Von Erdpyramiden und Jadescheiben

Das Archäo-Puzzle der chinesischen Jungsteinzeit

Im Nationalen Geschichtsmuseum fand am 17. und 18. Juni eine zweitägige Expertenkonferenz mit chinesischen Archäologen und Historikern als Gastvortragende statt. Wie Museumsdirektor Dr. Ernest Oberländer-Târnoveanu betonte, ist die noch bis zum August andauernde China-Ausstellung im Museum nicht nur das größte Kulturprojekt der Chinesischen Volksrepublik in Rumänien, sondern auch Anlass für eine intensive wissenschaftliche Zusammenarbeit. Die auf der Konferenz behandelten Themen reichten von archäologischen Entdeckungen im Mausoleum des Kaisers  Qinshihuang (Vortragender: Zhang Jianlin, Direktor des Archäologieinstituts Shaanxi) über antike Bronze- und Porzellankunst (Xu Xiaodong, Forscherin im Palastmuseum) bis zur buddhistischen Kunst in der Sui-Dynastie (Li Baihua, Forscher im Museum Shanghai). Zu dem im Folgenden präsentierten Thema, „Die Jungsteinzeit und ihre Reflexionen in den archäologischen Entdeckungen von Shanghai“, referierte Song Jian, Direktor der Archäologieabteilung des Museums Shanghai.

Wir reisen gut 7000 Jahre in der Zeit zurück. Damals war die Fuquanshan-Kultur die am höchsten entwickelte Zivilisation am gelben Fluss. Heute erinnert nur noch ein gewaltiger Erdhügel bei Shanghai an eine Zeit, in der Schamanen den Göttern Opfergaben in Schalen aus menschlichen Schädeldecken darbrachten, in der feingeschliffene Jadescheiben und Kultbeile als Grabbeigaben den sozialen Status des Verstorbenen anzeigten, in der Frauen lebendig neben ihrem verstorbenen Gemahl begraben wurden...

Ein Friedhof als Kaleidoskop des Lebens

Der 7000 Quadratmeter große Friedhof von Fuquanshan ist ein Eldorado für Archäologen. Über 1000 Jahre war er in Gebrauch und reflektiert mehrere unterschiedliche Kulturperioden. Die wichtigste Entdeckung, die bei Grabungen im Jahr 1980 erfolgte, war die einer Erdpyramide, etwa so alt wie die ersten ägyptischen Pyramiden. Sie diente als Grabstätte für Stammesfürsten. Reisen wir weiter zurück in die Jungsteinzeit, kann man zwei Perioden anhand ihrer Begräbnisgewohnheiten unterscheiden: Die erste um 5400 v. Chr., die sich durch chaotische Lage der Gräber – eines über dem anderen – auszeichnete, und eine zweite um 4400 v. Chr. mit strikter sozialer Hierarchie, die sich in der Anordnung der Grabstätten widerspiegelt.

Bei Neolithikum denkt unsereins an die reichverzierten Gefäße der Cucuteni- und Gumelnitza-Kulturen, an beleibte Fruchtbarkeitsgöttinnen und buntbemalte Vasen mit Tierköpfen und -füßen. Obwohl auch in der China-Ausstellung ein frappierend ähnliches Gefäß aus derselben Zeit gezeigt wird, gibt es zur Kunst der Fuquanshan-Kultur dennoch keinerlei stilistische Parallele. Die Tongefäße bestechen – im Gegenteil – durch extrem schlichte Formgebung, perfekte Rundungen und Symmetrien, sowie zoomorphe Elemente, insbesondere von Vögeln, die jedoch nur in stilisierter Form angedeutet sind: Ein steil nach oben gestreckter Schnabel bildet den Ausguss der Kanne, der Schwanz elegant zum Henkel aufgebogen; vier fußlose lange Beine halten ein Deckelgefäß.

