Wer sammelt die Scherben auf?

Für Präsident Johannis ist die Regierungsbildung eine Bewährungsprobe

Victor Ponta (Bildmitte) könnte der große Gewinner des Regierungssturzes sein, wenn es ihm nämlich gelingt, in den kommenden Monaten aus seiner Kleinstpartei, den Resten der ALDE und einigen Sozialdemokraten eine Mitte-Links-Alternative zusammenzufügen – dann dürfte die jetzige PSD erledigt sein. Foto: Agerpres

Sie sollte Rumäniens Frauen alle Ehre machen und als erste unter diesen das Amt des Premierministers bekleiden, doch am Ende ihrer knapp zweijährigen Regierungszeit (Januar 2018 – Oktober 2019) wurde Viorica Dăncilă wüst beschimpft, nicht nur von Victor Ponta, der eine Tote begraben wollte, sondern auch von ihren Parteifreunden, für die sie nur noch „Rumäniens Dümmste“ war. Dass die Flut an Beleidigungen von Männern kam – einige unter ihnen, wie zum Beispiel Marian Oprișan, zählen zu den widerwärtigsten Figuren der PSD –, kann hierzulande wenig wundern. Von Anstand keine Spur. 

Allerdings: Rumäniens erste Regierungschefin war für das Land nichts anderes als eine Dauer-Peinlichkeit, eine Zumutung für alle halbwegs gebildeten Menschen, für all jene, die das Gefühl des Fremdschämens in den 20 Monaten ihrer Amtszeit nie überwinden konnten. Innen- und außenpolitisch eine Null, hatte sie Liviu Dragnea nur deshalb aus dem Hut gezaubert, weil der „Daddy“ aus Alexandria, er selbst nur dürftig gebildet, aufmüpfige Figuren wie Sorin Grindeanu und Mihai Tudose satt hatte und jemanden brauchte, der seine Wünsche willfährig umsetzen konnte und dabei auch noch glücklich zu sein schien. Erst nachdem klar wurde, dass es der Justiz gelingen sollte, Dragnea wegzusperren, begann die letztendlich gescheiterte Emanzipation der Frau Dăncilă. 

Dass sie und ihre äußerst dubiose Kabinettsriege nun das Spielfeld räumen müssen, ist ausdrücklich zu begrüßen, ihre Hinterlassenschaft ist aber nüchtern zu betrachten. Wirtschaftlich gesehen, waren die etwa sechs Jahre der PSD-Regierung (Mai 2012 – Dezember 2015, Januar 2017 - Oktober 2019) nicht unbedingt die schlechtesten. Das Bruttoinlandsprodukt ist in dieser Zeitspanne um 77 Prozent bis auf knapp 1000 Milliarden Lei gestiegen, es lag 2012 bei 54 Prozent des EU-Durchschnitts, 2018 dagegen bei 64 Prozent. Rumäniens Ausfuhren sollen heuer einen Wert von 80 Milliarden Euro erreichen, ihnen gegenüber stehen Einfuhren von 90 Milliarden. 4,44 Millionen Arbeitnehmer registrierten die Behörden 2012, sechs Jahre später waren es 5,11 Millionen. Der Nettodurchschnittslohn ließ sich fast verdoppeln, er lag 2018 bei 2685 Lei, sodass sich Rumänien langsam vom Modell eines Billiglohnlandes verabschiedet. 500 Kilometer Autobahn zählte das Land 2012, jetzt sind es 800. Und die Staatsverschuldung ging sogar leicht zurück, von 36,9 BIP-Prozent auf 35 Prozent.

Doch das Wachstum stützt sich auf den verstärkten Endverbrauch der Haushalte und viel weniger auf staatliche und private Investitionen. Das Defizit des Staatshaushaltes soll 2019 3,4 BIP-Prozentpunkte erreichen, jenes der Außenhandelsbilanz wird knapp 17 Milliarden Euro betragen. Und auch die Inflation ist wieder gestiegen, obwohl die Notenbank sie bisher unter die Fünf-Prozent-Marke drücken konnte. Aber im großen Ganzen ist das wirtschaftliche Bild von dem Desaster weit entfernt, das die bisherige Opposition heraufbeschwört. Ja, die Vergabe von Staatsaufträgen ist weiterhin ein strafrechtlich relevantes Thema, der Autobahnbau stockt und EU-Gelder werden in zu geringem Maße ausgegeben. Der Staatsapparat ist – wann war er es nicht? – aufgebläht und müsste einer Verschlankungskur unterzogen werden. Das Bildungswesen liegt am Boden, sein erbärmlicher Zustand birgt wohl die größten Gefahren für dieses Land. Und im Hinblick auf die kommenden Kommunal- und Parlamentswahlen hätten die Sozialdemokraten auch den Rest ihrer ökonomischen Vernunft wohl aufgegeben.

