Wo die Donau die Südkarpaten durchbricht

Eine Erkundungs- und Begegnungsreise Ende September 2019 durch den Donauengpass beim Eisernen Tor (Teil II)

Blick auf die Giftwüsten Tăușani und Boșneag des stillgelegten Erzaufbereitungswerks Moldomin

Goran Nedelcovici schenkt einen gereiften Birnenschnaps ein. Fotos: der Verfasser

Nachdem wir Basiasch hinter uns gelassen haben, fahren wir durch eine Reihe von Ortschaften, die heute wie früher mehrheitlich von Serben bewohnt sind: Divici, Belobreșca, Șușca, Pojejena, Radimna und Măcești. Divici, Radimna und das hinter Neumoldowa folgende Gornea bargen die Sensationen der archäologischen Ausgrabungen der 1960er Jahre (vorwiegend Rettungsgrabungen), als den Archäologen (unter ihnen Gheorghe Lazarovici, Marian Gumă, Richard Petrovszky, Caius Săcărin, Ovidiu Bozu sowie mehrere Hochschullehrer und Archäologen aus Klausenburg) reichlich Geld für ihre Grabungen zur Verfügung stand, weil der Boden vor der Überflutung durch den Do-naustausee – die Überflutung begann 1968 – archäologisch gesichert werden musste. Am Donauufer identifizierte man große dakische Festungen (Divici, Gornea), die nur von Garnisonen besetzt gewesen waren (nicht im üblichen Sinn bewohnt – darauf weisen die dürftigen Artefakte hin, die man vorfand) und der Verteidigung gegen die am Südufer der Donau festgesetzten Römer gedient hatten.

Dann folgte ein tristes Neumoldowa, wo man sich fragt, wovon die Leute leben, nachdem das Städtchen erst die 3000 Arbeitsplätze des Kupfererzanreicherungswerks und der Kupfergruben Moldomin, dann die rund 1000 Arbeitsplätze des Fahrzeugteile-Herstellers Delphi verloren hatte. Einen Besuch auf der Donauinsel Ostrov mussten wir wetterbedingt verschieben.

Fragwürdige Ästhetik von Industrieruinen

Wir durchqueren das düstere Neumoldowa und statten den zerstörten Ruinen des ehemaligen Anreicherungswerks für Kupferarmerze Moldomin über eine holprige Betonpiste nach Nirgendwo einen Besuch ab. Zur hellen Freude des Fotografen, der sich nicht sattfotografieren kann an der Ruinenlandschaft. Zugegeben, das gigantische Ruinenfeld – von unten, von der Donau aus, erscheint es irgendwie niedlich, übersichtlich und harmlos – hat seinen ästhetischen Reiz und, geschickt präsentiert und mit Kenntnissen über die Geschichte der Anlage garniert, könnte man es sogar Touristen schmackhaft machen, zumal dazu die Vorstellung gehört, dass hier vor nicht allzu langer Zeit 3000 Menschen aus der ganzen Donauklamm einen Arbeitsplatz hatten. Es wäre ein Besuchsziel ganz in dem Sinn, den vor mehr als einem Jahrzehnt ein Bürgermeister des Banater Berglands mal „Tourismus des Grauens“ getauft hat.

Weniger „attraktiv“ und auch kaum anziehend darzustellen sind die beiden am Fuß des Bergs liegenden Sandwüsten: Es handelt sich um die giftigen ehemaligen Klärteiche Boșneag und Tăușani, die wegen jahrelanger Nichtwässerung zu Wüsten voller giftiger Sande wurden, denen der örtliche Sturmwind, die „Coșava“ (verursacht durch die Donauklamm, die auf Ost- oder Westwinde beschleunigend wirkt), „Flügel“ verleiht, sie über Dutzende Kilometer verbläst und dabei Gemüse und Früchte, Felder und Brunnen, Nutzvieh und Menschen vergiftet. Die Serben haben festgestellt, dass innerhalb der Bevölkerung des südlichen Donauufers manche Krebsarten bis zu 60 Prozent häufiger vorkommen als in der Restbevölkerung Serbiens… 

Rumänien hat einige formelle Maßnahmen getroffen, nachdem die EU dem Land wegen Vernachlässigung der Befestigung dieser rund 180 Hektar großen giftigen Wüstenlandschaft ein Vertragsverletzungsverfahren angehängt hat. Die Maßnahmen greifen aber nur mit großer Verzögerung: Am Montag, dem 23. September, und am Freitag, dem 27. September, als wir dort waren, standen während unserer Anwesenheit alle Sprinkleranlagen still und wir konnten, von Weitem wie aus der Nähe, bloß eine Wüste sehen, frei jeder Vegetation. Wir suchten denn auch umgehend das Weite. Inzwischen ist die Sprinkleranlage kürzlich doch noch angefahren worden.

