Zählt euch – damit wir auch künftig etwas zählen!

Unterstaatssekretär Thomas Șindilariu zur Volkszählung: „Im Fragebogen Enter, Enter, Enter drücken – bis Corona kommt“

Foto: George Dumitriu

Erstmals in der Geschichte Rumäniens gibt es eine elektronische Volkszählung. Der Staat schenkt uns für die Mühe, den Fragebogen selbst auszufüllen, einen freien Tag. Doch die wahre Motivation sollte eine ganz andere sein: Erstmals in der Geschichte haben wir die Chance, selbst mitzuteilen, wer wir sind, wer wir sein wollen und welche Infrastruktur für unsere Zukunft erhalten oder geschaffen werden muss! Etwa: Brauchen wir noch Schulen in deutscher Muttersprache? Solche Fragen sollten nicht nur die deutsche Minderheit interessieren, sondern alle, die in Rumänien leben und aus dem Erhalt entsprechender Strukturen Nutzen ziehen. Die Volkszählung ist zu einem demokratischen Mittel geworden. Ihre statistischen Ergebnisse sind ein unmittelbares Abbild der Bevölkerung – für den Staat, aber auch für uns. Warum es für unsere deutsche Gemeinschaft von essenzieller Bedeutung ist, darin vollständig erfasst zu sein, und warum wir uns dafür unbedingt proaktiv einsetzen müssen, verrät Thomas [indilariu, Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens (DRI) im Gespräch mit Nina May.

Herr Șindilariu, haben Sie sich schon gezählt – und warum?

Natürlich! Es ist wichtig, dass man seinen staatsbürgerlichen Pflichten und seiner Gemeinschaftszugehörigenpflicht nachkommt und zu dem steht, was man ist: Deutsch in Rumänien. Und dass wir das aktiv machen und nicht warten, bis der Rezensor kommt, falls er kommt. In den letzten 20 Jahren, seit ich wieder in Rumänien bin, habe ich noch keinen Volkszähler an meiner Wohnungstür begrüßen können.

Was ist an dieser Volkszählung anders als früher?

Erstmals wird alles direkt digital erfasst. Was aber noch revolutionärer ist, ist bis zum 15. Mai die Phase der Selbstzählung. Ich bezeichne sie als die demokratische Phase, als unsere Chance! Demokratie lebt von der Partizipation der Betroffenen, gestalten wir doch die Dinge, solange wir sie in der Hand haben! Mein sächsischer Großvater sagte immer, „Gib dem Diener zwei Kreuzer und erledige es selber.“ Dann hat man Gewissheit, dass es anständig gemacht ist. Das ist der Grundgedanke, warum unsere Foren informieren und helfen.

Wer sich nicht selbst gezählt hat, sollte in der nächsten Phase der Volkszählung (16.5.-17.7.) vom Rezensor besucht werden. Unangekündigter Besuch eines Unbekannten also. Wer sagt mir, dass er alles eingibt, was mir wichtig ist? Ob er wirklich kommt? Die Anzahl der Rezensoren ist auf ein Drittel gesunken im Vergleich zur Volkszählung vor zehn Jahren.

Und es gibt noch einen nicht unerheblichen Grund: Selbstzählung ist Covid-Schutz. Denn wenn der Volkszähler vorher schon 50 Haushalte besucht hat, kann er ja gleich als „Virenbote“ durchgehen. Die Pandemie ist auch der Hauptgrund, warum der Zensus nicht, wie geplant, 2021 durchgeführt werden konnte. Zeuge der notgedrungenen Verschiebung der Volkszählung ist der Stichtag für die Volkszählung: 1. Dezember 2021. Auch wenn der Ukraine-Krieg die Covid-Gefahr aus den Medien verdrängt hat, Ansteckungsgefahr besteht noch immer…

Warum ist es so wichtig, teilzunehmen?

