Von Zarin Theodora zum Thrakerkönig Dromichaites

Über die Brücke der Freundschaft – ein Tagesausflug nach Bulgarien

Im Naturpark Rusenski Lom | Fotos: George Dumitriu

Ein bulgarisch-rumänisches Zarenpaar stiftete diese bemalte Felskirche.

Wer traut sich, nach unten zu gucken?

Traditionell verziertes Brot zum Brotfestival

Musik und eine Hora trotz Hitze in der mittelalterlichen Festung von Cherven

Über Steinstufen klettern muss man auch zur Höhlenkirche im Kloster des Heiligen Dimitrie Basarabovsky.

Über Steinstufen klettern muss man auch zur Höhlenkirche im Kloster des Heiligen Dimitrie Basarabovsky.

Willkommensgruß im interaktiven Museum zum römischen Kastell Abritus

Hände als Zahlensymbole

Grabmal von Demir Baba Teke

Moderne Karyatide: unsere Dolmetscherin freut sich über den lavendelgesäumten Weg

Karyatiden in der Hauptkammer des Hügelgrabs von Dromichaites in Sveschtari

Ringsum bewaldete Hügel und Felswände, so weit das Auge reicht! Dann ein schwindelerregender Blick vom Balkon des bemalten Höhlenklosters, dort, wo früher der Eingang war, eine Holztreppe führte die Steilwand entlang nach oben. Eine Jakobsleiter wohl, beim Aufstieg hat man sicher alle Sünden abgebüßt... Nach unten führt dann ein schattiger Pfad durch den Naturpark. Hinter uns liegen die Felskirchen von Ivanovo – und vor uns noch viele Ziele: eine mittelalterliche Burg, ein weiteres Höhlenkloster, eine Römerfestung, ein Thrakergrab und ein muslimischer Kultort mit Heilkraft. Über 400 Kilometer legen wir zurück an einem Tag zwischen Bukarest, Russe und Razgrad, hat einer von uns ausgerechnet... 

Von Bukarest über Giurgiu und dann über die ellenlange, schmale Freundschaftsbrücke zwischen Rumänien und Bulgarien führt der Tagesausflug des touristischen Journalisten- und Schriftstellerverbands AJTR an einem strahlenden Junisamstag. Frühmorgens geht es los vor der bulgarischen Botschaft: ein Kleinbus, drei Pkw, ab der Grenze dann Polizeibegleitung. Mit dabei: sieben Journalisten, drei Blogger, Gäste der spanischen und ungarischen Wirtschaftsvertretung, der bulgarische Konsul und etappenweise die Präfekten der Bezirke Russe und Razgrad. Schulausflugfeeling... 
Wir lassen die Warteschlange an der Grenze hinter uns. Vor uns das schmale graue Straßenband – links und rechts nur noch Blau! Auf zu den Stätten, die davon zeugen, dass die Donau, lange bevor sie unsere heutigen Länder trennte, einen gemeinsamen Kulturraum begründet hat... 

Die Felskirchen von Ivanovo

Drüben angekommen führt ein trotz Ferienzeit ruhiges Landsträßchen durch sanfte bewaldete Hügel zum Naturpark Rusenski Lom. Wir erklimmen den felsigen Pfad zum Aussichtspunkt. Schnuppern an wilden Kräutern, knipsen Gruppenfotos, notieren in kleine Notizbücher, lauschen dem Reisebegleiter, der vor  Schlangen warnt und vom ägyptischen Adler erzählt, einer global gefährdeten Spezies, von der es auf dem ganzen Balkan nur noch 70 Brutpaare gibt, 28 davon hier. Weder Schlange noch Adler noch eine der 16 heimischen Orchideenarten geraten in unser Blickfeld, doch die Natur beeindruckt auch so: löchriger Muschelkalk mit so manchem fossilen Einschluss zeugt vom urzeitlichen Thetysmeer. Dazu Efeu und Lianen, der Duft von Walderde und frischem Grün. 

