einkommen. Es kommt oft vor, dass ihr Gesundheitsstand oder die schwierige finanzielle Situation ihnen nicht erlaubt, für sich selbst zu kochen. Um ihnen zu helfen, wurde das Projekt „Essen auf Rädern“ ins Leben gerufen. Allein im Jahr 2013 wurde das Projekt in Bukarest für 21 Senioren, in Klausenburg für 23 und in Temeswar für 85 durchgeführt. 129 ältere Leute aus diesen Städten haben jeden Tag Essen bekommen: Insgesamt 42.000 Portionen wurden an sie verteilt.