Generell ist die Volkszählung wichtig für die staatliche Infrastrukturplanung. Wo braucht man wie viele Schulen, welche Bevölkerungsstruktur gibt es in den Ballungszentren oder in den Dörfern?
Ganz unmittelbar und direkt von der Volkszählung hängen die Religionsgemeinschaften und Kirchen ab. Da ist die Anzahl der Anhänger gemäß Zensus zugleich der Verteilungsschlüssel für staatliche Zuwendungen zur Unterstützung des Betriebs und für den Erhalt der Bauwerke.

Im Bereich der ethnischen Minderheiten ist diese Koppelung nicht ganz so direkt. Sie ist nur in einigen Punkten unmittelbar, zum Beispiel zur Verwendung der Minderheitensprache in der lokalen Verwaltung, wo eine 20-Prozent-Schwelle überschritten werden muss.

Für unsere Gemeinschaft sind vor allem die drei Fragen zu Muttersprache, Religionszugehörigkeit und Ethnie wichtig, die drei zentralen Merkmale, die man auf Rumänisch „etnoculturale“ nennt.

Was hängt für unsere deutsche Gemeinschaft davon ab?

Wir haben uns mit einiger Berechtigung daran gewöhnt, dass es bei uns mehr auf Klasse, denn auf Masse ankommt. Im Moment stehen die Dinge aber anders: die demografische Masse, die wir mobilisieren können, zählt! Sie zählt für uns, aber sie zählt v.a. auch in Bezug auf die anderen Minderheiten in Rumänien. Jede Volkszählung führt hier zu einer Art Festlegung der „demografischen Hackordnung“ der Minderheiten. Davon hängt mittelbar auch der Verteilungsschlüssel staatlicher Zuwendungen ab. Es gibt viele Dinge, die wir in den letzten Jahren liebgewonnen haben. Zeitung, Jahrbuch, Lehrertag, Treffen/Feste, etc. – wir neigen dazu, sie als selbstverständlich zu betrachten. Dass diese Dinge bleiben, kann man hoffen. Jetzt aber kann man dafür auch etwas tun! Wir galten bisher als große Minderheit, sorgen wir gemeinsam dafür, dass es auch so bleibt! Die Menge, die wir zusammenbringen, ist ein Abbild unseres Lebens- und Zukunftswillens!

Sicher werden einige Leute auch skeptisch sein, was mit ihren Daten passiert.

Ja, wer sich einloggt, wird vielleicht verwundert feststellen: Huch, die haben ja schon Daten von mir! Das muss aber niemanden verwundern. Wir haben hierzulande eine Mischform des Zensus, verglichen mit Westeuropa. In Deutschland zum Beispiel gibt es den herumlaufenden Volkszähler nicht mehr, da ist Volkszählung eine Revision der Verwaltungsdaten, die der Staat schon hat. In Rumänien ist es erstmals der Fall, dass der Staat die Daten, die er über jeden Bürger besitzen muss, etwa damit Renten- oder Krankenkasse funktionieren, in die große Volkszählungsdatenbank einspielt. Bis die Befragung abgeschlossen ist, sind sie für den Betroffenen dort einsehbar und zu ergänzen. Danach wird der Datensatz anonymisiert.

Werden auch die „ethnokulturellen Daten“ in die Volkszählungsdatenbank eingespielt?

Nein! Das ist der springende Punkt: Nur, wenn sie jeder einzelne angibt, gehen sie in die Statistik ein! Es gibt keine Quelle, aus der diese Merkmale eingespielt werden können. Das sind rein individuelle Bekenntnisfragen. Man gibt sie beim Zensus an, oder die Felder bleiben leer. Der Staat verwaltet sie nicht. Es gibt keine legale Grundlage, um eine Evidenz im Land aufzubauen nach Muttersprache, Ethnie und Religion. Das ist nicht vereinbar mit dem demokratischen Grundverständnis eines europäischen Staates. Darauf können wir vertrauen.

