„Viele nach dem Krieg Geborene kannten die Sprache nicht“

Das zweisprachige „Wochenblatt.pl“ ist die auflagenstärkste deutschsprachige Zeitung Polens

Dr. Rudolf Urban ist seit 2015 Chefredakteur beim „Wochenblatt.pl“.

Die ersten deutschsprachigen Zeitungen im Gebiet des heutigen Polens entstanden bereits im 17. Jahrhundert in Breslau, Danzig und Stettin – die drei Städte gehörten ab 1701 zum Königreich Preußen. Bis 1945 existierten zwischen Ostsee und Hoher Tatra mehrere Tausend Zeitungen und Zeitschriften mit unterschiedlicher Erscheinungsdauer. Eine Zäsur für die deutschsprachige Presse war der Zweite Weltkrieg und die Vertreibung der meisten Deutschen aus Pommern, Schlesien und Ostpreußen. In der Volksrepublik Polen waren keine deutschsprachigen Zeitungen zugelassen, dies änderte sich erst mit der politischen Wende 1989 und der Entstehung der dritten Polnischen Republik.

Die Deutschen bilden heute mit rund 140.000 Menschen (Volkszählung 2011) die größte nationale Minderheit. Die meisten von ihnen leben zwischen den oberschlesischen Städten Oppeln und Kattowitz, aber auch Niederschlesien, Pommern und Masuren gehören zu den historischen Siedlungsgebieten. Vereinigt haben sich die Deutschen in Polen in verschiedenen Organisationen, als Dachorganisation fungiert der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) mit Sitz in Oppeln, der das „Wochenblatt.pl“ herausgibt.
Mit rund 6000 Exemplaren ist das „Wochenblatt.pl“ die auflagenstärkste deutschsprachige Zeitung in Polen. Ein Alleinstellungsmerkmal ist ihre Zweisprachigkeit. „Mit unseren Artikeln in deutscher und in polnischer Sprache reagieren wir auf die weitgehende sprachliche Entwurzelung der Deutschen in Polen“, heißt es dazu. Seit August 2015 ist Rudolf Urban Chefredakteur des „Wochenblatts“. Mit ihm sprach ADZ-Redakteur Michael Mundt.


Herr Urban, wie entwickelte sich das deutschsprachige Pressewesen nach dem Amtsantritt von Tadeusz Mazowiecki, dem ersten nicht-kommunistischen Ministerpräsidenten?

Eine Pressearbeit gab es bereits vor der offiziellen Anerkennung der deutschen Minderheit in Oberschlesien, und zwar in Form eines Informationsbulletins, das in Ratibor (poln. Racibórz) im Samisdat herausgegeben wurde. Später wurde aus diesem Bulletin die „Oberschlesische Stimme“, die heute immer noch als Beilage zu unserer Zeitung alle zwei Wochen herausgegeben wird.

Eine offizielle Presse gab es aber erst ab 1990, also ein halbes Jahr nach der Wahl Mazowieckis zum Premierminister. Zunächst haben sich die Organisationen der Minderheit strukturiert und dann kamen die Medien. Das heutige „Wochenblatt.pl“ ist die älteste und größte Zeitschrift der Minderheit und wurde bereits 1990 als „Oberschlesische Nachrichten“ erstmals herausgegeben. Die anderen Organisationen der deutschen Minderheit haben später ihre eigenen Periodika auf den Markt gebracht, von denen einige heute immer noch herausgegeben werden, die meisten aber eher als Monatsblätter oder Quartalsschriften.

Stellen Sie unseren Lesern doch kurz Ihre Zeitung vor. Wie ist das „Wochenblatt“ aufgebaut?

Das „Wochenblatt.pl“ besteht jede Woche aus 16 Seiten, auf denen wir uns vorwiegend mit Themen befassen, die mit der deutschen Minderheit zu tun haben. Wir sind also keine deutschsprachige Zeitung über Polen, sondern eine Zeitschrift für und über die deutsche Minderheit. Natürlich gibt es auch tagesaktuelle politische und wirtschaftliche Themen, die wir aber immer aus dem Blickwinkel der Minderheit betrachten. Wir berichten also auch über die kleinen Initiativen in den einzelnen Ortsgruppen der Organisationen der deutschen Minderheit, seien es die Samstagskurse, in denen Kinder spielerisch Deutsch lernen oder die mittlerweile ziemlich bekannten „Miro Deutschen Fußballschulen“. Es dreht sich also nicht immer alles nur um Politik.

Und da es bei uns im Untertitel heißt „Zeitung der Deutschen in Polen“, widmen wir uns nicht nur der Minderheit in Oberschlesien, sondern schauen auch auf die anderen Regionen und deren Probleme, Erfolge und Pläne.

Warum erscheint das „Wochenblatt.pl“ sowohl in deutscher als auch in polnischer Sprache?

Da muss man mehr in die Geschichte eintauchen. Deutsch war nach 1945 vor allem in Oberschlesien verboten, viele nach dem Krieg Geborene kannten die Sprache also nicht, weil sie auch zu Hause nicht gesprochen wurde, aus Angst vor Strafen und Anfeindungen. Diese Menschen haben aber trotz des Sprachverlustes ihre Bindung an die deutsche Kultur nicht verloren und haben deshalb zu Beginn der Tätigkeit der deutschen Minderheit sehr aktiv mitgearbeitet. Für sie wurde die Zeitung zweisprachig herausgegeben.
Heute sind wir immer noch eine zweisprachige Zeitschrift, die polnische Übersetzung richtet sich aber eher an die polnische Leserschaft, die sich für die Minderheit und ihre Tätigkeit interessiert. Das „Wochenblatt.pl“ ist oft die einzige Quelle für Informationen über das tägliche Leben der Volksgruppe.

