Vom Klittern einer „Weltmacht“

RANDBEMERKUNGEN

Durch den von Putin angeordneten brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine sei die Ukraine „neuerlich im Zentrum eines Konflikts mit globalem Potenzial gelandet“. Interessanterweise (und wohl nicht ganz zufällig – man lese mal genauer die Stellungnahmen des Boris Johnson zu diesem Brandherd...) sind es englische Historiker und Journalisten, auf die sich der an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lemberg (eine private Hochschule der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche) lehrende Professor Yaroslaw Hrytsak mit dieser Behauptung stützt. Auch Zitate wie „der Erste Weltkrieg (habe) das Schicksal der Ukraine ausgelöst“ und „der Zweite Weltkrieg (sei) vor allem ein ukrainischer Krieg“ gewesen, stammen von dieser Seite. Wie frappierend diese Wiederholung ist, zeige nach Professor Hrytsak die Tatsache, dass der potenziell durch nichts auszuschließende Dritte Weltkrieg wieder auf die Ukraine zurückgeführt werden könnte.

Die Ukraine und Russland gingen auf dieselben Wurzeln (Kiewer Rus) zurück, hätten sich aber auseinanderentwickelt, erklärt der Historiker: Die     Ukraine westwärtsgewandt (lange unter polnischem Einfluss), Russland in Richtung einer orientalischen Despotie mit byzantinischen Einflüssen, wobei der Despot auch im Kommunismus seinen festen Platz hatte. Und wenn der Despot Putin heute davon überzeugt ist, dass die Ukraine und Russland Teile ein und desselben Staatsgefüges sind, dann meint er implizite, dass es nur ein Russland gibt und dass die Ukraine ein Teil davon ist, das reintegriert werden muss. Dass es die Ukraine faktisch gar nicht geben kann, nur Russland. Auch so kann man seine Aussage von der „größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ verstehen, dem Auseinanderbersten der Sowjetunion.

Der Historiker Yaroslaw Hrytsak zitiert einen weiteren Briten, H. J. Mackinder (die Briten verstehen etwas von Weltherrschaft...), laut dem „die geographische Achse der Geschichte“ die Ukraine durchtrenne, mit der Folge, dass derjenige, der die Ukraine besitzt/kontrolliert, implizite Osteuropa, die ganze Welt kontrollieren wird. Ist denn Putins Aggression etwas anderes als der Ausdruck einer krankhaften Obsession, die Wiederherstellung untergegangener Größe, das Klittern einer Weltmacht?

Für Lenin und Stalin sei die Ukraine die Brücke und das Katapult zum Export der Revolution nach Deutschland und von dort in die ganze Welt gewesen (die Ukraine sozusagen als „Schlüssel“ im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Russland), für Putin sei die Ukraine das Trampolin zur Russifizierung der Welt, denn in seiner Vorstellung sei „Deutschland“ längst mit dem „Abendland“ ersetzt worden. Wenn die russische Propaganda wie besessen von der „Entnazifizierung“ der Ukraine spricht, könnte sie damit eine zivilisatorische Umkehr meinen, was hieße, dass Russland einen Krieg führt für eine „zivilisatorische Rückführung“ der Ukraine zur „Matuschka Rossija“. So absurd es klingt: Das Handelsdenken des Westens hat allzu lange alle anderen Überlegungen übers Handeln Russlands verdrängt und war hinderlich beim Versuch, einen Blick hinter die Hirnschalen russischer Entscheidungsträger zu werfen – denen „das Volk“ („der große Lümmel“) mehrheitlich willig folgt. Man ist allzu lange ihrer (professionell und überzeugend vorgetragenen) Lügenrhetorik aufgesessen.

Nun hat sich der gute Taktiker Putin dem jämmerlichen Strategen Putin als unterlegen erwiesen. Der Keil, den er mit der Zerstörung der Ukraine unter dem Vorwand der Entnazifizierung in einen demokratisch zerstrittenen Westen treiben wollte, steckt in seinem eigenen Oberschenkel. Noch nie war das Abendland einiger, auch wenn Putin im Glauben gehandelt hat, er bekämpfe das Abendland stellvertretend in der Ukraine.

Trotzdem: Vom Ausgang dieses Krieges hängt die Weltordnung der Zukunft ab.

Die Zukunft der Ordnung in unserer Welt.