Den Weg zur Klosterkirche weisen schmucklose, in den Fels gehauene Hohlräume. Schon in prähistorischer Zeit suchten Menschen Zuflucht in den natürlichen Höhlen des Kalkstein-Steilufers des Flusses Lom, bis der Eremit und spätere Patriarch der Bulgarischen Orthodoxen Kirche, Yoakim, hier 1220 ein Kloster begründete. Er ließ die Höhlen erweitern und die heilige Gemeinschaft, von bulgarischen Adligen und Zaren aus der einstigen Hauptstadt Tărnovo und der Festung Cherven, zu der das Kloster im 13. und 14. Jh. innige Beziehungen pflegte, finanziell unterstützt, wuchs rasch an. So konnten die 40 Kirchen und Kapellen im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts von großen Künstlern ausgemalt werden – bulgarische mittelalterliche Malerei von hohem Niveau. Trotz unebener Flächen zeigen die Bilder ein Maß an Bewegung und Leben, für das zu jener Zeit nur wenige Parallelen zu finden sind, heißt es auf der UNESCO-Webseite, zu deren Weltkulturerbe-Liste das Kloster zählt. Die Gesichtszüge der Figuren seien mit eigener Individualität ausgestattet, zeigten eine eigene Gestik, selbst der Faltenwurf der Kleidung sei unterschiedlich, ungewöhnlich für mittelalterliche Malerei. 

Viele der Wandmalereien sind heute zerstört oder äußerst gefährdet. Die bedeutsamsten Bilder blieben in einer Höhlenkirche erhalten, die der Muttergottes geweiht war. Sie diente in der zweiten Hälfte des 14. Jh. als Hauptkirche des Klosters, das bis ins 17. Jh. von orthodoxen Mönchen genutzt wurde. 

Felsige Stufen führen in den in sanften Farben bemalten Innenraum. Es ist nicht der originale Eingang, der wäre heutigen Besuchern kaum zumutbar: Das Votivbild des Stifters direkt neben dem Balkon bezeugt, dass dort einst der Zutritt erfolgte. Nicht jeder hat den Mut, über die Brüstung nach unten zu blicken... Im Bauch des Felsens erzählen Fresken biblische Szenen: das letzte Abendmahl, Johannes der Täufer, Heiligenbilder – und natürlich der Stifter, Zar Ivan Alexander (1331-1371) der mit seiner Gattin Theodora der Muttergottes eine Miniaturkirche überreicht. 

Theodora ist übrigens Ende Mai dieses Jahres in Bukarest als Heilige Teofana Basarab kanonisiert worden. Ihre Geschichte reflektiert die enge Beziehung zwischen den balkanischen Häusern: Ihre Mutter war die Tochter des ungarischen Ban von Severin, ihr Vater kein Geringerer als Basarab I. der Große (1310-1352), Begründer des Fürstentums Walachei und der ersten rumänischen Herrscherdynastie. Theodora von der Walachei heiratete 1322 den zukünftigen Zaren Bulgariens, dem sie mehrere Kinder gebar, wurde jedoch später Nonne (von Ivan Alexander ist bekannt, dass er eine zweite Ehe mit einer Jüdin namens Sarah einging, die bei ihrer Christianisierung ebenfalls den Namen Theodora annahm) mit Ordensnamen Teofana.

Mittelalterliche Festung mit Brot-Festival

Der mittelalterlichen Festung von Cherven nähern wir uns abwärtsfahrend auf Serpentinen, leider ist bei dem großen Konvoi kein Fotostopp durchzusetzen. Pittoresk thront sie auf einem Felsplateau in einer Schlucht, dahinter erstrecken sich Weizenfelder wie ein endloses goldgelbes Meer. Im Tal angekommen müssen wir wieder steinerne Treppen erklimmen. Eine Einheimische erzählt, dass sich ältere Besucher oft Klappstühlchen und Sonnenschirme mitbringen, um beim Aufsteig Pausen einzulegen. Auf halbem Weg erfrischt ein übervoller Wildkirschenbaum mit winzigen, köstlichen Bitterkirschen. 

Oben kommt uns ein fröhliches Grüppchen Bulgarinnen in Trachten entgegen: Auf dem Plateau wird gerade ein traditionelles Brotfest gefeiert. Zu lauter Musik tanzt man trotz glühender Hitze begeistert Hora. Die Frauenvereine stellen ihre traditionell reich verzierten Brote aus, jedes Muster steht für einen bestimmten Feiertag. Als Souvenirs werden frische Teigflädchen verteilt, verziert mit hübschen Stempeln, die die Beschenkten vorsichtig auf der offenen Handfläche nach unten tragen, zum Erstaunen der Aufsteigenden.

