Wasserstoff – Der Treibstoff der Zukunft?

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In den aktuellen Planungen und Diskussionen zur Klimaneutralität wird Wasserstoff oft als „Gamechanger“ prophezeit. Auch die Maßnahmen der EU im Rahmen des Europäischen Grünen Deals und zur Reduzierung der Energieimporte aus Russland basieren maßgeblich auf dem Einsatz von Wasserstoff anstelle von fossilen Rohstoffen. Die diskutierten Verwendungsmöglichkeiten des angeblich nachhaltigen Kraftstoffs sind vielfältig: Im Verkehrssektor bei Autos, LKWs, Schiffen und Flugzeugen, in der Industrie z.B. bei der Stahlherstellung und in Gebäuden beim Heizen, um nur einige Beispiele zu nennen. Während Regierungen und Vertreter aus der Wirtschaft gar nicht aufhören können, von Wasserstoff zu schwärmen, sehen Experten die Realisierbarkeit dieser Planungen eher skeptisch. Was hat es also auf sich mit der „Zukunftstechnologie“ Wasserstoff und wo macht die Verwendung laut Experten Sinn und wo nicht.

Reinen Wasserstoff gibt es auf der Erde nicht

Wasserstoff ist ein farb- und geruchloses Gas. Es ist das am häufigsten vorkommende chemische Element unseres Sonnensystems. Im Gegensatz zu anderen Planeten ist Wasserstoff auf der Erde jedoch nicht in reiner Form vorzufinden, sondern lediglich in gebundener Form, zum Beispiel im chemischen Verbund mit Sauerstoff als Wasser. Daher müssen zur Gewinnung von reinem Wasserstoff energieintensive chemische Prozesse durchgeführt werden.

In Bezug auf seine Masse hat Wasserstoff die größte Energiedichte aller verfügbaren Brennstoffe, in Bezug auf sein Volumen allerdings eine der geringsten. Daher muss Wasserstoff erst komprimiert bzw. verflüssigt werden, um als Ersatz für fossile Brennstoffe dienen zu können. Sein wohl größter Vorteil ist, dass er bei der Verbrennung zu völlig unschädlichem Wasser oxidiert.

Bisheriger Einsatz von Wasserstoff

Die Verwendung von Wasserstoff in der Industrie ist keine Neuheit: Das Gas ist zur Herstellung von Ammoniak und in der petrochemischen Industrie erforderlich.  In Raffinerien wird Wasserstoff unter anderem für die Abtrennung von Schwefel benötigt. Für die Zukunft prognostiziert der Physikprofessor Thomas Hamacher sogar einen steigenden Bedarf an Wasserstoff in Raffinerien, da die Anforderungen an den Schwefelgehalt in Treibstoffen immer höher würden, auch durch strengere Umweltauflagen.

Herstellung von Wasserstoff

Zur Herstellung von Wasserstoff stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung, die über dessen spätere CO2-Bilanz entscheiden. Das derzeit gängigste Herstellungsverfahren ist die Dampfreformierung, hauptsächliches Ausgangsprodukt ist Erdgas. Es eignen sich aber auch andere Stoffe wie Schweröl oder Kohle, die chemisch betrachtet ebenfalls als Verbindung von Kohlenstoff und Wasserstoff definiert werden können. Bei hohen Temperaturen wird der Kohlenstoff vom Wasserstoff abgetrennt. Das Problem dabei ist, dass der Kohlenstoff anschließend mit dem Sauerstoff in der Luft zu Kohlenstoffdioxid (CO2) reagiert. Der so entstehende Wasserstoff wird als grauer Wasserstoff bezeichnet, da er absolut nicht klimaneutral ist: Die CO2-Emmissionen sind sogar um 50 Prozent größer als wenn Erdgas direkt verbrannt werden würde. Derzeit wird etwa ein Prozent der weltweiten CO2-Emissionen durch die Produktion von grauem Wasserstoff verursacht.

Der Favorit der Gaslobby ist blauer Wasserstoff, der ebenfalls durch Dampfreformierung aus Erdgas erzeugt wird. Das freigesetzte CO2 wird aber aufgefangen und einem unterirdischen Endlager zugeführt. Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme, betont jedoch, dass es heutzutage nur möglich ist, 60 bis 70 Prozent des CO2 einzufangen. Außerdem wird das CO2-Problem dadurch nur aus den Augen geschaffen und der Nachwelt unter der Erde hinterlassen.

