Viel Theater um die Kunst

Zur Erstaufführung von „Tattoo“ an der deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters

Daniel Bucher, Daniel Plier, Emöke Boldizsár und Ali Deac in „Tattoo“ Foto: Adrian Bulboacă

Als Theaterdirektor Constantin Chiriac vor wenigen Jahren versprach, die deutsche Abteilung auf das Furore machende Niveau der rumänischen Sektion zu bringen, guckten ihn die meisten  (einschließlich die Verfasserin dieser Zeilen) ungläubig an. Das schier Unmögliche aber ist geschehen. Dafür stehen eine ganze Reihe Inszenierungen der vorigen Spielzeiten und erst recht die neueste Premiere, die am Samstagabend auf die Bühne kam: Am Samstag, also quasi Primetime, und nicht am gewöhnlichen Spieltag Mittwoch, wurde in der Regie von Radu Afrim, einem der Wunderkinder des neueren rumänischen Theaters, „Tattoo“ von Igor Bauersima und Réjane Desvignes in Erstaufführung in Rumänien geboten. Aufgeführt wurde das Stück in einer sehr aufwendigen Gestaltung durch den genauso gefragten Bühnenbildner Dragoş Buhagiar und den Videokünstler Andrei Cozlac.

Radu Afrim hat auch schon am Deutschen Staatstheater Temeswar/Timişoara, aber auch in Deutschland inszeniert und wurde von Anna Neamţu, der Leiterin der deutschen Abteilung in Hermannstadt/Sibiu, als „Liebhaber von Texten in Erstaufführung“ bezeichnet. Das Stück der beiden Schweizer wurde gewählt, weil es eine Gesellschaftskritik mit Humor sei, aber auch zu jenen Darstellern passte, die Afrim im Casting ausgewählt hatte. Der Text enthält Situationskomik und Gefühl und sei wie ein Filmdrehbuch geschrieben, sagte der Regisseur. Weil darin ein Installationskünstler vorkommt, wurde die Videokunst in die Dramaturgie miteinbezogen. Afrim, Buhagiar und Cozlac schufen auf der Bühne einen Hightech-Raum, in dem die fünf Darsteller sich entfalten. Es ist ein schönes Universum, meinte Daniel Plier, der den (vermeintlichen) Looser Fred Freitag darstellt, auf der Pressekonferenz.

Die fünf Protagonisten spielen ein Melodram: Die arbeitslose Schauspielerin Lea (Emöke Boldizsár) jobbt für eine Radio-Sendung, ihr Mann Fred versucht seit vier Jahren, seinen Roman fertig zu schreiben, ihr in dem kleinen Einzimmer-Arbeits- und Wohnraum zugetragenes Leben beginnt völlig aus den Fugen zu geraten, als eines Tages Leas Schulfreund Tiger (Ali Deac) reinplatzt, der in Los Angeles als Concept-Art-Künstler Karriere gemacht hat. Zu jedwelcher „Kunst“-Tat bereit, würde er eines dennoch nicht: Seinen mit kunstvollen Tattoos verzierten Körper verkaufen – weshalb er ihn Lea vermacht, sollte er sterben. Das passiert (angeblich) kurz darauf bei Videoaufnahmen für eine neue Installation, und Alex (Daniel Bucher), Tigers Assistent, bringt die „pastifizierte“, d. h. in einen Kasten gestellte, ausgestopfte Leiche in Leas und Freds Wohnung.

Darüber ist zunächst auch Naomi (Cristina Juks), Galeristin und Tigers Geliebte, sowie Leas Halbschwester, entsetzt, sie erkennt aber bald, dass der tote Tiger als „Kunst“ verhökert werden kann. Tiger hatte selbst gesagt, Künstler wird man nicht, man ist es. Na also! Was Kunst ist und wie weit man sich als Künstler selbst verkauft bzw. wo die Grenzen der Skrupellosigkeit im Geschäft mit und um die Kunst liegen, sind die Fragen, um die es letztlich in dem Stück geht. In der Abschlussszene erfährt der Zuschauer etwas überrascht, dass es sich um das Stück handelt, das Fred Freitag verfasst hat – worauf er allerdings zweimal bei der Frage hingewiesen wurde, ob das Durchschreiten der Wand von der einen in die andere Wohnung möglich sei.

Theater rund um die Kunst also. Die beste schauspielerische Leistung erbringt in diesem Stück Ali Deac mit einer großartigen Bühnenpräsenz als überschwänglicher, singender und rappender Künstler – und im Kontrast dann als Leiche. Köstlich ist Daniel Bucher als trottelig wirkender Max, etwas weniger dankbar war Daniel Pliers Rolle als von inneren Konflikten zermürbter erfolgloser Fred, die er aber in gewohnt gekonnter Manier meistert. An die Grenzen des Grotesken und Peinlichen lässt der Spielleiter die beiden weiblichen Darstellerinnen (absichtlich) rutschen: Emöke Boldizsár wirkt als Lea zuweilen hysterisch, Cristina Juks als Naomi exaltiert und vulgär. Beiden gelingt es, in ihren Rollen nicht peinlich rüberzukommen.

Mit Humor und Schräge werden in der Inszenierung die Grundfragen nach den Idealen in der Kunst und der Freundschaft gestellt. Die Fragen bleiben jenseits der ironisch-grotesken Regieeinfälle, die unterhalten, offen.