Vom Traktorenwerk zum Coresi Shopping Resort

Kronstädter Stadterneuerung schafft Freiraum für Mall, Bürohochhäuser und Wohnanlage

Traktoren-Ausstellung vor dem Werk (1976) Foto: orasulmemorabil.com

Coresi Shopping Mall - „das Herz der Stadterneuerung“.

Der älteste Traktor steht nun vor Markenläden.

Allein dieser Hangar und der Turm der Hauptfassade überlebten den Werkabriss. Fotos (2): der Verfasser

Die „Uzina de Tractoare Brașov“ (UTB), das Kronstädter Traktorenwerk, war in den Jahren des kommunistischen Regimes ein Wahrzeichen der „sozialistischen Industrialisierung“. Zusammen mit dem Lkw-Werk „Steagul Roșu“, später „Întreprinderea de Autocamioane“ und nach 1989 „Roman S.A.“, mit „Rulmentul“, „Metrom“ und „Hidromecanica“, gehörte UTB zur Schwerindustrie-Hochburg von Kronstadt/Brașov. UTB entstand 1946 durch Umwandlung  der in der Zwischenkriegszeit gegründeten Flugzeugfabrik IAR. In seiner Glanzzeit war UTB, auch „Tractorul“ genannt, Arbeitsplatz für bis zu 23.000 Mitarbeiter, die jährlich rund 50.000 Traktoren verschiedener Größen fürs In- und Ausland herstellten. 

Das Werk gab dem Stadtteil seinen Namen; täglich strömten tausende Pendler aus der Region zur Fabrik. Die einzige Straßenbahn Kronstadts in kommunistischen Zeiten wurde eigens dafür angelegt, um den Norden der Stadt (Rulmentul-Werk) über Tractorul mit dem Süden (Astra-Viertel und Lkw-Werk) zu verbinden. 
Das Traktorenwerk bot auch Ausbildung, Arbeitsplätze und damit verbundene Dienstwohnungen in den zahlreichen Plattenbauten für Arbeitskräfte aus weniger entwickelten Landesteilen, vor allem aus der Moldau. Die meisten von ihnen sind Kronstädter geworden und betrachten sich inzwischen auch als solche.
„Tractorul“ war ein Großbetrieb mit allem, was dazu gehörte: Berufsschule, Werkkantine, Sportverein und Stadion, Poliklinik und Hospital vor allem für die eigenen Mitarbeiter und deren Familienmitglieder.

Umso dramatischer war der wirtschaftliche Zusammenbruch nach 1989, als klar wurde, dass so ein Großbetrieb in der freien Marktwirtschaft unter anderen Bedingungen als in der staatlichen Planwirtschaft mit einem mehr oder weniger gesicherten Absatzmarkt im In- und Ausland funktionieren musste. Der damalige Premierminister Petre Roman verglich kurz nach der Wende die rumänische Industrie mit einem Schrotthaufen. Unter den „Tractorul“-Arbeitnehmern verursachten solche Stellungnahmen verständlicherweise gerechtfertigte Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Privatisierungsabsichten wurden mit der Aufgliederung des Werkes und massiven Entlassungen in Verbindung gebracht; Streiks folgten. 1989 gab es  noch 8000 Arbeiter. 2007 wurde das Werk geschlossen. Man war tatsächlich am Punkt angelangt, wo der Verkauf des Alteisens für manche ein sehr gutes Geschäft darstellte.

Viel wertvoller war aber das eigentliche Werkgelände. Die rund 100 Hektar gelangten in den Besitz von  „Flavus Investiții“, eine Kronstädter GmbH, für die es anscheinend nicht schwer war, dafür 77 Millionen Euro aufzutreiben. Obwohl ursprünglich zunächst geleugnet wurde, dass die Traktorenproduktion in diesem Stadtteil total aufgegeben wird, war schnell ersichtlich, dass andere Interessen Vorrang hatten. Derselbe Petre Roman behauptete nun in Bezug auf „Tractorul“, man habe sich selbst sabotiert, das Werkgelände sei zum Objekt von Immobilienspekulationen geworden.

Konsum als Statussymbol

Dort wo früher Werkhallen und Hochöfen standen, entstand das „Coresi Shopping Resort“ (CSR). Es wird als eine der größten Malls Siebenbürgens bezeichnet und gilt als „pulsierendes Herz“ eines viel größeren Projekts, das in mehreren Etappen Bürohochhäuser und Handelsflächen („Coresi Business Campus“) und eine Wohnanlage („Coresi Avantgarden“) umfasst, mit rund 2200 Appartements (Einzimmerwohnungen, Wohnungen mit zwei und drei Zimmern) in 42 Wohnblocks mit fünf, sechs  oder acht Etagen. Die Hälfte der Wohnungen steht bereits - und ist, laut Angaben der Betreiber, auch verkauft. 