Eine etwas bessere Klimabilanz weist türkiser Wasserstoff auf. Er wird ebenfalls aus Erdgas (Methan) gewonnen, allerdings unter extrem hohen Temperaturen, sodass als Nebenprodukt fester Kohlenstoff entsteht und kein gasförmiges CO2. Fester Kohlenstoff kann beispielsweise zu Batterien weiterverarbeitet werden.  

Quaschning betont allerdings, dass dies ebenfalls Probleme mit sich bringt. Wenn die weiterverarbeiteten Kohlenstoffprodukte ausgedient haben, sei die Entsorgung schwierig. Werden die Produkte in der Müllverbrennung entsorgt, gelangt der feste Kohlenstoff nämlich doch wieder in Form von CO2 in die Erdatmosphäre.

Nur grüner Wasserstoff ist klimaneutral

Keine schädlichen Treibhausgasemissionen verursacht lediglich grüner Wasserstoff, der durch Elektrolyse gewonnen wird. Dabei wird Wasser durch das Zuführen elektrischer Energie in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Als Nebenprodukt entsteht ausschließlich reiner Sauerstoff. Dieser Prozess ist aber nur emissionsfrei, wenn auch der verwendete Strom klimaneutral erzeugt wurde. Momentan ist daher eine Produktion von grünem Wasserstoff nur auf dem Papier möglich, da die erzeugte Strommenge aus regenerativen Quellen wie Wasserkraft, Photovoltaik oder Wind nicht einmal ausreicht, um den alltäglichen Strombedarf decken zu können.

Um grünen Wasserstoff in großem Maße produzieren zu können, müssten somit erst einmal die erneuerbare Stromerzeugung und die Stromübertragungsnetze massiv ausgebaut werden.

Ukraine-Krieg macht grünen Wasserstoff attraktiv

Die mit dem Krieg in der Ukraine verbundenen Preissteigerungen auf dem internationalen Energiemarkt können derzeit als wohl größter Motor für grünen Wasserstoff bezeichnet werden. Bisher war die Herstellung von grünem Wasserstoff ungefähr viermal teurer als von grauem Wasserstoff. Daher wurde bisher ausschließlich grauer Wasserstoff aus Erdgas produziert, da sich die anderen Produktionsverfahren nicht rechneten. Aufgrund der enorm gestiegenen Gaspreise hat sich das Blatt nun gewendet: Eine jüngst veröffentlichte Analyse von Bloomberg New Energy Finance kommt zum Schluss, dass grüner Wasserstoff nun günstiger in der Herstellung sei als grauer Wasserstoff, da alle Produkte, die auf Erdgas basieren, nun bis zu drei Mal so teuer seien wie vor einem halben Jahr. Abgesehen davon herrscht momentan aufgrund der russischen Gaslieferstopps bzw. Reduzierungen Gasknappheit in Europa, weshalb die Wasserstoffproduktion aus Erdgas in der aktuellen Situation ohnehin fraglich erscheint, eine Steigerung der Produktion ist wohl unmöglich.

Geplanter Einsatz von grünem Wasserstoff

Der Gedanke, dass ausschließlich die Verwendung von grünem, emissionsfreiem Wasserstoff sinnvoll ist, hat inzwischen auch in die nationalen und europäischen Planungen zur Klimaneutralität und energetischen Unabhängigkeit Einzug gefunden. Diese Einstellung hat sich jedoch erst vor Kurzem geändert, bis dahin wurde grauer Wasserstoff stets als Übergangstechnologie bezeichnet.

Um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren möchte die EU-Kommission nun massiv in den Ausbau einer Wasserstoffinfrastruktur (Transport und Speicherung) investieren, damit erneuerbarer Wasserstoff ab 2030 „in großem Umfang in allen Sektoren eingesetzt werden kann, in denen die CO2-Emmissionen bisher nur schwer gesenkt werden können“ (EU-Wasserstoffstrategie). Zur geplanten Verwendung ist in den Strategiepapieren der EU nichts Konkreteres als ein geplanter Einsatz in den Sektoren Verkehr und Industrie zu finden. Bis 2030 sollen die Möglichkeiten für eine Produktion von 10 Millionen Tonnen grünen Wasserstoffs in Europa sowie für den Import derselben Menge geschaffen werden.

