Warmer Sommer, heißer Herbst

Um den faulen Staat wird bis Ende 2020 mit allen Mitteln gekämpft

Von einem warmen Sommer verabschiedet sich dieser Tage das Land, gleichzeitig sieht es einem heißen Herbst entgegen. Mit den Europawahlen begann dieser Sommer, gleich darauf verschwand das angebliche Faktotum Rumäniens, Liviu Dragnea, ins Gefängnis und seine Gehilfin übernahm Staat und Partei. Ob nur für kurze Zeit entscheidet sich dieser Tage, nachdem die ALDE und ihr hässlich gealterter Vorsitzender Călin Popescu-Tăriceanu begriffen haben, dass sie vor dem Aus stehen. Am Montag begaben sie sich in die Arme des Victor Ponta, der in den Ruinen der Dragnea-PSD mit großer Schadenfreude herumwühlt, vielleicht lässt sich der eine oder andere Stein finden, auf dem er seine Karriere wiederaufbauen kann.

Zwar ist der Dragnea-Dăncilă-Staat faul bis ins Mark, wie das Volk ab Ende Juli sehen konnte, deren Partei genauso. Doch um diesen Staat wird ab nun gekämpft, der Herbst wird heiß. Und es könnte durchaus sein, dass die, die jetzt siegessicher und unbekümmert auftreten, am Ende noch den Kürzeren ziehen werden. Aber es kann auch anders kommen, denn was hierzulande seit eh und je feststeht, ist, dass nichts feststeht.

Es begann also mit den Europawahlen, dem ersten Debakel für die regierenden Sozialdemokraten, vergleichbar mit dem Machtverlust 1996 und 2004, obwohl heuer die PSD noch immer am Ruder ist. Auch in Ermangelung von Alternativen, denn so kurz vor den Präsidentschaftswahlen dürfen keine vorgezogenen Parlamentswahlen mehr stattfinden. Das zum einen. Zum anderen will doch niemand die Rechnung des Regierungsdesasters übernehmen, das die PSD hinterlässt. Am wenigsten natürlich die PSD. Es würde ihr ein letzter Coup gelingen, wenn andere, egal welche, an die Macht kommen. Dann können die Sozialdemokraten 2020 sagen, an allem sind die anderen schuld. Ähnlich wie 2016.

Eindeutiger Gewinner der Europawahlen war die Allianz USR-PLUS, eindeutiger Verlierer die PSD und die ALDE. Auf den ersten Platz kamen die Liberalen, aber überzeugend waren sie nicht. Sie können und werden es auch nicht sein, ihre beiden Spitzen, der hoffentlich bald abgehängte Ludovic Orban und der konfuse Fernseh- und Politclown Rareș Bogdan, sind alles andere als Hoffnungsträger des Wandels und der Erneuerung. Machtgier bei vollkommener inhaltlicher Leere. Punkt.
Ein Tag nach der Europawahl wanderte Liviu Dragnea ins Gefängnis und mit ihm verschwand von der Bildfläche einer, der zwar nicht für alles, doch für vieles von dem verantwortlich zeichnet, was im Rumänien der letzten Jahre schief gegangen ist. Sein Schicksal ist bitter und lehrreich zugleich, scheiterte Dragnea doch letztendlich an einer Petitesse, einer obskuren Affäre um fiktive Anstellungen beim Kinder- und Jugendamt des Kreises Teleorman, dort wo sein Aufstieg vor etwa zwei Jahrzehnten begonnen hatte. Genauso wie die Geschichte, die zu Dragneas Inhaftierung und seinem endgültigen Verschwinden aus der Bukarester Politik geführt hat, beweist das tragische Schicksal der Mädchen von Caracal nichts anderes, als dass der Staat bankrott ist. Dass sein Versagen total und irreparabel ist. Denn es geht nicht nur um die Schuld Einzelner, der Notrufbeamten, einiger Polizisten oder des Staatsanwalts, die man allesamt der Dummheit und der Unmenschlichkeit bezichtigen könnte, es geht um vieles mehr. Um eine fatale Verkettung von Interessen, um die Aufteilung von Machtsphären zwischen Lokalmatadoren, um Verbrecherbanden, deren Beziehungen bis hinauf in die Politik, die Geheimdienste und die Justiz führen. Es sind die Erben der kommunistischen Apparatschicks, die sich das Land aufgeteilt haben und einzelne Bereiche kontrollieren. Südrumänische Landkreise sind genau deshalb in einer Falle von Armut und Unterentwicklung gefangen, weil solche Strukturen, wie der Caracal-Fall sie jetzt aufgezeigt hat, Ressourcen kontrollieren, Entscheidungen treffen, die ihnen nicht obliegen und staatliche Behörden in Geiselhaft genommen haben. Am Beispiel des Onkels eines der beiden Mordopfer ist dies zu erkennen: Der zweifelhafte Alexandru Cumpănașu, Präsident einer ominösen Koalition für die Modernisierung Rumäniens (wie gut das klingt!), von dem niemand so genau sagen kann, womit er sich beschäftigt und in wessen Diensten er steht, ist jetzt zum Fernsehstar mutiert, der den Fall aufklärt, offizielle Ermittlungen in Zweifel zieht und die öffentliche Meinung manipuliert.

