Wie kann die EU entwaldungsfreie Lieferketten erreichen?

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Montreal - Abholzung ist für rund 25 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich und vor allem auf die Rohstoffproduktion für globale Märkte zurückzuführen. Ein kürzlich von der Europäischen Union verabschiedetes Gesetz zielt darauf ab, Entwaldung durch ein Verbot der Einfuhr von Rohstoffen und Produkten einzudämmen, die damit in Verbindung stehen. Die Maßnahme stellt zwar einen wichtigen Schritt dar, aber fehlende maßgebliche Daten werden ihre Wirksamkeit schwächen.

Das neue Gesetz legt Unternehmen eine Pflicht zur Sorgfaltsprüfung auf, in der das „Erzeugerland“, die „Geolokalisierung ... aller Grundstücke, auf denen die relevanten Rohstoffe und Produkte erzeugt werden“, den „Zeitraum der Erzeugung“ und „überprüfbare Informationen darüber, dass die relevanten Erzeugnisse entwaldungsfrei sind“ anzugeben sind. Mit anderen Worten: Unternehmen müssen nachweisen, dass ihre Lieferketten frei von Entwaldung sind.

Mit der neuen Verordnung soll zwar sichergestellt werden, dass Unternehmen genaue Rückverfolgbarkeitsdaten über die geografische Herkunft von Waren sammeln, die bekanntermaßen Teil ihrer Lieferketten sind, doch fehlt es ihr an der notwendigen Genauigkeit, um zu verhindern, dass Unternehmen lediglich eine Reihe möglicher Ursprünge anstelle der tatsächlichen Quellen angeben. Diese Mehrdeutigkeit gefährdet das Potenzial der Verordnung.

Die EU strebt an, den Handel mit verschiedenen Rohstoffen zu regulieren, die zumeist von Kleinbauern produziert werden. Dazu gehören etwa 40 Prozent der weltweiten Früchte der Ölpalme, 85 Prozent des Kautschuks und 80 Prozent der weltweiten Produktion von Kakao- und Kaffeebohnen. Da diese Waren häufig über „informelle“ Lieferketten den Besitzer wechseln und weder besteuert noch reguliert werden, bevor sie eine formelle Fabrik erreichen, gibt es keine digitalen Aufzeichnungen über die Transaktionen zwischen Kleinbauernhöfen und Fabriken. Folglich stehen die Unternehmen vor großen Herausforderungen bei der Rückverfolgung dieser Waren bis zu ihrem Ursprung.

Unternehmen, die sich um eine bessere Rückverfolgbarkeit bemühen, ermitteln häufig zunächst formelle Fabriken innerhalb ihrer Lieferkette, die ihre Produkte von Kleinbauern beziehen, und arbeiten dann mit Dienstleistern zusammen, die in einem bestimmten Umkreis um die Fabrik nach Kleinbauern „suchen“ und die Umrisse ihrer Grundstücke in einem digitalen Format „kartieren“. Da die Kartierung jedoch oft aufhört, sobald die geschätzte Produktionsmenge der kartierten Bauernhöfe mit der Kapazität der ermittelten formellen Fabrik übereinstimmt, wird die Möglichkeit übersehen, dass auch andere Bauernhöfe mit ihren Erzeugnissen zur Versorgung dieser Fabrik beitragen.

Die vorherrschende Methode des Erfassens sämtlicher Stakeholder einer Lieferkette (Supply Chain Mapping) in Lieferketten mit kleinbäuerlichen Betrieben führt daher eher zu einer Reihe möglicher Erzeugungsorte als zu tatsächlichen Quellen. Den Unternehmen entstehen Kosten für die Einhaltung der Vorschriften, die weder einen wirtschaftlichen Nutzen bringen noch dem Geist der EU-Verordnung entsprechen.

Zunächst einmal können Waren, die auf kürzlich abgeholztem Land produziert wurden, immer noch in die Lieferkette gelangen. Die Wahrscheinlichkeit ist geringer, dass die Erfasser der geografischen Daten landwirtschaftliche Betriebe ermitteln, die mit unlängst abgeholzten Flächen in Verbindung gebracht werden, da Bauern, die illegale Praktiken anwenden, nicht bereit sein dürften, ihr Land kartieren zu lassen. Dies führt zu einer Verzerrung des Datensatzes in Richtung abholzungsfreier Betriebe. Da Rohstoffe in der Regel in direkt aneinandergrenzenden Gebieten produziert werden, in denen es von Käufern und Lieferanten nur so wimmelt und ein Mangel an Loyalität herrscht, können Unternehmen einfach nicht wissen, ob sie von Betrieben kaufen, die erfasst wurden.

Wenn einige der kartierten Betriebe nicht entwaldungsfrei produzieren, müssen Unternehmen Lieferungen von diesen Erzeugern ablehnen. Dies erweist sich jedoch als unmögliches Unterfangen, da die Unternehmen nicht feststellen können, welche gelieferten Rohstoffe von welchem Betrieb stammen.

