Vorankündigung künftiger Sanktionen auf russische Energieträger

Die Feierlichkeiten zur Eröffnung von Nord Stream, unter anderem mit Angela Merkel und Dimitri Medwedew. Nach der Unterzeichnung warfen die Regierungen von Polen, Litauen, Lettland und Estland Russland eine Spaltung der EUund Deutschland die Nichtbeachtung ihrer Interessen vor. In Schweden wurde die Pipeline als „energiepolitisch falscher Schritt“ bezeichnet, auch wurde auf ökologische und Sicherheitsrisiken hingewiesen.
Foto: kremlin.ru/Wikimedia

Russlands brutaler Beschuss ukrainischer Städte dauert an. Tausende sterben; Millionen leiden. Doch was weitere Maßnahmen angeht, so bleibt der Westen in der wichtigsten Frage gelähmt: den Sanktionen auf russische Energieexporte. Von einem sofortigen und vollständigen Boykott auf russisches Gas und Öl besteht der beste Weg voran für die westlichen Länder, abgesehen in ihrer Selbstverpflichtung zu einer Sanktionsleiter, die sie im Laufe der kommenden Wochen dann auf vorangekündigte Weise erklimmen.

Die ursprüngliche Reaktion des Westens auf die russische Invasion folgte rasch und war stark und beeindruckend geschlossen. Doch wird immer deutlicher, dass sie zugleich unzureichend war. Die Auswirkungen der anfänglichen Erschütterungen, denen die russische Wirtschaft durch die Sanktionen ausgesetzt war, verblassen.
In den letzten Tagen hat sich der Wechselkurs des Rubels zunächst stabilisiert und ist dann steil gestiegen. Zugleich sind die Renditen von Staatsanleihen wieder gesunken. Die Konsensprognose für das russische BIP-Wachstum für 2022 liegt bei -8 Prozent – ein steiler Rückgang, aber durchaus kein Zusammenbruch.

Europa überweist täglich 700 Millionen Euro nach Russland

Es ist nicht schwer zu verstehen, warum die russische Wirtschaft und Präsident Wladimir Putins Regime es bisher geschafft haben, den Sanktionen standzuhalten.
Die Energieexporte – eine entscheidende Einnahmequelle für den russischen Staat – bleiben bislang von der Sanktionsliste ausgenommen. Tatsächlich haben steil steigende Energiepreise dem Kreml sogar massive Zusatzeinnahmen beschert. Im Februar, als Russland seine Invasion vorbereitete und begann, verzeichnete die Leistungsbilanz des Landes ihren höchsten Monatsüberschuss in fünfzehn Jahren.

Angesichts höherer Preise und wachsender Kapitalflüsse hat sich der europäische Beitrag zu Putins Kriegskasse seit Kriegsbeginn massiv erhöht. Jeden Tag werden enorme Summen – in der Größenordnung von 700 Millionen Euro – auf russische Konten überwiesen.

Mit diesem Geld werden Söldner, Raketen und Flugzeugersatzteile aus Ländern bezahlt, die nur gegen harte Währung verkaufen. Ganz allgemein stammen etwa 40 Prozent aller Haushaltseinnahmen der russischen Regierung aus dem Öl- und Gasgeschäft. Ohne diese Einnahmen täte Putin sich schwer, seine Kriegsmaschinerie zu finanzieren.
Unglücklicherweise scheint die Debatte über eine Ausweitung des Energie-Embargos sich festgefahren zu haben.

Obwohl wissenschaftliche Studien nahelegen, dass die wirtschaftlichen Folgen für die Energie importierenden Länder zu bewältigen wären, bleiben ein paar wichtige Regierungen zögerlich. In Deutschland etwa lehnt die heimische Industrie-Lobby Maßnahmen hartnäckig ab und findet, trotz einer im Allgemeinen zu Unterstützung bereiten öffentlichen Meinung, bei der Regierung Gehör. Dies ist aus mindestens drei Gründen höchst problematisch.

Ersten signalisieren die europäischen Politiker Putin, indem sie vor wirtschaftlich kostspieligen Sanktionen zurückscheuen, dass er Macht über Europa hat. Dies wird ihn ermutigen, Europas Entschlossenheit noch stärker auf die Probe zu stellen.

