Virtuelle Bestattung

Eine große Facebook-Gemeinschaft hat den Anthropologen Vintilă Mihăilescu auf dem letzten Weg begleitet

Foto: Privatarchiv V.M.

Vintilă Mihăilescu ist am Samstag, dem 21. März, verstorben. Der 68-jährige Anthropologe, Universitätsprofessor, Publizist und Museumsdirektor litt an Leukämie. Trotz einer Behandlung in Frankreich, für die sich zahlreiche Bewunderer in einer großen Spendenaktion eingesetzt haben, hat die Krankheit gesiegt. Der lebensfrohe Professor, der aufmerksame, neugierige „Forscher des Lebens in all seiner Vielfalt“ (Scena9), eine sehr aktive Person, ist gegangen, „Feldforschung in einer anderen Welt zu treiben“, wie einige seiner Studenten nach dessen Tod schrieben. Vintilă Mihăilescu hatte ab 1993 an der Fakultät für Soziologie und Psychologie der Universität Bukarest unterrichtet und leitete seit 1997 den Anthropologie-Masterstudiengang der Universität Bukarest. 20 Jahre lang war er Leiter des Soziologie-Katheders des Instituts für politische Wissenschaften, SNSPA, der Bukarester Universität. Zwischen 2005 und 2010 war er Leiter des Nationalen Bauernmuseums. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, das letzte spricht von seiner eigenen Krankheit, von Leben und Tod, von der Erfahrung, den Leiden im Krankenhaus: „În căutarea corpului regăsit. O ego-analiză a spitalului“ (Auf der Suche nach dem wiedergefundenen Körper. Eine Ego-Analyse des Krankenhauses), Polirom-Verlag, 2019. Als feiner und unermüdlicher Beobachter des Lebens, der Menschen, der Welt, hat er mit klarem Blick die rumänische Gesellschaft erfasst und in seinen Büchern beschrieben. Er war einer der bedeutendsten rumänischen Anthropologen, der wichtige wissenschaftliche Inhalte verständlich machen und politische, soziale und persönliche Verhaltensweisen, Situationen und Momente nachvollziehbar erklären konnte.

Unter normalen Umständen hätten ihn mit Sicherheit sehr viele Freunde, Kollegen, Mitarbeiter, Studenten, Leser auf seinem letzten Weg begleitet, sich von ihm verabschiedet. Doch in Zeiten des Coronavirus wurde der Professor, gemäß den Vorschriften, in Anwesenheit seiner engsten Familie (fünf Personen), des Priesters und des Kantors auf dem Friedhof „Sfânta Vineri“ in Bukarest bestattet. Die andern, die ihn noch einmal hätten grüßen oder sehen wollen, haben sich am Dienstag, dem 24. März, um 13.30 Uhr, zur Zeit der Bestattung, im Internet versammelt, um gemeinsam zu trauern. Auf der Facebook-Seite „Priveghiul lui Vintilă“ haben sie Fotos mit Kerzen, mit Vintilă bei der Feldforschung, bei Festen, Diskussionen oder Konferenzen gepostet, auch Bilder mit weißen Tauben, strahlendem Himmel, mit dessen Büchern waren zu sehen, Erinnerungen und rührende Danksagungen an ihn kamen aus aller Welt. Zahlreiche bedanken sich für alles, was er sie gelehrt hat, für alles, was sie von ihm lernen konnten, beispielsweise: die Welt klarer zu sehen, ihre Nuancen zu beobachten, offen zu sein, die Menschen zu verstehen, sie nicht zu beurteilen oder zu verachten. Virtuell äußerten viele ihren Dank dafür, dass der Professor, „Domn’ Profesor“, wie sie ihn nannten, ihr Leben geändert habe, dass sie durch den von ihm geleiteten Anthropologie-Masterstudiengang einen neuen Sinn im Leben gefunden haben. Er war der Mentor vieler. Die Äußerungen auf Facebook sind voller Liebe und Dankbarkeit, sodass kein Auge trocken bleibt.

„Jemand soll eine digitale Beschreibung darüber verfassen, wie wir gemeinsam im Netz weinten“, schrieb jemand. „Vintilă, du bringst uns zusammen, so wie immer“, schrieb ein anderer. Und tatsächlich, er hat sie alle zusammengebracht, dieses Mal aber leider nicht physisch, wie sonst, sondern virtuell – angepasst an die Zeiten, die wir leben, und die er uns, sicherlich, nach der Krise klar und verständlich hätte erklären können.
Ruhe sanft, Vintilă Mihăilescu!

Das Kultusministerium schrieb auf seiner Internetseite: „Vintilă Mihăilescu hat, für Rumänien, den vereinzelt angewendeten Begriff der Anthropologie in eine Disziplin der ausführlichen Studien und der Lebenslehre verwandelt. Er hat die Gemeinschaft der kulturellen Anthropologie entwickelt, indem er jungen Leuten Zugang zu diesem Bereich verschafft hat, sowohl durch seine wissenschaftlichen Arbeiten, durch seine Leitartikel, wie auch durch seine Tätigkeit als Mentor (…) Er hat zur Überschreitung der Grenzen verholfen.“

Anmerkung: Die öffentliche Facebook-Gruppe „Priveghiul lui Vintilă“ wurde in „Lumea lui Vintilă“ umbenannt. Jeder kann der Gruppe beitreten. Am Mittwochmorgen waren fast 700 Mitglieder eingeschrieben.