Wenn man einen Frack anhat, dann kommt man in Stimmung 

Paul-Abraham-Operette entpuppt sich als Kassenschlager der Temeswarer Nationaloper

Cristina Vlaicu hat gute Karten, um auf der Straße nur noch als die fulminante Daisy Darlington begrüßt zu werden.

Mustafa Bei (Cristian Bălășescu) erzählt den beiden skeptischen Hauptdarstellerinnen sehr theatralisch von der angeblichen abenteuerlichen Begegnung und tiefen Verbundenheit Aristides zu Passo Doble (eigentlich ist es Daisys erfundenes Pseudonym, um als Komponistin erfolgreich zu werden). Fotos: Rumänische Nationaloper Temeswar

Der Auftakt des zweiten Akts mit einem schillernden Ballett, Lichtspiel und auf Diversität ausgerichteten Kostümen und Interpretationen

Eine schillernde Revue rund um Liebe, Sex und Paso Doble, mit viel Farbe, Pailetten, üppigem Bühnenbild und gelungener theatralischer und gesanglicher Interpretation: Das und noch vieles mehr ist über die Temeswarer Inszenierung von Paul Abrahams „Ball im Savoy“ in der Regie von Starregisseur Răzvan Mazilu zu schreiben. Als mitreißende Mischung aus Berliner Jazz, ungarischem Csárdás, wienerischem Schmalz und jiddischem Klezmer erzählt „Ball im Savoy“ eine verrückte Geschichte rund um ein frisch vermähltes Society-Paar, dessen Treue auf die Probe gestellt wird. Ein funkelndes, buntes Spektakel des jüdisch-ungarischen Komponisten, in dessen Genuss Besucher der Temeswarer Nationaloper alle zwei Monate seit Dezember 2022 gelangen können, wenn sie sich nach Ankündigung der nächsten Aufführung (voraussichtlich im Mai) beeilen, die Tickets zu kaufen, weil bereits am ersten Tag viele der guten Plätze schon vergriffen sind.

Bereits im Vorspiel, am Canale Grande in Venedig verortet, wird der Umfang der Darbietung klar: Eine Gondel zieht sich von einem Vorhang zum anderen, darin die Hauptdarsteller, am Ufer der Chor, der eine Ode auf „Bella Venezia“ darbietet. Die musikalische Leitung hat Mihnea Ignat (als Gast) inne, als Konzertmeister fungieren Ovidiu Rusu und Corina Murgu, während Laura Mare den Chor leitet. Für Bühnenbild und Kostüme sorgt der berüchtigte und mehrmals ausgezeichnete Bühnenbildner Dragoș Buhagiar, dem es gelingt, sowohl Handlung als auch Musik und Atmosphäre einer sorglosen „Belle Époque“ mit seinen Kreationen so pointiert, glitzernd und bezaubernd zu unterstreichen und zu ergänzen, dass das Publikum über die knapp 3,5 Stunden dauernde Aufführung (inkl. zwei Pausen zwischen den Akten) wirklich in eine Traumwelt eintaucht, die sie musikalisch eine Weltreise antreten lässt. 

Die Kostüme wechseln je nach Anlass, sind in schick-elegant und bunten, aber nicht zu grellen Tönen gehalten. Ballettszenen mit Federboas gehören auf den jährlichen Ball im Savoy, wie auch die glitzernde Garderobe der Damen. Allerdings gibt es diese zunächst auch in schicken, femininen Overalls zu sehen. Und die stehen sowohl den Ballett-Tänzerinnen, als auch Madeleine, die je nach Vorstellung mit einem ganz eigenen Touch, aber nicht weniger Können von Mihaela Marcu oder Crina Vezentan gespielt wird, Daisy Darlington, die von einer energischen, zierlichen, kecken Cristina Vlaicu feurig und zugleich amerikanisch übertreibend interpretiert wird, in nichts nach. Ihr Gegenpart im Stück, Mustafa Bei, wird  - ähnlich wie bei der Rolle der Madeleine - mal von Cristian Bălășescu, mal von Octavian Vlaicu in Szene gesetzt. Und dabei wäre fast der Marquis de Faublas, Tenor Bogdan Zahariea, in der Aufzählung vergessen gewesen, der besonders in den gelungenen Duetten mit den Madeleine-Darstellerinnen schön zur Geltung kommt. Eine Rolle, die beide überzeugend spielen und für die meisten herzlichen Lacher oder zumindest ein Schmunzeln im Publikum durch das ganze Stück sorgen. 

Einen sympathischen, armen, tollpatschigen und kurzsichtigen Anwaltsgehilfen, der aber doch manchen  Scharfsinn ans Licht legt, spielt DSTT-Schauspieler Harald Weisz, dem die Rolle des Celestin Formant fast auf den Leib zugeschnitten scheint (nicht so der ausgeliehene Frack, den er sich einmal im Jahr gönnt, um ein schönes Abenteuer beim Ball im Savoy zu erleben). Durch seinen Auftritt sorgt für Staunen und Lachen auch Dan Pataca, der den Schneider Monsieur Albert als überzeugende Lagerfeld-Imitation (sowohl von Gesten, als auch vom Kostüm her) darstellt. 

