Wie sich Russland sofort stoppen lässt

„Friede, nicht Öl“: Diesen Slogan malten Aktivistinnen und Aktivisten von Greenpeace am 25. März dieses Jahres vor Danzig/Gdansk auf den Öltanker „Andromeda“, der Öl von Russland nach Polen transportierte. Greenpeace forderte dringende Maßnahmen von der Europäischen Union und der polnischen Regierung, um die Importe von fossilen Brennstoffen aus Russland zu stoppen und die Transformation des Energiesektors voranzutreiben.
Foto: Greenpeace Polska/Flickr

Europa, die USA und die übrigen Verbündeten der Ukraine haben zwei der drei erforderlichen Maßnahmen umgesetzt, um die russische Wirtschaft in die Knie zu zwingen und Präsident Wladimir Putins Angriffskrieg zu behindern. Es wurden starke Finanzsanktionen umgesetzt, und Europa hat eine Käufergemeinschaft gebildet, um im späteren Jahresverlauf einen Großteil des aus Russland importierten Öls mit einem Embargo zu belegen. Nun brauchen wir das dritte entscheidende Puzzlestück: Wir müssen Putins Erlöse aus per Schiffen transportiertem Rohöl reduzieren, und zwar sofort.

Die nach der Invasion umgesetzten Finanzsanktionen waren wirksam. Das Einfrieren der Devisenreserven der russischen Notenbanken beseitigte einen großen Teil des russischen Puffers gegen Erschütterungen. Die Stabilität des Rubels beruht seitdem lediglich auf strengen Kapitalkontrollen und dem fortgesetzten Zustrom harter Währung aus dem Verkauf von Öl und Gas. Dies ist ein prekäres Arrangement, das leicht durch weitere negative Schocks zerstört werden kann.

Mechanismus ist bereits geschaffen

Durch Bildung einer Käufergemeinschaft hat die Europäische Union bereits den Mechanismus geschaffen, um einen derartigen Schock auszulösen. Nach langer Debatte entschlossen sich die EU-Mitgliedstaaten, in gut fünf Monaten ihre Käufe von per Schiff transportiertem russischen Öl einzustellen. Angesichts der Tatsache, dass Russland noch immer rund 1,25 Millionen Barrel täglich per Schiff in die EU exportiert, hätte die Drosselung dieser Transporte erhebliche Auswirkungen auf Putins Einnahmeströme, die Stärke des Rubels und das ohnehin schon fragile russische Finanzsystem.

Doch fünf Monate zu warten, bevor man Putins Kriegsmaschine ausbremst, ist nicht akzeptabel. Jeden Tag werden weitere Ukrainer von den russischen Streitkräften getötet. Wir können nicht warten. Wir brauchen das letzte Stück der Strategie, um den Preis, der Russland für sein Rohöl und seine Mineralölprodukte gezahlt wird, zu senken, und so die Einnahmen des Kremls zu begrenzen.

Diese Einnahmen sind weiterhin robust. Im Mai hat allein die EU Rohöl im Wert von über fünf Milliarden Dollar per Schiff importiert, und so wie es derzeit aussieht, wird sie im Juni eine ähnliche Menge gekauft haben. Für jedes verkaufte Barrel Öl erhält Putin bis zu 100 Dollar, die er direkt zur Kriegsfinanzierung nutzen kann. Dieselben Geldflüsse haben zudem dafür gesorgt, dass der Rubel viel stärker ist, als er das sonst wäre.

Seeembargo möglicherweise kontraproduktiv

Etwas kontraintuitiv lässt sich das dritte Puzzleteil nicht durch ein komplettes Embargo auf Seetransporte erreichen, das Exporte in EU-registrierten oder in der EU versicherten oder finanzierten Schiffen in die übrige Welt verbietet. Diese Art von Hammerschlag würde den Ölpreis vermutlich in die Höhe treiben, weltweit wirtschaftliche Probleme verursachen und die Einnahmen erhöhen, die Putin aus Ländern erhält, die sich nicht an die Sanktionen halten.

Wird das dritte Maßnahmenpaket jedoch richtig konzipiert, lassen sich diese negativen Auswirkungen abmildern und womöglich sogar komplett vermeiden. Daher unterstützen wir die jüngsten Vorschläge von US-Finanzministerin Janet Yellen und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi, die den Preis, den Russland pro Barrel Öl erhält, deckeln würden. Die EU könnte dies tun, indem sie ihre Kaufkraft während der kommenden fünf Monate nutzt und die Tatsache ausnutzt, dass der größte Teil des russischen Öls – rund 70 Prozent – auf Schiffen befördert wird, die Eigentum von Unternehmen in der EU, im Vereinigten Königreich und anderen verbündeten Ländern sind bzw. die von derartigen Unternehmen versichert und finanziert werden. Diese Maßnahmen werden zwischen den EU-Mitgliedern aktiv diskutiert, und wir würden alle anderen Länder ermutigen, sich hinter sie zu stellen.

Preisdeckelung als Lösung?

Weil die Grenzkosten der Produktion auf den bestehenden russischen Ölfeldern außergewöhnlich niedrig sind, könnte man den Preis auf sehr niedrigem Niveau deckeln, um Putins Einnahmen zu begrenzen, ohne Russland den Anreiz zu weiteren Exporten zu nehmen. Das Öl würde weiterhin an den internationalen Markt geliefert, was kurzfristige negative Auswirkungen auf das Preisniveau verhindern würde.

Diese Preisdeckelung ließe sich auf mehrere Weisen umsetzen: Entweder als direkte Beschränkung oder als Zoll. Der Vorteil einer zoll- oder steuerartigen Struktur besteht darin, dass diese Einnahmen generieren würde, die sich nutzen ließen, um die Kosten der Aufnahme der rund fünf Millionen ukrainischen Flüchtlinge abzudecken, die derzeit in der EU Schutz suchen, oder um anderen einkommensschwachen Menschen (in Europa und andernorts) zu helfen, die von den Folgen von Putins Angriffskrieg schwer getroffen wurden.

Russland müsste wohl trotzdem verkaufen

Natürlich könnte Russland sich weigern, Öl zu diesem niedrigeren Preis zu liefern. Doch lohnt es, sich zu erinnern, dass Russland, selbst als die Preise während der Pandemie auf bis zu 20 Dollar pro Barrel sanken, eifrig bestrebt war, so viel wie möglich zu verkaufen. Auch würde Russland, wenn es seine Produktion stoppen sollte, seine Ölbohrlöcher beschädigen und faktisch seine Mitgliedschaft in der OPEC+ aufgeben. Der Verlust für die russische Wirtschaft würde unmittelbar eintreten, und der Druck auf den Rubel wäre immens.

Ohne harte Währung würde es Putin schwer fallen, in anderen Ländern Bau-teile für seine Raketen und sonstigen Waffen zu kaufen. Ohne Staatseinnahmen müsste Russland zur Finanzierung seines Krieges zusätzliches Geld drucken, wodurch sich die Inflation in Russland erhöhen würde. Der Westen hat große Fortschritte dabei gemacht, Sanktionen zu konzipieren, die Putins Krieg in der Ukraine stoppen werden. Jetzt muss er die Sache zu Ende führen. (Copyright: Project Syndicate, 2022)

Aus dem Englischen von Jan Doolan


Herman Haluschtschenko ist Energieminister der Ukraine. Oleg Ustenko ist Wirtschaftsberater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.