Wort zum Sonntag: Der strahlend-gehörnte Mose

Bevor alles ins gewohnte Alltagsgrau übergeht, erinnert uns der letzte Sonntag nach Epiphanias, mit dem die Weihnachtszeit beendet wird, an den weihnachtlichen Glanz, den wir ins Jahr mitnehmen und von dem wir bis zum nächsten Weihnachtsfest zehren dürfen. 

An diesem Übergang von Festzeit zu Alltag lesen wir im 2. Buch Mose (34,29–35) über ein Strahlen der besonderen Art. Mose kehrt von seiner zweiten Begegnung mit Gott auf dem Berg Sinai zurück. Nachdem er zum ersten Mal mit Gott gesprochen und die Zehn Gebote empfangen hatte, musste er bei seiner Rückkehr feststellen, dass Israel ihn schon abgeschrieben hatte. Sie dachten, er komme nicht mehr. Ein goldenes Stierbild hatten sie sich aus ihrem Schmuck gegossen, ein Symbol der Stärke und Macht, und sich ihren eigenen Gott gemacht, von dem sie erwarteten, dass er sie führen würde. Mose war bitterböse. Wütend zerbrach er die Gesetzestafeln und bestrafte die Übeltäter hart.

Dann trat er ein zweites Mal vor Gott, um neue Gesetze in Empfang zu nehmen. Als er zurückkehrte, war er seltsam verändert. Während moderne Bibelübersetzungen von einem Strahlen Moses sprechen, stellen berühmte Kunstwerke, die im Laufe der Zeit entstanden sind, Mose, der von seiner zweiten Begegnung mit Gott zurückkehrt, mit Hörnern dar (so etwa die Mosestatue Michelangelos), und gründen sich dabei auf ältere Bibelübersetzungen. 

Liegt dieser Unterschied an einer über eineinhalb Jahrtausende alten falschen Übersetzung der Bibelstelle? Oder ist die Zweideutigkeit – einerseits strahlen, andererseits Hörner – im hebräischen Originaltext verankert? Dort steht ein Wort, dessen Wurzel sowohl „strahlen, leuchten“ als auch „Horn“ bedeuten kann. Heute meinen die meisten Ausleger, dass Moses Gesicht strahlte. 

Für uns Christen, die wir vom Weihnachtslicht herkommen, bedeutet dieses Strahlen Geborgenheit, es ist ein Zeichen dafür, dass Gott zu uns gekommen ist, uns hält und trägt. Aber sind die Hörner so abwegig? Das goldene Stierbild, ein Machwerk der Menschen, hatte Mose vernichten lassen – das war kein richtiger Gott, auch wenn die Israeliten sich den Stier als göttliches Symbol bei ihren Nachbarn abgeguckt hatten. 

Nun tritt – nach alter Auffassung – Mose als Repräsentant Gottes mit Hörnern, also mit dem Symbol göttlicher Macht, vor die Israeliten und stellt dadurch klar: „Hier ist Gott; was ich in seinem Namen sage, gilt.“ In diesem strahlend-gehörnten Mose vereint sich also beides: Das helle Licht der liebevollen Zuwendung Gottes und die durch die Hörner dargestellte fordernde Macht zur Durchsetzung seiner Gebote. Im Leben braucht es beides. Regeln einfach nur zu befolgen – vor allem, wenn sie nicht unmittelbar einsichtig sind – fällt nicht leicht und erscheint auch sinnlos. Es braucht auch die Bestätigung und die Unterstützung, also das Leuchten – manchmal auch nur als Lichtlein am Ende des Tunnels –, das die Botschaft vermittelt: „Du schaffst das. Es hat Sinn. Der Tunnel ist bald zu Ende.“

Wenn ich Mose als „Gesetzgeber“ Altisraels mit den Gesetzgebern unserer Zeit vergleiche, stelle ich fest: Die Hörner sind da. Aber ich vermisse manchmal das Strahlen, das mir die „Hörner“ der Gesetzgebung einsichtig macht.