Zurück zur Politik aber. Obwohl so mancher Dauer-Kommentator den Verstand zu verlieren schien und vom Tod des „Ceaușismus“ sprach, den das Parlamentsvotum vom 10. Oktober herbeigeführt haben soll, ist man sicherlich weit davon entfernt. Es waren auch Ceaușescus Erben dabei, als das Kabinett Dăncilă gestürzt wurde, und sie spielten keineswegs die Nebenrollen.

Einerseits ist es schon seltsam, wie es einer früher so gut organisierten Partei, die vor weniger als drei Jahren die Wahlen mit über 40 Prozent gewonnen hat, gelingen kann, über sich selbst zu stolpern und sich selbst ins Abseits zu manövrieren. Andererseits muss aber die Frage gestellt werden, ob in der Bukarester Parteizentrale doch noch irgendein Stratege übrig geblieben ist, der dieser Tage zynisch lachen darf. Die PSD verliert die Regierungsmacht und irgendwer muss die Scherben einer teilweise unvernünftigen Wirtschaftspolitik aufsammeln und den Laden beieinanderhalten, während die Sozialdemokraten von der Tribüne schreien dürfen, dass die neue Regierung unsozial ist, Löhne und Pensionen kürzt und dem Volk nur Leiden vorbereitet. So haben es die Sozialdemokraten zwischen 1996 und 2000 gemacht, die Bauernpartei PNȚCD zahlte es mit ihrer Existenz. Dann kam die PDL an die Reihe, die die Wirtschaftskrise von 2008-2009 meistern musste, bis die triumphierende PSD 2012 wieder an die Macht gelangen konnte. Der Regierung Cioloș erging es 2016 ähnlich und wer weiß, ob die Sozialdemokraten nicht wieder dasselbe Szenario durchspielen. Allerdings wiederholt sich die Geschichte nicht so einfach, die jetzige Führungsriege der PSD, ob mit oder ohne Viorica Dăncilă an der Spitze, ist bei Weitem nicht so clever wie ihre Vorgänger.

Mit einer Ausnahme. Einer gefährlichen. Victor Ponta ist, man muss es sagen, der große Gewinner des Regierungssturzes, der ohne sein Wirken nicht gelungen wäre, egal was der Möchtegernpremier Ludovic Orban glaubt. Sollte es Ponta gelingen, in den kommenden Monaten aus seiner Kleinstpartei, den Resten der ALDE und einigen Sozialdemokraten eine Mitte-Links-Alternative zusammenzuschrauben, dürfte die jetzige PSD erledigt sein und der ehemalige Premierminister eine Machtfülle genießen, von der er wahrscheinlich seit seiner Niederlage gegen Johannis bei den Präsidentschaftswahlen von vor fünf Jahren und seinem Abgang als Regierungschef 2015 tagtäglich träumt. Was er dafür noch braucht? Eine neue Regierung, die kaum besser ist als Dăncilăs Kuriositätenkabinett, eine Wirtschaftsflaute, die von einer internationalen Krise gestärkt werden könnte, und jene unpopulären Maßnahmen, die die Neuen unbedingt treffen müssten. Und natürlich viel Gezank um das neue Kabinett, das im Parlament auf wackligen Füßen stehen würde.

Ponta könnte vielleicht nur dann scheitern, wenn sich die USR und vielleicht auch die PLUS-Partei von Dacian Cioloș auf ihre politische Identität besinnen und sich zu einer modernen Linken erklären, die sie vielleicht mit Erfolg sein könnten. Das USR-Programm ist von linken Ansätzen geprägt, auch wenn einer ihrer Schreihälse, Andrei Caramitru, das Gegenteil behauptet und dafür Worte verwendet, die merkwürdigerweise an Vadim Tudor erinnern. Caramitru zum Trotz, könnte die USR eine Alternative zu der verstaubten Linksideologie einer in ihrem Kern verkrusteten PSD bieten, die unter dem Vorwand der Fürsorge für sozial Benachteiligte nur den Staat geplündert und an keinem der zahlreichen Klassenprivilegien gerüttelt hat, die sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Interessenkreise seit der Wende zugelegt haben und die nicht angetastet werden dürfen.