Im 12. bis 14. Jh. war die Festung Cherven eines der bedeutensten militärischen, kulturellen und religiösen Zentren des zweiten bulgarischen Zarenreichs, 1253 wurde sie Sitz der Bulgarischen Orthodoxen Kirche. Außerdem galt sie als Drehscheibe für Handel und Handwerk. Sie entstand auf der Ruine einer viel älteren Festung aus dem 6. Jh., archäologische Funde zeigen jedoch, dass der Ort bereits von den Thrakern bewohnt war. 

Die Einsiedelei des Bukarester Schutzpatrons

Über ein romantisches Tal gelangen wir zur Felsenkirche des Dimitrie Basarabovsky im einzigen heute noch aktiven Höhlenklosterkomplex Bulgariens. Der Weg führt den Fluss Lom entlang, unter schattigen Bäumen stehen vereinzelt Wohnmobile und Zelte. An die obligaten Felsstufen bereits gewöhnt, muss man auch hier in praller Sonne klettern. 

Und wieder gibt es eine Verbindung nach Rumänien: Der Heilige, der in seiner Einsiedelei ein asketisches Leben führte, ist kein anderer als der Schutzpatron von Bukarest, dessen Gebeine in der orthodoxen Kathedrale ruhen und am Tag des Heiligen Dimitrie große Pilgerscharen anziehen. Die Legende erzählt, dass der 1685 verstorbene Mönch zuerst im nahen Dorf begraben wurde, bis der russische General Piotr Saltikov während des russisch-türkischen Krieges (1768-1774) die  sterblichen Überreste  nach Russland bringen wollte. Der Weg führte durch Rumänien, wo gerade die Pest grassierte. Doch oh Wunder, sobald die Reliquien in Bukarest ankamen, starb niemand mehr an der Pest! So sollen die Einwohner der Stadt den General gebeten haben, den Heiligen hierzulassen. 

Am Fuß des Felsens kann man an einem Andenkenstand natürliches Rosenwasser, Rosenparfüm und köstliches Rosen-Rahat erstehen. 

Römisches Kastell Abritus – interaktiv

Vom Kastell Abritus bei Razgrad, einer der besterforschten römischen Stätten Südosteuropas, sind nur noch Mauern und Säulen zu sehen... und doch liefert die Stätte tiefe Einblicke in das Leben der Römer. Am Eingang des interaktiven Museums empfängt uns Museumsdirektorin Tanya Todorova mit selbstgebackenem Sauerteigbrot, Lorbeer und Honig. Man darf dann, immer noch mampfend, in Schubladen gucken, Knöpfe drücken, horchen, Exponate befühlen. Ein Römer und eine Römerin wandeln in authentischer Kleidung umher. Ein Saal zeigt die zeitgemäße Mode: fließendlange, bequeme Kleider mit Borten und Schärpen. Aus einem Spiegel ragen künstliche Hände, die Handzeichen für Zahlen demonstrieren. In einem Raum veranschaulicht eine Wand bildhaft die Größen römischer Militäreinheiten. Eine Schubladenfront, mit Fragen versehen, verleitet zum Aufziehen. „Wie lange brauchten die Römer, um ein Lager für 6000 Mann aufzubauen?“ Antwort: Nur zwei Stunden! Zum Schluss entdecken wir im interaktivsten aller Räume ein Häppchen-Büffet und Wein-Karaffen... 

Im Hügelgrab von Dromichaites

Frisch gestärkt geht es weiter nach Sveschtari. Der Zugangsweg zum Grabhügel von Thrakerkönig Dromichaites ist von üppigen Lavendelbüschen gesäumt. Erdmännchen hüpfen pfeifend zwischen ihren Löchern hin- und her. Fotostopp vor der Blütenpracht, die dem Weltkulturerbe kurz die Schau stiehlt.  Dann müssen wir uns in zwei Gruppen teilen, nur zehn Personen dürfen das klimatisierte Monument gleichzeitig betreten.  Die Schleuse geht auf und das Hügelgrab verschlingt die ersten zehn. 

Und wieder eine Verbindung zwischen den Ländern: Das Reich von Dromochaites erstreckte sich um 300 v. Chr. auf beiden Seiten der Donau über Teile des heutigen Bulgarien und Rumänien. 

