Wie viele Stadtviertel hat Kronstadt heute? (I)

Der Wandel von Quartalen zu Stadtteilen Kronstadts im Zeitraffer

Auszug aus der Karte des Kronstädter Distriktes (Josephinische Landesaufnahme 1760/1780) mit den gut ausgeprägten Vierteln: Obere Vorstadt, Innere Stadt, „Plumenau“ und Bartholomä. Zwischen Schlossberg und Mühlberg waren Bartholomä und die Blumenau schon verbunden, seitlich des Mühlberges ist der Standort der Papiermühle angegeben bis zu dem sich auch Getreidemühlen befanden. Noch bildete der Tömöschkanal eine Einheit mit dem „Kurutzenwall“ durchbrochen am Ende der Brückengasse.

In einen Auszug des Stadtplanes von Gustav Treiber eingezeichnete Bereiche der Aufteilung Kronstadts in Quartale um 1500.

Auszug aus einem Stadtplan von 1922 mit dem Eisenbahngleis und den drei damaligen Bahnhöfen: oben der Bahnhof Bartholomä, rechts der Hauptbahnhof und auf halber Strecke zwischen den beiden, ohne Namensangabe im Plan, der „Kleine Bahnhof“, im Volksmund „Kühlwaroscher“ getauft.

Die Frage im Titel vorliegenden Beitrags stellte sich als über eine Nachricht, welche sich auf das Stadtviertel „Tractorul V“ bezog, in unserer Redaktion gefachsimpelt wurde, ob dieser Stadtteil als selbständiges Viertel oder nur als die Bezeichnung eines Bauvorhabens betrachtet werden kann. Die schnellste Lösung – nach der Antwort zu googeln – brachte mehrere völlig unterschiedliche Antworten, von denen sich die meisten als irreführend erwiesen: zwischen 12 und 18 Stadtviertel, je nachdem, ob die Aufzählung von Werbeseiten für Tourismus, Immobilienentwicklern oder der Stadtverwaltung selbst kommt.

Demnach unternahmen wir eine gründlichere Suche die mit dem Band „Kronstadt“ (Erster Band, Verlag Burzenländer Sächsischen Museum, herausgegeben von Erich Jekelius, 1928) begann und wo sich eine Aufzählung der Stadtteile mit Straßennamen befindet: als Quartale (von quarta pars = ein Viertel eines Ganzen) von 1500  sind angegeben: Catharinae, Petri, Porticae und Corporis Christi. Die Aufteilung betraf damals die Straßenzüge innerhalb der Stadtmauern, fügte jedoch jedem der vier Teile auch einige Straßen der Vororte hinzu, jedoch nicht alle. (Bild 1)

Eingehender mit der Unterteilung Kronstadts in die Stadtviertel der Inneren Stadt und der Vorstädte: Bartholomä, Altstadt und Blumenau, befasst sich Gernot Nussbächer in dem fünften Band der Reihe der „Corona Hefte“. Hier befinden sich auch Pläne der Aufteilung in Quartale (später Stadtviertel) von 1500, 1800 und 1910 aus denen die Richtungen hervorgehen in welche sich Kronstadt entwickelte und weiterentwickelt. War diese Entwicklung bis etwa 1800 langsam, so beschleunigte sie sich mehr und mehr, zeitgleich mit der industriellen Entwicklung, für welche enge Stadttore und Mauern nicht mehr Schutz, sondern Einengung bedeuteten.  

Nach 1800 beginnt die - anfangs zaghafte, später beschleunigte - Verlegung des handwerklichen Gewerbes, teilweise in die Langgasse und Hintergasse, doch massiv und flächendeckend in die Blumenau wo sich auch die besten Vorgaben einer Ausweitung bieten. Ursprünglich als kleine Siedlungsoase auf den ältesten Stadtplänen dargestellt, finden wir sie - als die Stadtbegrenzung in dieser Richtung noch der Kurutzenwall bildete – 1796 auf einem Stadtplan schon mit Straßenzügen und Parzellen. Die Schankgasse mit ihrer Verlängerung der Brückengasse endete bei der Brücke  über den Tömöschkanal, heute „Ceasul Rău“.

Damit wurde der einst ärmste Stadtteil zum Ausgangspunkt der Entwicklung aus zwei ausschlaggebenden Gründen: der Tömöschkanal, der eine natürliche und billige Energiequelle und Kanalisation darstellte und das Gelände war nur schütter bebaut und lag nahe an den zwei Wohnvierteln Altstadt und Innere Stadt von wo Arbeitskräfte kamen.

Bald wurde der Mühlenberg vollständig in die bebaute Fläche eingeschlossen, der Schlossberg war es seit längerer Zeit und um den Schneckenberg herum siedelten sich – auch am Tömöschkanal - Klein- und Großunternehmer an. Die Brüder Schiel gaben ihre Metallwerkstatt neben dem schon geschleiften Schwarzgässer Tor auf, genauso wie die Buntmetallgießerei von Teutsch die ihrige neben dem Kühmarkt. Die Schiel-Werke wurden zum Kern der späteren Hidromecanica und aus der Teutsch-Gießerei wurde die Werkzeugfabrik IUS. Aus der Blumenau heraus, bildeten sich zwei Wachstumsrichtungen: eine kanalabwärts, bis Bartholomä und eine kanalaufwärts, Richtung Dîrste, wo das Ballungsgebiet der Schwerindustrie entstehen sollte.

Hier nur einige der Fabriken, die in Kronstadt im ersten Zuge der Industrialisierung entstanden, mit ihrem Gründungsjahr. Die zweite Jahreszahl entspricht entweder der Enteignung oder aber, dem Jahr bis zu welchem der ursprüngliche Name beibehalten wurde, bzw. die Fabrik von einer anderen übernommen wurde: 

- Lederfabrik M. Schlandt (1901-1949)
- Prifaro Kronstadt (Sägebänder)(1926-1948)
- Lederfabrik Brüder Miess (1899-1948)
- Metrom Kronstadt(1935-1949)
- Hettmann/Metaloductil Kronstadt (1920-1956)
- Seewaldt Mühlen (1898-1951)
- Julius Teutsch, Maschinenbau und Gießerei (1930-1953)
- Prerom Săcele, war die Auslagerung der Werkstatt für Bordgeräte und Armaturen der Flugzeugfabrik, Kern der späteren Electroprecizia (1934-1953)
- Seifen und Kerzenfabrik G. Eitel (1927-1949)
- Farola Kronstadt (Fabrica Român² de Laminate, später von METROM übernommen) (1923-1949)
- Wilhelm Tellmann Tuchfabrik (1864-1955)
- Süßwarenfabrik Hess (1899-1948)
- Franck Kaffeemühlen (1911-1951)
- Gummifabrik (1927-1953)
- Wattelinfabrik Ganzert (1927-1948)
- Dumitru Voina Fabrik (1912-1953), später Eisenbahnwaggons, Brainner Bela und zuletzt Schraubenfabrik
- Kabel- und Seilfabrik Ancora (1922-1951)
- Portland-Zementfabrik, später Temelia (1888-1951)
- Vass Pasta (Schuhcremefabrik) (1935-1942)

 Um 1900 bildete die Fabrikstraße ein kleines „Industriegelände“ in fast rechtem Winkel zu der Fassade der Scherg-Tuchfabrik, entlang der heute eine unscheinbare Seitenstraße liegt, die bei ihrer Erschließung jedoch die Direktverbindung zu den Schiel-Werken bildete. Das andere Ende der Fabrikstraße verlief an der alten Papiermühle vorbei (die sich dort befand, wo heute die Feuerwehr am Fuße des Mühlenbergs liegt) und kreuzte dort die neue Plevnei-Straße, die zum „Kleinen Bahnhof“ und der hier seit 1873 gebauten Bahnstrecke nach Schäßburg führte.

  Noch namenlos, bildete sich dort, wo hinter dem Mühlberg Bartholomä und Blumenau zusammentreffen, ein neues Wohn- und Gewerbeviertel von dem heute sehr viele Reihenhäuser in den nördlichen Teilen der Hintergasse Fabrikstraße, am Fuße des Mühlberges und in den Quergassen noch stehen. Von den damaligen Kleinunternehmen stand bis vor einem Jahr noch das Mühlenhaus der „Seewaldt“ Mühle. Heute stehen an der Stelle noch zwei zu Wohnhäusern umgebaute Mühlen. Die Gießerei, welche davor stand, andere Werkstätten, wurden abgerissen als die Hochbauten des heutigen Grivi]ei-Viertels entstanden.

Weniger zahlreich sind die aus den Jahren vor dem ersten Weltkrieg überlebenden Wohnhäuser zwischen Brunnengasse und Schneckenberg. Nur die Fassaden zu der Brunnengasse und ihrer Verlängerung bis zum Schielplatz zeugen von wohlhabenden Unternehmern. Der Teil der Stadt blieb Amts- und Verwaltungsgebäuden vorbehalten: Militärspital, Kaserne der Bergjäger, Gendarmerie und Gericht ließen weniger Platz für Reihenhäuser übrig. Der Bauboom begann hier mit einem/zwei Jahrzehnten später.

Doch über die Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit bis zu den heutigen 12 Stadtvierteln, in dem zweiten Teil unseres Beitrages.