800.000 Euro für ein Pfahlbaudorf als Hotel

Die Reise ging durch Coronini, das kommunistische „Pescari“ (ein Dorf in Rumänien konnte doch nicht nach einem österreichischen General benannt werden, auch wenn der sich im Türkenkrieg hervorgetan hat!), wo zu der Zeit, als man im Südbanat das „Embargo praktiziert“ hat („practic embargoul“, diese Redewendung war tatsächlich im Alltagsrumänischen aufgekommen), tonnenweise Treibstoff mittels Ruderbooten auf die Donauinsel Ostrov geschafft und gegen D-Mark oder US-Dollar an serbische Schmuggler weiterverkauft wurde. Bis der berüchtigte „Arkan“ (das ist Željko Ražnatovi, 1952 – 2000, ein blutrünstiger serbischer Freischärler), der u. a. in Vukovar ein Massaker unter Kroaten und Nichtserben angerichtet hat, dem Treiben ein Ende setzte, indem er mitten auf der Donau die „Ware“ konfiszierte und Widerstrebende kurzer-hand erschoss. „Arkan“ war während der Jugoslawienkriege Anführer der paramilitärischen Organisation Srpska dobrovoljaka garda, kurz „Arkans Tiger“. In Coronini waren bis zum Auftauchen des Tigers Arkan sommers auf der Straße Kinder zu sehen, die mit Zehn-D-Mark- oder -Dollarscheinen „Karten spielten“.

Heute ist Coronini eine Gemeinde mit fast durchwegs neuen oder generalüberholten Häusern, mit einigen Berufsfischern, Kleinbauern und vielen Hausfrauen, eine ruhige und behäbige Ortschaft, als hätte es jene Zeiten nie gegeben.
Berzasca, wohin wir nach dem Tschechendorf Sankt-Helena und den vorwiegend von Serben bewohnten Niederlassungen Sichevița und Liubcova gelangen, war bis vor einem Jahrzehnt noch Endstation einer 50 km langen Schmalspurbahn bis ins nördlich gelegene Almasch-Tal, die das Zeug gehabt hätte, eine potente Konkurrentin der touristisch so erfolgreichen Marmaroscher Wassertalbahn zu werden. Als sie als Wald- und Forstbahn eingestellt wurde, wurden die Schienen binnen Monaten „von Unbekannten“ abmontiert, die drei alten Dampfloks – alle funktionsfähig – „verschwanden“ und heute zeugt hier nichts mehr von der Existenz einer Schmalspurbahn.
Hingegen gibt es in etwa auf der Höhe der früheren Endstation der Schmalspurbahn, die am Donauufer lag, eine Pfahlbausiedlung für Touristen, gebaut als Halbkreis ins Becken des Donaustausees. Die Einzelbauten auf Stahlpfählen („alles aus Deutschland gebracht“, unterstreicht die Besitzerin) mit Zweibettzimmern und komfortabler Terrasse Richtung Donau sind eine Attraktion der Gegend. Die zur Hälfte von EU-Mitteln finanzierte Pfahlbaupension mit Restauration hat insgesamt 800.000 Euro gekostet, gibt die Besitzerin preis. Die Pension soll im kommenden Jahr aufs Doppelte vergrößert werden. Die Pfähle dazu sind bereits in den Untergrund des Donaustausees gerammt. Und übrigens: Das Wasser im Bereich der Pfahlbausiedlung ist zwischen 1,4 und 1,8 m tief, denn die Anlage befindet sich über den ab 1968 überfluteten ehemaligen Gemüsegärten der Bewohner von Berzasca. Und: In den Grundbüchern gehört dieser Grund des Donaustausees, für dessen Überflutung es keine Entschädigungen gab, immer noch den Bewohnern. Sie können also legal den Untergrund des Donaustausees an Meistbietende verkaufen. Und die gibt es.
Bei zweimaligem Vorbeifahren zählten wir auf dem Parkplatz der Pfahlbau-Pension am Ufer einmal zehn, einmal zwölf Fahrzeuge. Unsere Schlussfolgerung: Die Pfahlbau-Pension von Berzasca muss gut ausgelastet sein. Widrigenfalls würden die Besitzer wohl auch nicht die Absicht haben auszubauen.