Und beim Ball selbst sorgen Gabriela Toader und Grabriella Varvari für feurige, temperamentvolle Szenen und bringen südamerikanische Tangoeinlagen als verführerische Tangolita auf die Bühne. Davor hatte man bereits die italienische Chorarie in Venedig, den englischen Charleston, die Französisch angehauchten Choreographien aus der Villa der Faublas in Nizza und natürlich beim Ball mit dem ganz auffällig kostümierten Ballett, den Känguru-Modetanz aus Amerika und die orientalisch amüsanten Arien des Mustafa Bei (der in seinen Sprechpartien immer wieder türkische Redensarten seines Vaters Aga Pascha zitiert), dazwischen Prisen von Wiener Operettenarien mit ungarischen Leitmotiven und nicht zuletzt den auch den in Berlin so verbreiteten Jazz der Zeit, also die halbe Welt musikalisch umrundet.

Sogar einen asiatischen Beigeschmack bekommt die Inszenierung dank einiger Ballettmitglieder, die durch ihre Performance und das Aussehen auch diesen Weltteil präsent werden lässt. Genauso multinational zeigt sich sodann auch der „Harem“ des Mustafa Bei, der seine nacheinander geheirateten Frauen an einer Stelle indirekt vorstellt, so dass man erfährt, dass er je eine Dame aus Ungarn, Österreich, Russland, Deutschland, Frankreich und Italien die seine nennen darf. Nun soll die Amerikanerin Daisy Darlington die Sammlung ergänzen. 

Das Stück wird in rumänischer Sprache gespielt. Zu bedauern ist allerdings der Einsatz von Mikrophonen, zumal man den Darstellern sehr wohl zutrauen kann, mit ihren Stimmen den feierlich anmutenden Opernsaal erfüllen zu können. 

Die Temeswarer Nationaloper hat mit dieser Inszenierung der Stadt und ihren Bewohnern ein Geschenk zum Kulturhauptstadtjahr gemacht, das als Miniatur von dem verstanden werden kann, was sich Temeswar von diesem Jahr wünscht: Verzaubert zu werden von einer gut zusammengestellten Show, die Multikulturalität und Diversität feiert (u.a. zieht der Balletttänzer Andreea Chiapetta als Travestie in seinem knallroten Herzkleid und jeder seiner perfekt sitzenden, spannungsvollen Bewegungen alle Blicke auf sich), die einen dazu verleitet, ebenfalls wie zu einem Ball angezogen zur Vorstellung zu erscheinen und für ein Rundumerlebnis für Augen und Ohren sorgt, das einen für den ganzen, sehr kurzweiligen Abend den Alltag und das so viele noch Unfertige der Kulturhauptstadt vergessen lässt.


Erlebniswelten TM23
Eine subjektive Auswahl von A.Weisz

Bis 28.05.2023 Kunstmuseum
Victor Brauner - Erfindungen und Magie (umfangreiche Retrospektive-Ausstellung)

Bis 1.07.2023  Kunsthalle Bega
Different Degrees of Freedom (Gruppenausstellung, inkl. Sinta Werner aus Berlin und Judith Fegerl aus Wien)

22.-25.März 2023 Victoria-Kino
Oscar Specials: Close (22.03, 18 Uhr), Aftersun (23.03., 18.30 Uhr),The Banshees of Inisherin (23.03., 20.30 Uhr), Everything, Everywhere, All at Once (24.03., 20.30 Uhr), Babylon (25.03., 20 Uhr)

Mittwoch, 22. März
Victoria-Kino  20.30 Uhr 

Experimentul Pitești (Drama, 2022, Regie: Victoria Baltag, gefolgt von Publikumsgespräch)

Donnerstag, 23. März
Barocksaal des Kunstmuseums, 11 Uhr und 12.30 Uhr

Reise in die Welt der rumänischen Musik (Konzert mit Solisten der Temeswarer Nationaloper)

Freitag, 24. März
Rumänisches Nationaltheater, Saal 2, 19 Uhr

Boala familiei M (poetisch-lyrisches Drama, Erfolgsstück von Regisseur Radu Afrim, Premiere 2008)
Banater Philharmonie Temeswar, 19 Uhr
Mozart, Mendelssohn, Tschaikowski - Konzertabend (Dir. Radu Popa, Solisten: Maria Marica, Cornelius Zirbo, Cadmiel Boțac)

Samstag, 25. März
Deutsches Staatstheater Temeswar, 15.00-22.00 Uhr

NiL-Theaterwochenende (8 Vorstellungen am Samstag und Sonntag, dargeboten von Nikolaus-Lenau-Schülern)

Sonntag, 26. März
Victoria-Kino, 15.30 Uhr

Die Häschenschule – Der große Eierklau (2022, Deutschland, rumänisch synchronisiert)

Dienstag, 28. März
Capitol-Saal, 19 Uhr

Romantisches Kammermusikkonzert (Schülerdarbietung vom Ion-Vidu-Kunstkolleg)