Als Historiker weiß ich, dass Konskriptionen und Volkszählungen, seit es sie gibt, für allerlei Ängste in der Bevölkerung sorgen: vor dem Finanzamt oder vor der Einquartierung ukrainischer Flüchtlinge – es ist nur allzu leicht zu erkennen, wer im Moment Interesse am Schüren von Angst hat. Die Zeiten wo Ängste dieser Art eine Berechtigung hatten, sind vorbei. Es ist auch sehr gut und richtig, dass es keine staatliche Evidenz der Minderheitenangehörigen gibt. Eine solche wurde etwa in der Zwischenkriegszeit geführt und nach dem Zweiten Weltkrieg für Deportationen und Zwangsumsiedlungen herangezogen. Heute im europäischen Rumänien undenkbar!

Es ist unsere Pflicht als Staatsbürger, an der Volkszählung teilzunehmen und das anzugeben, was wir sind – das sind wir uns selbst schuldig!

Ist das Bekenntnis zur deutschen Muttersprache auch für den Erhalt der deutschen Schulen wichtig? Und wenn ja, wie könnten Nutznießer dieser Infrastruktur, die nicht zur deutschen Volksgruppe gehören, unterstützen? Etwa die zahlreichen Rumänen, deren Kinder deutsche Schulen besuchen.

Da sind jetzt die Eltern gefragt, deren Kind eine Schule mit muttersprachlichem deutschen Unterricht besucht. Wenn sie am Erhalt dieser muttersprachlichen Schulen Interesse haben, dann sollten sie freilich als Muttersprache Deutsch angeben. Wir sind frei uns zu bekennen und es ist nur natürlich, dies auch zu tun. Für all jene, die unser muttersprachliches deutsches Schulsystem besucht haben, ist es auch eine Gelegenheit, Danke zu sagen. Denn es gibt jede Menge gut bezahlte Karrieren, die ihren Ursprung in diesen Schulen haben! Und eines muss man sich vor Augen halten: Es ist schon eigenartig, wenn in einer Stadt die Menge der Schüler im muttersprachlichen deutschen Schulwesen größer ist als die Menge der Muttersprachler gemäß Volkszählung.

Dann werden die deutschen Muttersprachler quasi statistisch der deutschen Minderheit zugeschlagen?

Nein! Es geht bei der Volkszählung nicht um die exakte Erfassung der Minderheiten, sondern um die Volkszugehörigkeit, die Muttersprache, die Konfession des Individuums, und das alles im Kontext der Ortsanwesenheit am Stichtag. Die Minderheitenverbände haben über das DRI einige Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Terminologie des Fragebogens, deswegen wird die Volkszählung aber noch nicht zu einer Minderheitenzählung! Die Volkszählung sammelt individuelle Angaben der Bevölkerung, lässt die Frage aber offen, ob damit das Bekenntnis zu einer Minderheit verbunden ist. Die Volkszählung ist etwas anderes als ein Antrag auf Forumsmitgliedschaft!

Auch Bundesdeutsche, die sich am Stichtag in Rumänien aufhielten bzw. hier leben, oder Österreicher, Schweizer, Belgier, die als Muttersprache Deutsch angeben, gehen in diese Statistik ein.

Nochmal, es liegt am Bekenntnis des Einzelnen. Als Staatsbürger bleiben sie natürlich Österreicher, Schweizer, Belgier... Und wenn ein Rumäne für sein Kind Deutsch als Muttersprache ankreuzt, weil sein Kind die deutsche Schule besucht, dann ist das so, er ist ja ein freier Mensch, der selbst am besten weiß, was zutrifft!

Unlängst hat ein „Sommersachse“ bei der ADZ angerufen, der ein Häuschen in Rumänien hat, und die Frage aufgeworfen, wer überhaupt teilnehmen kann.

Jeder, der eine Personenkennzahl (CNP) hat. Wer von den Ausgewanderten noch einen CNP im Geburtsschein hat, auch wenn er keinen gültigen Ausweis mehr hat, kann sich als Familienoberhaupt einloggen. Er war dann natürlich am Stichtag der Befragung, am 1. Dezember 2021, in Rumänien anwesend, mit der Absicht die nächsten 12 Monate im Land zu verbleiben. Hier geht es nicht um Trickserei, sondern um das Grundanliegen einer Volkszählung: die Erfassung der tatsächlich ortsanwesenden Bevölkerung.