Und schließlich gelingt es mit der vorherrschenden Methode des Supply Chain Mapping nicht, datengestützte Erkenntnisse zu gewinnen, die die Beschaffungsprozesse der Unternehmen potenziell verbessern können. Doch trotz des begrenzten kommerziellen Werts und der geringen Wahrscheinlichkeit, die Ziele der EU-Verordnung zu erreichen, könnten Unternehmen diese Methode einfach anwenden, um die Einhaltung der Vorschriften auf der grundlegendsten Ebene zu gewährleisten und die Kosten zu vermeiden, die mit der Trennung ihrer Lieferketten in EU-konforme und nicht-konforme Warenströme verbunden sind.

Um den Anteil der EU an der Entwaldung zu verringern, muss die neue Verordnung Unternehmen verpflichten, Daten auf Transaktionsebene zu sammeln, die die Waren mit ihrer geografischen Herkunft verknüpfen. Mit anderen Worten: Die EU sollte eine Aufzeichnung der Transaktionen eines Unternehmens mit jedem seiner Lieferanten verlangen. Diese Lieferanten wiederum müssen Aufzeichnungen über ihre eigenen Transaktionen führen, die bis zum ursprünglichen Erzeugungsort zurückreichen.

Kleinbauern und Zwischenhändlern fehlen derzeit die Anreize und die digitalen Instrumente, die für eine Rückverfolgbarkeit auf diesem Niveau erforderlich sind. Im Gegensatz dazu müssen formelle Fabriken und Käufer aufgrund ihrer steuerlichen Verpflichtungen Daten auf Transaktionsebene in einem digitalen Format erfassen. Viele Unternehmen nutzen diese Daten auch, um einen geschäftlichen Nutzen zu erzielen, der über die bloße Einhaltung von Vorschriften hinausgeht. So liefert etwa die Analyse von Daten auf Transaktionsebene datenbasierte Erkenntnisse darüber, welche Lieferanten am zuverlässigsten sind, und ermöglicht eine optimierte Bestandsverwaltung und Bedarfsprognose.

Um Informationen auf Transaktionsebene über informelle Lieferketten zu erhalten, benötigen Kleinbauern und Zwischenhändler digitale Werkzeuge, die es ihnen ermöglichen, das Lieferkettenmanagement zu optimieren und profitabler zu arbeiten. Aus diesem Grund haben meine Partner und ich PemPem gegründet, eine Plattform, die Tools für das Lieferkettenmanagement für Kleinbauern entwickelt und die Rückverfolgbarkeit in Echtzeit vom Bauernhof bis zur Fabrik ermöglicht. Wir begannen mit der kleinbäuerlichen Palmölindustrie in Indonesien und stellten den Bauern eine mobile Anwendung zur Verfügung, die Rohstoffpreisdaten von allen Käufern innerhalb einer bestimmten geografischen Region sammelt. Mithilfe datengesteuerter Algorithmen kann die Plattform den bestmöglichen Preis für einen bestimmten Rohstoff ermitteln. Die Kleinbauern können dann den angebotenen Preis akzeptieren und eine Transaktion durchführen.

Die Algorithmen von PemPem bringen „Bündel“ von Kleinbauernhöfen mit Transportdiensten zusammen, die die Waren abholen und an die vorgesehenen Käufer liefern. Da sie über eine mobile App organisiert werden, werden diese Vorgänge automatisch aufgezeichnet, wodurch Aufzeichnungen auf Transaktionsebene vom Bauernhof bis zur Fabrik entstehen. Die Landwirte profitieren davon, dass sie den bestmöglichen Preis erzielen, die Käufer können das Angebot besser auf die Nachfrage abstimmen, und Zwischenhändler können die Fahrzeugkapazitäten und die Lieferwege optimieren. Dieser Ansatz wurde von Technologie-Start-ups wie Aruna und Fishlog, die beide in der Fischindustrie tätig sind, sowie von BanQu übernommen, das Maniokbauern dabei hilft, Aufzeichnungen auf Transaktionsebene zu führen und nachhaltige Beschaffungspraktiken zu gewährleisten.

Das Aufkommen dieser neuen Generation digitaler Lösungen sollte Befürchtungen zerstreuen, dass sich die Erfassung von Daten auf Transaktionsebene negativ auf Kleinbauern auswirken könnte. Durch einen kommerzielleren Ansatz bei der Erfüllung der Rückverfolgbarkeitsziele und die Nutzung neuer, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittener Technologien könnten sich die Bauern an entwaldungsfreie Lieferketten anpassen und gleichzeitig von einer höheren Effizienz profitieren, sodass die EU-Verordnung besser an ihr Ziel gelangen kann.


Aus dem Englischen von Sandra Pontow

Joann de Zegher, Professorin an der MIT Sloan School of Management, ist Mitbegründerin und CEO von PemPem, einem Unternehmen, das Management-Tools für Rohstofflieferketten von Kleinbauern entwickelt.

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