Wenn Polizisten und Bulldozer kommen

Gesetzeslücken, die benachteiligte Gruppen nicht vor behördlicher Willkür schützen

„Weitverbreitete Intoleranz und Vorurteile, verbunden mit Mängeln im Wohnrecht, geben lokalen Behörden die Möglichkeit zur öffentlichen Diskriminierung der Roma“, sagt Barbora Cernusakova, Rumänien-Expertin bei Amnesty International. Der Bericht über die Lebensverhältnisse sozial benachteiligter Gruppen, der am 23. Juni der Öffentlichkeit präsentiert wurde, weist auf Missstände in Gesetzgebung und Gesellschaft hin.

„Das kann jeden Staatsbürger schädigen, im Besonderen betrifft es aber hilfsbedürftige und marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Wenn Behörden Roma-Familien gegen deren Willen und ohne Erlass, Absprache oder angebotene Alternative aus ihren Wohnungen vertreiben, dann verstoßen sie damit gegen internationale Verträge, zu denen sich Rumänien bekennt“, fährt die Wissenschaftlerin im Zuge der Veröffentlichung fort.

Derzeit leben laut Amnesty International etwa 2,2 Millionen ethnische Roma in Rumänien. Das sind zirka zehn Prozent der Bevölkerung. Daten der Regierung zufolge, sind 75 Prozent dieser Minderheit von Armut betroffen, während sich nur 24 Prozent der gesamten Rumänen in einer solch prekären Lage befinden. Amnesty International hat über Jahre hinweg, in Zusammenarbeit mit der Bukarester NGO „Romani CRISS“ und dem „European Roma Rights Centre“ (ERRC) in Budapest, einige Fälle von Zwangsräumung dokumentiert. Die oft wilden Wohnverhältnisse der Roma sind in Rumänien nichts Neues, trotzdem sprechen die Autoren nicht von Einzelfällen, sondern von einer ungeklärten Gesetzeslage, die die schwierige soziale Situation noch verschlimmert. Die geschädigten Gemeinschaften verlieren nicht nur ihr Haus, sondern auch ihren Besitz, ihre sozialen Netzwerke und den Zugang zu Arbeit, Schulen oder anderen staatlichen Einrichtungen.

Der Bericht schildert beispiels-weise den Fall von mehreren Roma-Familien in Klausenburg/Cluj-Napoca, die nach 25 Jahren in Wohnungen im Stadtzentrum plötzlich von der Stadtverwaltung zum Problem erklärt wurden und in eine Roma-Siedlung am Stadtrand weichen mussten. Dort boten sich den neuen Bewohnern „unmenschliche“ Lebensbedingungen in einer marginalisierten Gesellschaft „zwischen Müll und giftigen Chemieabfällen“. Die Menschen leben in viel zu kleinen Wohnungen mit bis zu zehn Personen in einem Zimmer, schildern die Autoren. Jene, die keinen Platz mehr in dem Wohnblock fanden, durften sich ihre spärlichen Behausungen daneben bauen, aber blieben ohne Vertrag, der die Rechtmäßigkeit der neuen Wohnsituation garantieren würde. Vordergründig bemängelt Amnesty International das Vorgehen der Behörden bei der Räumung, dass in nicht angemessenem Ausmaß nach Alternativen gesucht wurde und dass die Familien keine Möglichkeit hatten, den Erlass rechtlich anzufechten.

Außerdem beanstanden die Autoren die Gesetzeslage, die Zwangsräumungen zulässt, wenn Häuser oder Grundstücke nicht legal bewohnt werden. Beispielsweise hatten Roma und ethnische Rumänen über viele Jahre hinweg am Rande von Tulcea bescheidene Unterkünfte, ohne Genehmigungen und ohne Klarheit über die Eigentumsverhältnisse des Gebietes, errichtet. Im Januar 2011 wurden sie von der Stadtverwaltung vertrieben und ihre Häuser zerstört, da in diesem Gebiet, am Eingang des Donaudeltas, ein Umwelt-Rekultivierungsprozess umgesetzt werden sollte. 

Auf Anfrage von Amnesty International bestätigte ein Sprecher des Ministeriums für regionale Entwicklung und Tourismus, dass ein rechtlicher Schutz der Betroffenen in solchen Situationen fehlt. Die rumänische Gesetzgebung trägt dem rechtlich ungeklärten Status, in dem viele Roma ihr Dasein in spärlichen Behausungen fristen, nur ungenügend Rechnung. Lokale Behörden können diese Gesetzeslücken ausnutzen und werden bei menschenrechtswidriger Behandlung oder Willkür nicht zur Verantwortung gezogen, resümiert der Bericht.

Mit einer Liste an Empfehlungen fordert Amnesty International Nachbesserung in einigen Bereichen: Um Minderheiten vor Willkür der Behörden zu schützen, müsse eine Standardprozedur zur Regelung der Abläufe auf Basis der Menschenrechte gesetzlich verankert werden. Außerdem solle die Regierung „angemessenes Wohnen“ im weiteren Sinne gesetzlich verankern. Hierzu fordern die Experten, neben den physischen Notwendigkeiten wie Zugang zu Trinkwasser, Energie um zum Heizen und Sanitäreinrichtungen auch soziale, kulturelle, ökonomische und ökologische Aspekte zu berücksichtigen, um den Randgruppen die Möglichkeit der gesellschaftlichen Eingliederung zu geben. Zusätzlich fordert die Menschenrechtsorganisation, die Wohnsituation sozial benachteiligter Gruppen durch staatliche Förderungen zu verbessern.

Das Ministerium für regionale Entwicklung und Tourismus ist derzeit dabei, die Gesetzeslage zu überarbeiten. Dies sei eine hervorragende Gelegenheit für die Regierung, die nationale Gesetzgebung auf internationalen Standard zu bringen. Außerdem, so der Bericht weiter, müsse sichergestellt sein, dass Gelder der EU nicht für Entwicklungsprojekte verwendet werden, die internationale Gesetze brechen. In einigen Fällen werden die „Rechte der Menschen verletzt, indem sie wie Müll wegtransportieren und in unmenschlichen Lebensbedingungen zurückgelassen werden“, heißt es im Bericht.