Sie verzichten auf Agenturmeldungen aus Deutschland, berichten allerdings über die Bundesliga und drucken das deutsche Fernsehprogramm. Warum der Fokus in diesen Bereichen?

Unsere Leser, die Mitglieder der deutschen Minderheit, sind mit politischen Themen aus Deutschland recht gut vertraut, denn die überwiegende Mehrheit schaut zu Hause auch deutsches Fernsehen, also sowohl die Tagesschau als auch andere Nachrichtensendungen. Deshalb ist es nicht nötig, sie mit Meldungen aus der aktuellen Politik in Deutschland zu versorgen. Und da sie eben deutsches Fernsehen empfangen, ist für viele ein Fernsehprogramm sehr wichtig.
Die Bundesliga ist eine Geschichte für sich. Auch der nicht zur deutschen Minderheit gehörende oberschlesische Fußballfan interessiert sich für die Bundesliga, manchmal mehr als für die polnische Liga. Es ist also nur konsequent, wenn wir bei uns auf den Sportseiten die Bundesliga haben. Dabei werden Spielberichte, Analysen usw. oft nur auf Polnisch gebracht, weil der deutschsprachige Leser sich dazu auch im Fernsehen informieren kann.

Herausgeber des „Wochenblattes“ ist seit 2018 der VdG. Wie steht es um die kritische Berichterstattung über den Minderheitenverband und wie wird diese Herausgeberschaft von den Lesern beurteilt?

Wie die Herausgeberschaft beurteilt wird, kann ich schwer sagen, weil wir von unseren Lesern nur wenig Feedback erhalten. Das führe ich auf die Mentalität der Oberschlesier zurück, die sich nur ungern mit ihrer Meinung mehr oder weniger öffentlich zeigen.
Und wenn es um kritische Berichterstattung geht, ist es natürlich bei einem minderheitseigenen Medium schwierig, denn es ist eine Gratwanderung zwischen Kritik und eventueller Skandalsuche. Es ist nicht unser Auftrag, der Verkaufszahlen wegen ein Problem hochzupuschen, aber wir sprechen es in unserer Zeitung natürlich an. Manchmal hat das im Nachhinein zur Folge, dass ein längerer E-Mail-Verkehr stattfindet, in dem ich unsere Argumente dem Herausgeber oder einer Organisation der Minderheit erklären muss – bis heute wurden diese auch stets angenommen. Ich spreche geplante Themen auch nie mit dem Herausgeber ab, damit dieser eventuell im Vorfeld eingreifen könnte. So etwas gibt es bei uns nicht. Generell kann ich sagen, dass wir uns als Minderheitenmedium frei bewegen.

Vor welchen Herausforderungen steht das „Wochenblatt“ und welche hat es bereits gemeistert?

Der Weg vom Papier ins Netz ist eine Herausforderung, vor der wir stehen und die wir gut überlegen müssen. Denn es ist leicht zu sagen: Die Zeitung soll ihre Papierversion aufgeben, heute lesen sowieso alle nur noch auf den Webseiten. Wir haben immer noch eine große Leserschaft, die zur fortgeschrittenen Generation gehört. Die meisten von ihnen nutzen kein Smartphone oder zumindest einen PC. Diese Menschen wollen wir nicht verlieren. Wir müssen also überlegen, wie wir mit den zur Verfügung stehenden Mitteln in der kommenden Zeit quasi zwei Zeitungen parallel machen: eine für das Netz und eine traditionelle. Eine Lösung haben wir noch nicht.

Was uns gelungen ist, ist der Umbau unserer Redaktionen – ich sage das deshalb im Plural, weil die Medienabteilung des VdG neben dem „Wochenblatt.pl“ auch die Fernsehsendung „Schlesien Journal“ und mehrere Radiosendungen produziert. Fast alle unsere Journalisten sind zumindest bimedial, sodass wir ein Thema, wenn es denn passt, auch schnell in mehreren Medien verarbeiten können. Wer also nicht nur unsere Zeitung liest, sondern auch die Fernsehsendung schaut und Radio hört, merkt, dass wir ein konkretes Thema in jedem Medium immer gut darstellen und es nicht einfach nur eine Kopie des Zeitungstextes ist.

Im vergangenen Jahr entließ die polnische Regierung kritische staatliche Journalisten und verschärfte die Mediengesetze. „Reporter ohne Grenzen“ stellt fest, dass die Medien in Polen frei berichten können, doch besonders kritische Äußerungen über Politiker mit Verleumdungsklagen geahndet werden können. Spüren Sie auch beim „Wochenblatt“ Druck von Seiten der polnischen Regierung?

Nein, überhaupt nicht. Wir berichten sehr kritisch über die jetzige polnische Regierung, wenn es um Themen geht, die die Minderheit betreffen, wie beispielsweise das Verbot für deutsch-polnische Doppelstaatler, gewisse Berufe in Polen auszuüben, oder Versuche, minderheitensprachlichen Unterricht de facto zu verringern. Wir werden, was ich dazu sagen muss, auch vom polnischen Staat als Medium gefördert. Anfangs hörte ich von einigen, wir sollten kürzer treten, damit uns die Mittel nicht gekürzt und damit die Existenz weggenommen wird. Bis heute habe ich aber vonseiten der Regierung keine einzige kritische Bemerkung bekommen. Vielleicht weil wir als Nischenmedium von der Regierung nicht als Gefahr gesehen werden.