Es riskiert zudem, die unvermeidliche Anpassung der europäischen Industrie und Verbraucher an die Tatsache hinauszuschieben, dass die russische Energie nie so billig war, wie das den Anschein hatte. Und schließlich erlaubt der fortgesetzte Fluss des für russische Energieträger gezahlten Blutgeldes es Putin, weiter vorwärts zu drängen, was die langfristigen Kosten der Eindämmung eines revisionistischen Russlands für Europa drastisch erhöht.

Ist ein vorangekündigtes Embargo die Lösung?

Zugleich lässt sich die politische Realität nicht verleugnen. So kurzsichtig ihre Gründe auch sein mögen: Wichtige Länder sind in Bezug auf das russische Gas nicht zum kalten Entzug bereit.
Um diese Blockade zu durchbrechen, könnte man – vielleicht über einen Zeitraum von sechs Wochen – ein vorab angekündigtes Embargo umsetzen. So könnte die EU etwa Importe russischer Mineralölerzeugnisse mit Ausnahme von Diesel sofort verbieten und zugleich ankündigen, dass das Verbot jede Woche auf eine neue Gruppe von Produkten ausgeweitet werden würde: Als Nächstes auf Kohleimporte, dann auf Diesel, dann auf Seetransporte von Rohöl und schließlich auf Pipeline-Öl.

Und schließlich würden in sechs Wochen Zahlungen für Gasimporte auf Treuhandkonten geleistet werden, von denen Abhebungen für die Dauer des Krieges unmöglich wären. Sich auf einen künftigen Sanktionskurs festzulegen, der die Einschränkungen nach einem vorangekündigten Zeitplan verschärft, würde den Druck auf Putin erneuern und Anreize für Bemühungen um diplomatische Lösungen erhöhen. Ein sofortiges Ende der Angriffe auf Zivilisten und ein Rückzug der russischen Streitkräfte würden den Sanktionszeitplan anhalten. Zudem würden Vorankündigungen über Sanktionen den europäischen Verbrauchern russischer Energie Klarheit über die notwendigen Anpassungsmaßnahmen, die sie ergreifen müssen, und über deren Tempo verschaffen. Dies würde zu Anstrengungen anstacheln, den Verbrauch anzupassen, statt über Lobbyisten bei den Politikern in Berlin und anderen Hauptstädten vorzusprechen, um das Unvermeidliche hinauszuzögern. Indem sie die Industrie zwingen würden, diese Anpassungsmaßnahmen umzusetzen, würden Vorankündigungen über Sanktionen zudem die Anfälligkeit der europäischen Wirtschaft für politische Erpressungsmanöver Putins im kommenden Herbst drastisch verringern.

Die Zeit spielt gegen Europa

Die Wirksamkeit dieser Politik ist von der Einhaltung bestimmter zentraler Konzeptionsprinzipien abhängig. Am wichtigsten ist, dass diese Sanktionen eine unbegrenzte Dauer haben müssen, um den üblichen politischen Stillstand in der EU zu vermeiden, der ansonsten die Bemühungen zu ihrer Verlängerung kennzeichnen würde. Wäre zur Aufgabe der Verschärfung der Sanktionen Einstimmigkeit nötig, dann würde das diese Politik glaubwürdiger und deserteursicherer machen. Zudem sollten Unternehmen russische Energieprodukte bis zum vollständigen Inkrafttreten des Embargos nur im üblichen Umfang kaufen dürfen. Es wäre ihnen untersagt, die Importe zu erhöhen, um das Embargo durch Vorziehen von Käufen zu umgehen.

Über die genaue Reihenfolge der Schritte und ihre detaillierte Aufschlüsselung kann auf der Basis von Expertenanalysen zum Raffineriebetrieb entschieden werden, um die kurzfristigen logistischen Kosten für Europa zu minimieren. Die jetzige Aufgabe besteht darin, einen gestaffelten Zeitplan für Sanktionen auf russische Energieexporte festzulegen.

Die Zeit spielt gegen Europa. Inzwischen ist seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine ein Monat vergangen. Je länger sich der Stillstand in der Frage der Energiesanktionen fortsetzt, desto wahrscheinlicher ist es, dass Russland finanziell in der Lage sein wird, den Westen bis zum letzten Ukrainer zu bekämpfen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan