Wikinger, steinerne Taufurkunden und moderne Kunst

Eine Reise durch Südjütland

Vier Männer am Meeresstrand schauen bei Esbjerg in die Ferne.

Enge Straßen führen zum massiven Dom in Ribe.

Erik Hagens Evangeliums-Darstellung in Esbjerg entstand 2005.
Fotos: Ralf Sudrigian

Vier Männer blicken sitzend aufs Meer. Diese Monumentalskulptur von Svend Wiig Hansen, geschaffen 1994/95, ist inzwischen, neben dem Wasserturm, zum Wahrzeichen der Stadt Esbjerg in Südjütland, Dänemark, geworden. Sie erinnert an die Statuen auf der Osterinsel und lässt mehrere Interpretationen offen. „Der Mensch am Meer“ heißt diese Skulpturgruppe, die anlässlich des 100-Jahre-Jubiläums seit der Gründung der Kommune Esbjerg errichtet wurde. Waren es früher die Frauen, die auf ihre Männer warteten und nach ihren Schiffen oder Fischerbooten Ausschau hielten, so sind nun die Männer in dieser wartenden Haltung festgehalten. Oder vielleicht ruhen sie einfach und meditieren am Strand, am Treffpunkt zwischen Festland und Meer, an der Schnittstelle von Stadt, Hafen und Natur.

Eine Reise nach Südjütland mit Mitgliedern der ungarischen evangelischen Kirchengemeinden aus Kronstadt und Krisbach auf Einladung ihrer dänischen Partner vom Verein „Ost – West, Luther Best“, ermöglichte mir einen kleinen, aber aufschlussreichen Einblick in diesen Teil Dänemarks.

Ribe

Vor gut 1300 Jahren waren es die Wikingerschiffe, die an diesem Teil der Nordseeküste auftauchten. Esbjerg gab es damals noch nicht als Ortschaft, dafür aber das nahe gelegene Ribe. Die heute rund 8000 Einwohner zählende Stadt gilt nicht nur als älteste Stadt des Landes, sondern auch als eine der schönsten und besterhaltenen. Nicht nur die Spuren der Wikinger und ihrer Lebensweise sind dort zu entdecken – zum Beispiel im Ribe Viking Center, wo die Wikingerwelt in einem Erlebnispark rekonstruiert wurde, sowie im Museum „Ribes Vikinger“ – sondern auch ein Stadtkern mit Mittelalter-Flair ohne großen Verkehr in den Kopfsteinpflastergassen mit den alten Fachwerkhäusern.

Die Domkirche mit ihrem Turm, von dessen Plattform man eine herrliche Aussicht auf die Kleinstadt und die Umgebung hat, dominiert den Platz, in dessen Mitte sie seit Jahrhunderten steht. Sie ist Sitz des Bistums Ribe der  evangelischen Kirche, die in Dänemark Volkskirche ist. Mit ihrem Bau wurde bereits im 12. Jahrhundert begonnen. Als Baumaterial, das in dieser flachen Küstengegend absolute Mangelware war, diente Tuffstein aus dem Rheingebiet, das per Schiff hierher transportiert wurde. Später wurden am ursprünglich romanischen Bau gotische Anbauten und Änderungen aus Backstein hinzugefügt. Auffallend im Inneren der Kirche sind die sieben Glasmosaiken mit biblischen Motiven hinter dem schlichten Altar. Moderne Kunst in der Gestaltung des kirchlichen Innenraums ist keine Seltenheit, zumindest nicht in Jütland. Vor der Kirche befindet sich die Statue des Reformators Hans Tausen (1494 -1561), die in ihrem Aussehen an die Statue seines Zeitgenossen aus Siebenbürgen, Johannes Honterus, erinnert.

Jelling

In der kleinen Ortschaft Jelling im nördlichen Teil dieser Region findet man die Jellingdenkmäler und somit „Dänemarks Taufschein“. Es handelt sich um zwei Grabhügel, eine alte Kirche und zwei Runensteine – seit 1994 in der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes –, eine Ehre, die in Dänemark nur noch dem Roskilde Dom und dem Schloss Kronborg in Helsingør zukommt. Im nördlichen Grabhügel wurde der Wikingerkönig Gorm der Alte im Jahre 959 begraben. Auf dem kleinen Runenstein, den Gorm für seine Frau errichten ließ, heißt es: „König Gorm machte dieses Denkmal nach Thyre, seiner Frau, Dänemarks Zierde.“ Mit diesem Grabstein ist der Landesname Dänemark erstmals auf dänischem Boden zu lesen. Um aber als Taufurkunde zu gelten, musste es sich nicht um Heiden, sondern um Christen handeln. Die Bekehrung zum Christentum vollzog Gorms Sohn, Harald Blauzahn.