CSR wurde nach einem Entwurf von Sua Kay Architecs (einer Architektengruppe mit Sitz in Portugal und mit Erfahrung in solchen Projekten, vor allem im mittel- und osteuropäischen Raum) von Ceetrus (dem Nachfolger von Immoauchan – der Immobiliengruppe des französischen Auchan-Konzerns) gebaut. Es nimmt eine Gesamtfläche von 67.000 Quadratmetern ein und bietet zwei große Parkplätze (2400 + 1500 Stellplätze) an. 130 Läden  mit Bekleidung, Schuhwerk, Sportartikeln, Möbeln bis Lebensmitteln sind eingezogen. Es handelt sich um bekannte Namen, die zum Teil aus dem historischen Stadtzentrum umgesiedelt sind. Ein Food Court mit mehreren Restaurants, Cafés, Bars und ein Multiplex-Kinozentrum sind entlang der 650 Meter langen Fassade zu finden. Sie folgen dem Konzept, dass Shopping mit Erlebnis verbunden wird, dass man dort nicht nur einkauft, sondern sich mit Freunden trifft und auch die Freizeit gemeinsam verbringen kann. Dass die Mall dem historischen Stadtzentrum tatsächlich Konkurrenz im touristischen Bereich macht, ist wenig wahrscheinlich. Aber die Staus in der Petersberger Straße - die einzige direkte Verbindung zum Stadtzentrum  - sind ein Zeichen dafür, dass die Mall für Kronstädter und Kunden aus der Region Burzenland aber auch aus Zărnești und Predeal bis Sfântu Gheorghe  sowie für Touristen attraktiv ist. Im ersten Jahr nach der Eröffnung im Frühjahr 2015 waren es acht Millionen. Vom Hauptbahnhof sind es für Fußgänger nur zehn Minuten bis zu diesem Einkaufszentrum, das sich werbemäßig als „ein Riese unter den Riesen“ betrachtet. 

An die Vergangenheit erinnert nur noch der gewölbte Flugzeug-Hangar - ein Bau, der heruntergekommen ist, aber als Zeuge der einstigen Industrie-Architektur und für die Geschichte des Flugzeugbaus in Rumänien dennoch einen besonderen Wert aufweist. Für Anfang 2021 wird dort die Eröffnung eines Event-Zentrums angekündigt. Laut englischem Text auf dem Werbebanner der künftigen Baustelle wird „Sky-High Food & Entertainment“ versprochen. Ob sich dort auch noch Platz für ein Museum der Kronstädter Industrie (einschließlich Flugzeugbau) finden lässt? Davon war im Stadtrat auch die Rede. 

Ein Hub soll Gemeinschaft schaffen

Was bereits in diesem Viertel, genauer gesagt im Coresi Avantgarden, auf hundert Quadratmetern im Erdgeschoss eines Blocks eingerichtet wurde, ist ein Hub – ein Zentrum oder Drehpunkt, ausgestattet mit moderner Technik. Die Initiative von „Ceetrus“ in Kronstadt, unterstützt von „Kasper Development“ und koordiniert von Learnex, richtet sich an zwei sehr unterschiedliche Zielgruppen, einerseits Kinder und Jugendliche, andererseits Unternehmer. Workshops, After School, berufliche Orientierung aber auch Spiele sollen den Jüngeren eine sinnvolle Freizeitgestaltung und persönliche Entwicklung ermöglichen. Den Unternehmern soll dieser Treffpunkt vor allem als Ansatz zum Networking zur Verfügung stehen. Die Grundidee dieses Begegnungszentrums - das zweite in Rumänien nach jenem im Bukarester Stadtviertel Drumul Taberei - klingt in Daniela Kaspers Beschreibung sehr schön: „Wenn wir früher vor allem auf das Äußere und die Qualität eines Baus Wert gelegt haben, so wünschen wir uns heute, innerhalb jedes Gefüges Räume zu schaffen, die die Gelegenheit zur Sozialisierung, zu Bewegung und Anregung, zur Entwicklung bieten.“ Das Begegnungszentrum soll verbinden, die Nachbarschaft fördern, gemeinsame Initiativen entstehen lassen, selbst wenn es nicht ausschließlich für die Bewohner dieses Stadtviertels gedacht ist. Diese erhalten immerhin eine 10-Prozent-Ermäßigung im Dienstleistungsangebot.

Die soziale Seite dieses ehrgeizigen Stadterneuerungsprojektes bleibt aber nebensächlich. Die Mieteinnahmen für Handelsflächen und Büroräume, der Umsatz in den Bereichen Handel und Unterhaltung sichern ein profitbringendes Business, so wie der Kapitalismus es den Leuten mit Kapital und Ideen versprechen mag. Das Traktorenwerk von einst, Symbol der sozialistischen Planwirtschaft, gehörte anderen Zeiten an und ist nun, zusammen mit ihnen, untergegangen.