Expats, die zum Beispiel von ihren Firmen nach Rumänien entsandt wurden, erwerben den CNP mit der Aufenthaltsgenehmigung. Wenn die übrigen Familienmitglieder keinen CNP haben, können sie sich als Haushaltsmitglieder zählen lassen.

Kommen wir zu den Tücken des elektronischen Fragebogens...

Achtung: Das System bietet in einer relativ frühen Phase schon das Finalisierungsfenster an, auch wenn noch gar nicht alle Fragen beantwortet sind! Dieses Fenster darf man auf keinen Fall zu früh anklicken! Sonst kommen die Fragen zu Muttersprache, Religion und Ethnie nicht mehr – und die sind für uns ganz wichtig. Deshalb nach jeder Frage immer Enter, Enter, Enter drücken und das „Finalizare“-Fenster ignorieren, solange, bis die letzte Frage, jene zur Corona-Pandemie, kommt!

Gibt es den Fragebogen auch auf Deutsch?

Ja, und die Fragen sind recht gut übersetzt. Beim Fragebogen Volkszugehörigkeit, Muttersprache und Religion ist die deutsche Fassung auch die bessere. Bei Religion habe ich auch die Verkündigungssprache eingebaut. Wenn man drei evangelische Kirchen hat, die alle fast gleich heißen, ist das sinnvoll.

Leider sind nicht alle Antworten zur Übersetzung gegeben worden. So kann man sich deutsch zu einem längeren Auslandsaufenthalt fragen lassen, aber in der Antwort kann man kein „Deutschland“ anklicken, sondern muss „Germania“ nehmen.

Was wäre aus Ihrer Sicht das Worst-Case-Szenario?

Wenn die Leute sich nicht mobilisieren und auch die Rezensoren nicht kommen und wir statt 36.000 wie bei der letzten Zählung nur auf 2000 kämen... Oder, wenn das Verhältnis der Minderheiten ins Rutschen kommt. Nach Ungarn, Roma und Ukrainern waren die Deutschen bislang die kleinste unter den „großen“ Minderheiten. Es wäre ungut, hinter die Türken, Tataren oder Lipowaner zurückzufallen oder auf die Größe der „kleinen“ Minderheiten zu fallen, Albaner zum Beispiel.

Das hätte auch internationale Rückwirkungen, etwa hinsichtlich unserer Relevanz gegenüber der Bundesrepublik: Wenn wir eine numerisch verschwindend kleine Minderheit werden, würde man sich fragen, wozu noch so viel Aufwand? Unsere Zahl zählt, damit wir etwas zählen!

Was wünschen Sie sich für die Info-Kampagne?

Ich wünsche mir, dass wir eine aktive und solidarische Gemeinschaft sind. Das Forum hat sehr viel in Bewegung gesetzt, in allen Foren kann man sich Hilfe holen. Ich wünsche mir, dass die Kirchen aktiv bleiben – und noch aktiver werden. Dass es ein Zusammenspiel über Generationen hinweg gibt und die Jugend den Senioren hilft, dass sich Mitglieder unserer Gemeinschaft konkret gegenseitig helfen. Diese Volkszählung ist eine Herausforderung an die sogenannten deutschen Tugenden wie Selbstorganisation und Disziplin. Die Chance, es selbst gut zu machen, dürfen wir nicht an uns vorbeiziehen lassen! Nur wenn unser Wille sichtbar ist, ist er auch glaubhaft – ganz vieles, was uns lieb ist, steht auf dem Spiel. Ich hoffe, dass wir uns, wenn die finalen Zahlen erscheinen, keine Vorwürfe machen müssen und sagen: Ach, hätten wir uns doch mehr mobilisiert!

Vielen Dank für das interessante Gespräch.