Hier habe die Hauptstadt gelegen, erzählt die Fremdenführerin, von zwei Festungsmauern umgeben, die Grabhügel außerhalb. Im 3. Jh. sei die Stadt vom Erdbeben zerstört und nie wieder aufgebaut worden. Erst 1982 wurde sie bei Ausgrabungen entdeckt. 

Die Türen zum Grab schließen lautlos. Im Halbdunkel: Drei Kammern mit Tonnengewölbe. Vor der Hauptkammer befand sich ursprünglich ein Scheintor mit drei „Eingängen“, darüber ein Medusenkopf, es steht jetzt daneben. In der Hauptkammer seien zwei von Grabräubern verwüstete Skelette gefunden worden, das eines 35-jährigen Mannes und das einer 25-jährigen Frau, draußen noch das intakte eines 60-jährigen Mannes, eindeutig eine Nachbestattung. Demnach ist Dromichaites wohl jung gestorben, einige Forscher halten sein Grab für unvollendet. Mitbestattet waren sechs Pferde, das wichtigstes Tier der Thraker. 

In der Hauptkammer scheinen zehn Karyatiden – Frauengestalten aus der griechischen Welt – das Gewölbe zu tragen, tatsächlich spielen sie statisch keine Rolle. Ein Pferdefresko zeigt, wie Dromichaites von einer Göttin mit Lorbeer bekrönt wird. In der Ecke zwischen zwei Figuren: die Skulptur des Seelenvogels. 

Die Kalksteinblöcke aus dem nahen Steinbruch sind nahtlos aneinandergefügt und innen fein behauen, außen aber, wo sie mit Erde bedeckt wurden, grob. Sie wurden mit Metallklammern fixiert und die Zwischenräume  mit Blei ausgegossen. In Vor- und Hauptkammer sowie auf der Scheintür sind Spuren von Farben und gemalten Ornamenten zu erkennen. Für Forscher noch unerklärlich ist die Bedeutung des Verbindungsfensters zwischen Nebenkammer und Vorraum. 

Nach der Ausgrabung hat man den gesamten  Hügel abgetragen und eine klimatisierte Kuppel auf Schienen über die Grabstätte geschoben, dann wieder zugedeckt, erzählt die Fremdenführerin. 

Grab 12 und Grab 13, schon in der Antike zerstört, geben interessante Aufschlüsse über die Bauweise der Hügelgräber: In Grab 12 wurde ebenfalls eine Scheintür entdeckt – als steinerne Schiebetür, unten mit Bronze beschlagen, in einer mit weichem Blei gefüllten Schiene.

Muslimisches Mausoleum mit heilender Kraft

Unweit von Sveschtari liegt das Mausoleum des Aleviten Demir Baba Teke, auch „eiserner Vater“ genannt, das im 16. Jh. auf einem Thrakergrab errichtet wurde. 222 Steinstufen muss man in die Schlucht hinuntersteigen. Steile Felswände umgeben die Grabstätte und ein kleines Museum mit Gegenständen aus dem Besitz des muslimischen Wundertägigen, dessen Kraft über seinen Tod hinaus wirken soll: Wer beim Abstieg ein Stück Stoff aus seiner Kleidung reißt, die eine schmerzende oder kranke Stelle bedeckt, und dort an einen Baum bindet, darf auf Heilung hoffen. Entsprechend schmücken zahllose bunte Stofffetzen die Natur. Im Mausoleum sind Kleider auf dem steinernen Sarkophag aufgetürmt. Vor dem Gebäudekomplex ergießt sich eine Quelle, die der Legende zufolge dem Fels entsprungen sein soll, als Demir Baba Teke während einer Dürre mit der Hand dagegen schlug. 

Auf dem Rückweg musste dann so mancher erkennen, dass beim Aufstieg und nach all der Kletterei dieses Tages die Füße schmerzten. Ob es hilft, die Schuhe an einen Baum zu binden? Von uns hat es wohl niemand ausprobiert, keiner ist barfuß zum Bus zurückgekehrt... 

Die Giurgiu-Russe-Freundschaftsbrücke queren wir dann tief in der Nacht - aber erhellt im Geiste: zwei gemeinsame Heilige, ein bulgarisch-rumänisches Zarenehepaar und ein Thrakerkönig über beider Gebiete. Die Brücke trägt ihren Namen zurecht.