Vielleicht ist Cumpănașu in dem ganzen Fall nur zweitrangig, vielleicht auch nicht. Vielleicht hat der Mörder Dincă noch weitere Mädchen umgebracht, vielleicht auch nicht. Vielleicht geht es um einen Menschenhändlerring mit Verbindungen nach Westeuropa, vielleicht auch nicht. Zum Himmel schreiend sind ja nicht nur die Taten an sich, die, die bekannt sind, sondern auch der Eindruck, den man nicht mehr los wird, dass die Behörden eine lupenreine Aufdeckung gar nicht verfolgen, dass das Amateurhafte eigentlich gewollt ist. Denn wer hier lebt und sich bewusst dafür entschieden hat, hier zu bleiben, der will doch gar nicht glauben, dass die Entprofessionalisierung der Behörden, die Auflösung der Staatsmacht und deren Geiselnahme durch kaum durchdringbare kriminelle Netzwerke wie in Caracal keine Realität sind, sondern ein Alptraum, ein schlechter Film, ein Netflix-Drama mit südamerikanischem Inhalt.

Die Mordfälle von Caracal bieten für die Politik einen günstigen Stoff, selbst für die Sozialdemokraten, deren Vertreter mit der Unterwelt des Landkreises Olt bestens verdrahtet sind. Denn die Noch-Regierungschefin und Möchtegern-Präsidentin Viorica Vasilica Dăncilă, die nach dem Sturz ihres Drahtziehers an Statur zu gewinnen versucht, kann sich nun als Law-and-Order-Frau präsentieren und lautstark das fordern, was das Volk schon immer wollte: härtere Gesetze. Dăncilă ist keine Law-and-Order-Frau, sie bleibt die schwache Marionette derer, die sie aufgezogen haben. Dragnea dürfte weg sein, Dăncilă ist aber noch da und mit ihr das System Dragnea. Es ist unversehrt und kann nun ums Überleben kämpfen, auch wenn vielleicht dafür gerade die Premierministerin geopfert werden muss.

Währenddessen scheint Präsident Klaus Johannis, gestärkt durch den Besuch in den Vereinigten Staaten, keine Zweifel an seinem Sieg zu haben. Aber er hat in den vergangenen fünf Jahren Fehler gemacht und die Enttäuschung ist bei vielen seiner Anhänger von 2014 entsprechend groß. Er kommt nicht nur bei der traditionellen und inzwischen etwas geschrumpften PSD-Wählerschaft schlecht an, sondern auch bei jenen, die die USR-Plus-Allianz gewählt haben. Roboterhaft wirkt der Präsident manchmal, mit seiner Steifheit können nur wenige etwas anfangen. Dass seine Gegner und die Skandalmedien den präsidialen Fauxpas von Konstanza ausgeschlachtet haben, war eindeutig zu erwarten. Darum sollte es aber vordergründig nicht gehen. Was man Johannis durchaus vorwerfen könnte, ist, dass er sich anscheinend weigert, Verantwortung für seine zu Ende gehende Amtszeit zu übernehmen. Schiebt man andauernd der PSD die Schuld in die Schuhe, fragt sich so mancher, was man denn als Präsident gemacht hat in all diesen Jahren? Das Beispiel seines Vorgängers, des hyperaktiven Traian Băsescu, steckt noch tief im Volksgedächtnis, die Wähler freunden sich nur schwer mit einem Präsidenten an, der sich darauf beschränkt, zu warnen und zu kritisieren. Und härtere oder neue Gesetze zu fordern, wie es Johannis nach Caracal getan hat. Er müsste wissen, dass es hierzulande Gesetze im Überfluss gibt. Caracal ist keinesfalls die Folge fehlender Gesetze. Auch nicht schlechter Gesetze. Zwar hätte seit 2014 alles schlimmer kommen können, hätte Johannis nicht das eine oder andere gesagt und getan, aber ob das reicht, wird sich spätestens am 24. November 2019, dem Tag der Stichwahl, zeigen.

Einige Wähler setzen währenddessen auf Dan Barna, den Kandidaten der Wahlallianz USR-PLUS. Für Amtsinhaber Johannis ist Barna durchaus der größte Feind, es ist bisweilen unklar, ob die Premierministerin in die Stichwahl kommt. Johannis und Barna umwerben die gleiche Wählerschaft und es ist durchaus möglich, dass sich PSD-Wähler im Falle einer Stichwahl zwischen Johannis und Barna gegen den Amtsinhaber entscheiden. Bis dahin kämpfen sowohl die USR als auch die PLUS mit den Wehen des Neugeborenen. Unklar ist ihre ideologische Ausrichtung, kaum einer kann gegenwärtig sagen, ob die USR rechte oder linke Werte vertritt, dieselbe Frage bleibt unbeantwortet auch im Falle der PLUS.

Wer auch immer am 24. November zum Präsidenten gewählt wird, einfach wird es nicht sein. Denn dem Land steht ein weiteres Wahljahr bevor, Kommunalwahlen sollen im Juni 2020 und Parlamentswahlen im November oder Dezember 2020 stattfinden. Dauerwahlkampf ist schlimm, vor allem für die Wirtschaft. Und die Wirtschaftspolitik des Systems Dragnea stößt bereits an ihre Grenzen. Sie wird noch erhebliche Probleme hervorrufen, die derzeit niemanden interessieren. Cumpănașu erscheint bei mehreren Sendern gleichzeitig, Dincă ist in Haft und will fernsehen, die Möchtegern-Journalisten sind im Dauereinsatz. An der Stabilität der Justiz sollte eine etwas ungehaltene Richterin sägen, die bisher mit großem Eifer den angeblichen Parallelstaat bekämpft hat und dafür mit einem Ministerposten belohnt werden sollte. Sie hat am Montagmorgen ihr Richteramt aufgegeben, um Ministerin zu werden. Am Montagnachmittag kündigte Tăriceanu die Koalition auf und die Dame wird wohl nicht mehr Ministerin. Fest steht, dass nichts feststeht. Und dass es heiß wird. Aber so richtig kühl war es noch nie.