Der alte Gorm wurde also aus dem Nordhügel exhumiert, weil er als Heide begraben war, und erhielt in einer ursprünglich aus Holz gebauten Kirche ein christliches Begräbnis, was auch in Runen auf dem großen Runenstein, zwischen christlichen Symbolen  mit heidnischen Spuren – einer Christusdarstellung und dem Kampf zwischen  der Wikingerschlange und dem Löwen – markiert wird. „König Harald ließ dieses Denkmal errichten nach Gorm, seinem Vater, und nach Thyre, seiner Mutter; der Harald, der ganz Dänemark und Norwegen gewann und die Dänen Christen machte“, steht dort. Ende der 70er Jahre wurde in der heutigen Steinkirche, die 1100 über zwei ältere Holzkirchen gebaut wurde, die Grabkammer Gorms entdeckt. Zunächst wurde der Wikinger ins däniasche Nationalmuseum gebracht, aber nur bis zum 30. August 2000, als die sterblichen Überreste in einem Metallschrein in einer gegossenen Betonkammer vor dem Chor in der  Kirche beigesetzt wurden. Die Stelle ist markiert und mit einem Deckstein versehen, der zwei Lacksiegel des Nationalmuseums trägt, mit der Inschrift: „König Gorm im Hügel 959 beerdigt und später hier ins Grab gelegt.“ So wurde die Jelling-Kirche, wie es auch Harald Blauzahn beabsichtigte, wieder  zu einer Königsgrabkirche und zu einer Stelle mit höchstem Symbolwert für die Dänen.

Esbjerg

Zum Unterschied vom alten Jelling, wo sich der Königshof der Wikinger befand, ist Esbjerg eine junge Stadt. Die heute rund 80.000 Einwohner zählende Hafenstadt entstand infolge des deutsch-dänischen Krieges (1864). Durch die dänischen Gebietsverluste an der Ostseeküste war es notwendig, einen neuen Hafen an der Nordseeküste zu gründen, der schnell auch ans Eisenbahnnetz gekoppelt werden konnte. Heute ist Esbjerg vor allem im Offshore- und Energiebereich stark. Von dort werden die riesigen Windräder weltweit exportiert. Fischerei gehört zur Vergangenheit, auch der Personenverkehr ist stark zurückgegangen. Fährverbindung gibt es zur nahen Ferieninsel Fanø und nach England, wohin man in 18 Stunden an der Themsemündung in Harwich ankommt. Ein  besonderes Museum der Seefahrt und der Fischerei (zur Zeit leider wegen Erweiterungsarbeiten geschlossen) und ein sehenswertes Museum mit moderner Kunst befinden sich in Esbjerg. Nicht zu vergessen, das Wattenmeer und die Marsch, die in der Umgebung von Esbjerg erkundet werden können, mit ihrer Vielfalt an Tieren  – Vögel, Fische, Meeressäuger – und Pflanzen. Faszinierend aber auch das Spiel der Gezeiten, das Sand und Schlamm versetzt und Sandbänke auftauchen oder verschwinden lässt.

Eine besondere Sehenswürdigkeit stellt das „Esbjerger Evangelium“ dar. Es befindet sich in der Esbjerger Hochschule, University College Syddanmark (UCS), Degnevej 16. Auf 140 Quadratmeter Wandgemälde wird die Bibel in einer modernen Bildersprache vom Künstler Erik Hagens erzählt. Die biblischen Motive werden in den vom Wohlstand geprägten Alltag der dänischen Gesellschaft von heute versetzt, wobei rund 150 Verweise auf die entsprechenden Bibelstellen angegeben sind, sodass auch eine Bibel zum Kunsterlebnis dazugehört.

Die rund 40 Meter lange Bilderreihe entlang der Wand beginnt mit der Darstellung des Garten Eden. Es könnte auch die wunderbare Welt der Kindheit sein. Um die Geschichte weiter zu verfolgen, muss man die Wand entlang gehen, denn die Fortsetzung entzieht sich, wegen der Halbkreisform, dem Blick. Der Babelturm erscheint dort als Anlehnung an Mendelejews Periodensystem der Elemente. Der Mensch will alles unter Kontrolle haben, aber es kommt zum Durcheinander. Die Jungfrau Maria ist eine moderne junge Frau, die allein in einem Wohnblockappartement wohnt, dargestellt von oben aus der Vogelperspektive. Der Heilige Geist tritt mit ihr per Radio in Verbindung. Jesus zieht sich Laufschuhe an, er wird viel unterwegs sein. Die Zeit der Kindheit ist vorbei. Die Rolle des barmherzigen Samariters übernimmt ein Flüchtling aus Bosnien, der einen Verunglückten mit seinem Wagen ins Hospital bringt, während alle anderen wegschauen. Das angebetete Goldene Kalb hat mit der Globalisierung zu tun.

Das Ende der Bildreihe stellt eine Familie beim feierlichen Ostermahl dar. Alles könnte in Ordnung zu sein, wie im Paradies. Nur dass jeder der Tischgenossen mit seinen Problemen beschäftigt zu sein scheint. Am Tischende, am Ehrenplatz, sitzt ein kleiner Junge. Vor ihm befindet sich ein grünes Bäumchen. Die biblische Handlung scheint sich zyklisch zu wiederholen und reicht bis in die Gegenwart.