Feigensaison und -fest in Svinița

Auf der Weiterfahrt Richtung Kleiner und Großer Kessel der Donau passieren wir erst die Kohlenverladeanlagen von Cozla. Und die Fertigbau-Wohnblocks für die Kumpel, die in der Nähe des Do-nauufers Braun- und Steinkohle förderten. Noch eine triste Landschaft verwüsteter Hinterlassenschaften des rumänischen Sozialismus. Denn der Kohlenbergbau ist auch hier seit zwei Jahrzehnten eingestellt, die Anlagen Gelegenheitsdieben überlassen worden. Alles, was Metall war und nicht weggeschafft wurde, ist „verschwunden“; alle loslösbaren Brennziegel neuverwertet worden. Zurück blieben nur die Wohnhöhlen der Blocks – einige mit Plastikplanen anstelle der fehlenden Fensterscheiben, also vermutlich noch „bewohnt“ –, die Betonskelette der Verladeanlage, Reste der Kohlenwäscherei. Die in dem Donaustausee künstlich aufgeschüttete längliche Halbinsel, die parallel zum Ufer verläuft und eine Art künstlichen Golf schafft (wo die Lastkähne mit Kohlen beladen wurden), ist von Anglern besetzt. Es heißt in dieser Gegend, nicht einmal im Donaudelta gäbe es solchen Fang wie im Donaustausee. Vor allem kapitale Waller.

Fast unmittelbar nach Cozla sehen wir am Donauufer eine kleine Feigenplantage. Sie ist bereits abgeerntet, die Blätter werden langsam gelb. Es ist die Plantage des jungen Ehepaars Goran und Bianca Nedelcovici, beide unter 30, Serben aus Svinița, der ersten Ortschaft im Landkreis Mehedinți. Er autorisierter Fischer, sie Studentin des Umweltingenieurwesens im letzten Studienjahr. „Ich hoffe, mit diesem Diplom eine Anstellung im Naturpark Eisernes Tor/Djerdapp zu erlangen“, erzählt sie. Feigen sind für beide eine Nebenbeschäftigung. Goran produziert Feigenschnaps (neben anderen Fruchtschnäpsen, aus Birnen, Pflaumen oder Äpfeln), Bianca Feigenkonfitüre vom Feinsten.

Dass ihre vor knapp acht Jahren geborene Idee, den hier natürlich und wild wachsenden Feigenbaum in einer Plantage und mit Donauwasser bewässert zu züchten, eine gute Idee war, beweist die Tatsache, dass sie inzwischen eine zweite kleine Feigenplantage angelegt haben. Goran: „Wir haben das Glück, dass wir in einer Gegend leben, wo die Feigen auch richtig reif werden. Feigen wachsen auch weiter westlich und nördlich, bis Neumoldowa und weiter, in der Donauklamm und nördlich davon, aber dort werden sie nicht alle Jahre reif. Zwischen Svinița und Orschowa aber reifen sie zweimal im Jahr. Wir können von der achtjährigen Plantage bereits rund 40 Kilo Feigen pro Baum jährlich ernten, was durchaus rentabel wird. Und Feigenbäume werden in unserer Gegend alt und immer ertragreicher.“

Wie viele „Feigenbauern“ es in dieser Gegend gibt, fragen wir. „Wollen Sie die Antwort des Rathauses, das jedes Jahr ein Feigenfest veranstaltet, oder wollen Sie eine wahrheitsgemäße Antwort?“, fragt Goran zurück. Bianca lächelt ironisch. Natürlich die wahrheitsgemäße. „Dann gibt es hier nur zwei echte ‘Feigenbauern‘, wie Sie sie nennen. Alle anderen tricksen mehr oder weniger. Die Feigen haben ein sehr starkes Aroma und es reicht schon, wenn einer richtig viele Mirabellen (prunus domestica var. syrica) hat, vor dem Gären einen Eimer Feigen dazuschüttet und alles gut vermischt, da kannst du geschmacklich den destillierten Mischschnaps kaum von echtem Feigenschnaps unterscheiden. Das ist der Trick vieler hier und so kann man ein Feigenfest aufziehen. Anders verhält es sich mit der Feigenkonfitüre, da hilft kein Tricksen. Wenn du 60 Kilo Feigen aus deinem Hausgarten erntest, dann ergibt das eine gewisse Anzahl, so um die 150 400-ml-Gläser mit Konfitüre. Mehr aber nicht.“

(Fortsetzung in unserer nächsten Samstagausgabe)