WORT ZUM SONNTAG: Die kupferne Schlange

Aus dem Alten Testament wird uns eine eindrucksvolle Begebenheit berichtet: Die Israeliten waren auf ihrem Wüstenweg vom Berg Hor aufgebrochen und lagerten in der Wüste. Das Volk hatte auf dem langen Weg den Mut verloren. Es warf Mose vor: „Warum hast du uns aus Ägypten geführt? Sollen wir in der Wüste sterben? Es gibt weder Brot noch Wasser.“

Da wurde das Lager von Giftschlangen überfallen. Viele starben an den Schlangenbissen. In dieser Not bekannte das Volk reumütig: „Wir haben gesündigt! Bete zum Herrn, dass Er uns von den Schlangen befreit.“ Mose betete zu Gott und erhielt den Auftrag: „Mach eine Schlange und hänge sie an einer Fahnenstange auf. Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht!“ Mose machte eine Schlange aus Kupfer und hängte sie an der Fahnenstange auf. Wer nun von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb am Leben.

An dieses Ereignis knüpfte Jesus an, als er ein Nachtgespräch mit dem Ratsherrn Nikodemus führte. Er sagte: „Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat!“ Damit sagte Christus seinen Erlösungstod am Kreuze voraus. Er war von allen Erdenpilgern der Einzige, der seine Zukunft auf dem Erdenweg kannte. Sein irdisches Lebensschicksal war schon Jahrhunderte vorher in symbolischen Ereignissen, in Prophetenworten und in den Psalmen vorgezeichnet.

Im Psalm 22 wird sein Leiden ausführlich vorausgesagt: „Ich bin wie ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet. Viele Hunde umlagern mich, eine Rotte von Bösen umkreist mich. Sie durchbohren mir Hände und Füße. Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen über mein Gewand das Los.“ Im Psalm 69 heißt es: „Zur Speise gaben sie mir Galle und in meinem Durst tränkten sie mich mit Essig.“

Sehr ausführlich beschreibt der Prophet Jesaias im 53. Kapitel das Endschicksal Christi: „Nicht mehr wie ein Mensch sah er aus, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen. Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm. Der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen. Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Psalm 1,6: „Vom Kopf bis zum Fuß kein heiler Fleck, nur Beulen, Striemen und frische Wunden!“ Wer ein Abbild des Grabtuches von Turin genau betrachtet, erkennt, dass diese Weissagungen sich am „Mann der Schmerzen“ bewahrheitet haben.

Christus kannte also schon im Voraus sein künftiges Schicksal hier auf Erden und er nahm dieses leidvolle Schicksal willig auf sich. Dreimal sagte er seinen Aposteln sein Leiden und Sterben in Jerusalem voraus. Er wusste genau, was ihn dort erwartete. Aber niemand konnte ihn von diesem Opfergang abbringen.

Als man ihn auf dem Ölberg gefangennahm und Petrus das Schwert ergriff, befahl er ihm: „Stecke dein Schwert in die Scheide. Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich darum bitte? Wie würde dann aber die Schrift erfüllt, nach der es so geschehen muss?“ Darum verteidigte er sich auch nicht vor Pilatus. Die Schrift sollte erfüllt werden. Darauf verwies der Auferstandene seine staunenden Jünger: „Alles muss in Erfüllung gehen, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich gesagt ist. So steht es in der Schrift: Der Messias wird leiden und am dritten Tag von den Toten auferstehen, und in seinem Namen allen Völkern, angefangen von Jerusalem, verkünden, sie sollen umkehren, damit ihre Sünden vergeben werden!“

Wir können nicht wie Christus in die Zukunft blicken. Es ist Gottes Barmherzigkeit, die uns die Zukunft verhüllt. Wenn eine Mutter bei der Geburt ihres Sohnes bereits wüsste, dass dieser ihr Sohn im Kriege von Granaten zerfetzt werde, könnte sie sich noch ihres Kindes erfreuen? Wenn wir als Kinder schon gewusst hätten, dass wir nach Russland verschleppt werden, dort Hunger, Kälte, Sklaverei erdulden müssen, wäre uns unsere Kindheit als sonnig und fröhlich erschienen?

Gott gibt uns den Trank des Nichtwissens über unser Lebensschicksal in den künftigen Jahren. Er will, dass wir uns, solange wir von Leid befreit sind, des Lebens freuen. Trifft uns aber doch Leid –  und welcher Mensch kommt ohne Leid davon –, dann gibt er uns die Kraft, es zu ertragen. Diese Kraft wird uns nur dann zuteil und in uns wirksam, wenn wir vertrauensvoll auf das Kreuz Christi aufblicken, wie die Israeliten in der Wüste auf die kupferne Schlange geschaut haben.