Ein sehr ehrgeiziges Ziel, wenn man bedenkt, dass moderne Elektrolyse-Anlagen heutzutage 40 kWh Strom benötigen, um ein Kilogramm grünen Wasserstoff herzustellen. Um 10 Millionen Tonnen zu produzieren würden somit 400.000.000.000 kWh Strom benötigt. Das entspricht dem achtfachen des jährlichen Stromverbrauchs von ganz Rumänien. 

Wasserstoffauto aus wissenschaftlicher Perspektive extrem ineffizient

Experten sehen einen universellen Einsatz von Wasserstoff in allen Bereichen, in denen heutzutage Erdöl oder Erdgas eingesetzt wird, kritisch, sehen aber großes Potential für grünen Wasserstoff in einigen spezifischen Anwendungsbereichen. Volker und Cornelia Quaschning betonen in ihrem Buch „Energierevolution JETZT!“, dass der Einsatz von grünem Wasserstoff nur dort Sinn mache, wo erneuerbarer Strom nicht direkt verbraucht werden kann. Als Begründung nennen sie die lange energetische Verlustkette bei Wasserstoff, die sie am Beispiel des Wasserstoffautos erläutern.

So gehen bei der Elektrolyse bereits zwischen 20 und 30 Prozent der Energie verloren, bei Zwischenlagerung und Transport noch einmal 25 Prozent und zum Schluss, wenn der Wasserstoff im Wasserstoffauto wieder zu Strom transformiert wird noch einmal 40 Prozent. Wasserstoffautos werden nämlich auch durch einen Elektromotor angetrieben, der Strom wird lediglich im Auto aus Wasserstoff hergestellt. Schlussendlich bleiben dann nur noch zwischen 25 und 40 Prozent der ursprünglich eingesetzten elektrischen Energie übrig – ein enormer Verlust. Ein Auto, das mit grünem Wasserstoff betrieben wird, benötigt somit zwei bis dreimal soviel Strom wie ein batterieelektrisches Auto.

Für das Heizen gebe es ebenfalls effizientere Lösungen als grünen Wasserstoff, zum Beispiel elektrische Wärmepumpen. Die Aussagen von der Industrie, dass durch die heutigen Erdgasleitungen bald Wasserstoff fließen könne, hält das Expertenpaar für irreführend. Dafür seien beträchtliche Anpassungen am bestehenden Gasnetz nötig, deren Realisierung mehrere Jahrzehnte dauern könnte. 

Ein universeller Einsatz von grauem Wasserstoff aus Erdgas ist aus wissenschaftlicher Perspektive ebenfalls unsinnig, weil auch hier bei der Produktion große Energieverluste entstehen. Dann ist es besser Benzin, Diesel oder Erdgas direkt zu verwenden.

Potential für grünen Wasserstoff

Großes Potential für den Einsatz von Wasserstoff sehen die Experten im Schiffs- und Flugverkehr. Bei beiden Verkehrsmitteln sei es in absehbarer Zeit nicht möglich, auf batterieelektrischen Antrieb umzusteigen, da die Batterien dafür noch lange nicht geeignet seien.

Außerdem könnte grüner Wasserstoff eine wichtige Technologie zur Energiespeicherung werden. Wenn Strom bald hauptsächlich aus Sonnen- und Windenergie erzeugt wird, könnten größere saisonale Schwankungen durch Wasserstoff ausgeglichen werden: Aus überschüssigem Strom könnte Wasserstoff produziert werden, der in den heutigen Erdgasspeichern zwischengelagert wird und wenn nötig wieder in Strom transformiert werden kann.

Zudem kann aus grünem Wasserstoff klimaneutraler Stahl produziert werden. Bei der Stahlherstellung muss der Sauerstoff aus dem Eisenerz gebunden werden, dies geht mit Koks oder mit Wasserstoff, nicht aber mit Strom.

Es besteht somit durchaus großes Potential für grünen Wasserstoff in einigen spezifischen Anwendungsbereichen. Ein Einsatz macht aber aus physikalischer Sicht nicht überall Sinn.