Noch ungewöhnlicher sind die übrigen Grabbeigaben: glattgeschliffene, dünne Jadescheiben mit einem Loch in der Mitte, ohne jegliches Dekor – als kämen sie direkt aus einer Maschine! Je höher der Rang des Verstorbenen, desto mehr dieser Scheiben legte man ihm ins Grab. In Größe und Form ähneln sie frappierend modernen CR-Roms, Anhänger von Theorien über außerirdische Besucher hätte ihre Freude daran... Auch Gefäße mit modern wirkendem, streng geometrischem Dekor, Kultbeile aus Jade und filigran gearbeitete Zepter aus Elfenbein sind typisch für diese Zeit. Der kürzliche Fund eines antiken Elefantenschädels, verrät Song Jian, lässt vermuten, dass es dort einst Elefanten gegeben haben könnte.
Im Gegensatz zu unseren matriarchalisch geprägten Steinzeitkulturen war die Führungselite in der Fuquanshan-Kultur ausschließlich männlich. Männer- und Frauengräber unterscheidet man leicht an typischen Beigaben: ein Kultbeil und zwei Diademe aus Jade für Männer, ein Collier und ein Jade-Diadem für Frauen. Weil jedoch keine Siedlungsreste mit Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens gefunden wurden, kann man nur aus Grabbeigaben auf Leben und Bräuche dieser Steinzeitkultur schließen.

Schamanismus und Spiritualität

Fest steht, dass diese von einer hohen Spiritualität und schamanischen Ritualen geprägt war. In einem Grab wurde neben dem Leichnam des Grabherrn der einer lebendig begrabenen jungen Frau entdeckt; ein anderes war von sechs Hunde-Gräbern umgeben. Während Beile und Diademe aus Jade den Status des Verstorbenen verraten, werden Schädelschalen und Jadescheiben als kultische Objekte interpretiert. Letztere symbolisieren die Verbindung zum Himmel, während die häufig anzutreffenden massiven Cong-Becher für die Erde stehen. Einige Gegenstände sind mit einem winzigen, dreiteiligen Design verziert, das über 3000 Jahre immer wieder auf verschiedenen Gegenständen auftaucht: Unten eine Art Tiergesicht mit wulstigen Lippen und umrandeten Augen, wächst in der Mitte aus dessen Kopf ein stilisiertes menschliches Antlitz hervor, das oben in ein ausladendes Diadem übergeht. Es sollte den Kontakt zu den Göttern herstellen, so der Experte. Mich erinnert es ein wenig an das Modell der dreigeteilten Seele, bekannt aus schamanisch geprägten Kulturen: das animalische, niedrige Bewusstsein, das realitätsbezogene Ich und das göttliche, höhere Bewusstsein...

Ein gigantisches Archäo-Puzzle

Tatsächlich ist eine solche Ausgrabungsstätte ein gigantisches Archäo-Puzzle, bei dem allerdings mehr Teile fehlen als vorhanden sind. So gibt es keinerlei Hinweise auf die Frage, welche Transportmittel man damals verwendete. Auch Schriftzeichen fand man keine, doch die unzähligen Kultbeile als Grabbeigaben hoher Würdenträger waren Formgeber für das spätere Idiogramm „König“. Immerhin gab es keine Lücken in der Kontinuität der Besiedlung: Das Gebiet um Fuquanshan war 6000 Jahre lang ununterbrochen bewohnt. Die Organisation des Friedhofs, die in der zweiten neolithischen Periode entstand, wurde auch von späteren Kulturen übernommen: Hohe Persönlichkeiten hatten ihre Gräber im Zentrum bis Süden, Frauen im Norden und Männer im Süden. Zwischen den Stammesfürsten gab es keine direkten Verwandtschaftsbande, was auf fehlende Erbfolge schließen lässt. Der Stärkste beherrschte das Volk – eine Philosophie, die sich später in der Konfuzianischen Lehre widerspiegelt, die besagt, es gäbe keinen Erbanspruch auf Land und der Fähigste solle das Schicksal der Bürger lenken. Manchmal erlauben auch Legenden aus der Region Rückschlüsse auf das frühere Leben, so der Experte.

Das Puzzlebild vom Leben in der Jungsteinzeit schimmert nur schwach durch den Nebel der Vergangenheit. Doch ist Archäologie nicht gerade deswegen so spannend, weil sie unsere Phantasie anregt?

Ungeklärt blieb leider auch die Frage nach dem chinesischen Steinzeitgefäß aus der Ausstellung, dessen Muster und Farbgebung der Keramik der Cucuteni-Kultur so frappierend ähnelt...