Während dieser Text in Druck geht, müsste Präsident Klaus Johannis die Person nennen, die er mit der Regierungsbildung beauftragt. Von einem Neuanfang mit Ludovic Orban im Premierminister-Sessel kann keinesfalls die Rede sein, der Mann, der zufälligerweise die PNL leitet, dürfte dafür nicht in Frage kommen. Schließlich hat er seit 30 Jahren kaum etwas bewiesen, außer dass er ein großes Maul hat. Wäre die innenpolitische Szene nur halbwegs gesund, würde einer wie Orban für eine längst überwundene Vergangenheit stehen und sich nicht dafür vorbereiten, in den Victoria-Palast einzuziehen. Doch das Angebot an möglichen Regierungschefs ist dürftig, am Ende könnte es doch Orban sein. Auch die am Wochenende umgehenden Gerüchte, wonach Rareș Bogdan, der etwas hysterische Fernseh-Hampelmann, das Innen- oder das Verteidigungsministerium leiten könnte, lassen einem nicht viel Hoffnung. Wenn die PNL der Ansicht ist, dass Rareș Bogdan der Law-and-Order-Mann ist, nach dem sich das Land nach Caracal und Gura Șuții zu sehnen scheint, dann liegt sie falsch, aber der Fernseh-Napoleon ist wohl nicht zu bremsen.

Wer unterstützt unter diesen Umständen ein PNL-Kabinett? Wahrscheinlich die USR, die sich weiterhin von der Regierungsverantwortung fernhält und zurzeit mit sich selbst beschäftigt ist, was sich unter anderem auch im eher schwachen Wahlkampf von Dan Barna widerspiegelt. Mit einer Unterstützung durch PSD, Pro România und ALDE ist nicht zu rechnen, die Băsescu-Partei PMP ist zu klein, auch wenn sie mit Habgier auf einige Ministerposten schaut. Vom UDMR dürfte sich die Unterstützung jedenfalls in Grenzen halten, da auch die neue Regierung per Dringlichkeitsverordnungen regieren wird, anderswie lässt sich ja der PSD-Unfug nicht aus der Welt räumen.

Die Frage der Regierungsbildung ist also schwierig, die Lage vertrackt. Vorgezogene Parlamentswahlen wären natürlich die Lösung, doch verfassungsrechtlich sind sie gegenwärtig kaum durchführbar. Man hätte darauf hinaus steuern können, wenn sich die PNL mit ihrem Regierungssturz nicht beeilt und bis nach den Präsidentschaftswahlen gewartet hätte. Denn diese sind sowieso gelaufen, Klaus Johannis wird mit großer Wahrscheinlichkeit als Sieger hervorgehen und seine zweite und letzte Amtszeit antreten. Sie wird für ihn mindestens so herausfordernd wie die erste sein, vor allem wenn er Rumänien durch eine Wirtschaftskrise lotsen müsste und gleichzeitig auch noch mit unstabilen politischen Verhältnissen zu kämpfen hätte. Eigentlich hat diese seine zweite Amtszeit mit der jetzigen Krise bereits begonnen, dem Land schuldet der Präsident eine tragfähige Regierung, die schnell gebildet werden und sich an die Arbeit machen muss.

Ob der Präsident seine Pflicht erfüllen kann, bleibt vorläufig dahingestellt. Klar ist derweil, dass er sich keine allzu großen Sorgen wegen seiner Wiederwahl machen muss. Denn: Barnas Wahlkampf kommt nicht in Fahrt, derjenige von Dăncilă steht nach ihrem Regierungssturz in der Schwebe und die Sozialdemokraten vor einem unlösbaren Dilemma. Sie würden Dăncilă gerne aus ihrem Parteiamt entfernen, doch das können sie ihrer Präsidentschaftskandidatin vorläufig nicht antun, wenn nicht auch das letzte Stückchen an Glaubwürdigkeit verspielt und die Kernwählerschaft der PSD nicht weiter verärgert werden soll. Trotzdem wird es Ponta nicht gelingen, seinen Kandidaten, den irrenden Schauspieler zweiter Klasse Mircea Diaconu, in die Stichwahl zu schicken. Die Wiederwahl des Amtsinhabers ist fast sicher, am 24. November wird er ein ziemlich leichtes Spiel haben, egal wessen Namen noch auf dem Wahlzettel stehen sollte.

Doch letztendlich hängt alles von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Und von der Wirtschaftspolitik der neuen Regierung, wie auch immer sie zusammengestellt werden soll. Die (ultra)liberalen Steuermaßnahmen der PSD werden irgendwann wieder zurückgenommen, zumindest in Teilen. Wer das machen wird, wird die ökonomische Stabilität des Landes festigen, aber dafür höchstwahr-scheinlich einen hohen politischen Preis zahlen müssen. Oder aber er wird nur so tun als ob. Auf die hierzulande seit eh und je übliche Weise.