Ziviles Engagement für Stadt und Natur

Teilweiser Erfolg für Kronstädter online-Beschwerden

Es benötigt kein besonders hohes Maß an Zivilcourage, ist schnell und unkompliziert: das Unterschreiben einer kollektiven Beschwerde (E-Petition), die dann den Behörden vorgelegt wird, in der Hoffnung, dass sie nicht nur zur Kenntnis genommen wird, sondern auch ein Umdenken bewirkt und gemeldete Fehler oder Mängel behebt. Gerade in einem Wahljahr, wie es auch 2020 ist, sind die Politiker hellhöriger geworden, wenn es um Unzufriedenheiten oder Erwartungen der potenziellen Wähler geht. Aber auch umgekehrt besteht die Gefahr, dass hinter der einen oder anderen Petition eher propagandistische Absichten oder politisch motivierte Angriffe stehen. Eine kurze Übersicht der wichtigsten von den Kronstädtern initiierten Beschwerden sagt auch manches aus über den bevorstehenden Wahlkampf für die Lokalwahlen.

Bei fast allen Petitionen, die in relativ kurzer Zeit Tausende von Unterschriften erhielten, ging es um Fragen, die mit der Umwelt und somit mit der Lebensqualität in Kronstadt zu tun hatten. Die Beschwerde gegen das massive Abholzen in den städtischen Wäldern der Zinne, um da einen neuen, elf Kilometer langen Forstweg (Gori]a) anzulegen, wurde von rund 14.200 Personen unterschrieben. Dazu beigetragen hat auch ein Protestmarsch durch die Kronstädter Innere Stadt, dem sich über tausend Kronstädter anschlossen. Solche Aktionen beweisen, dass es Leute gibt, die bereit sind, für einen für sie wichtigen Belang auf die Straße zu gehen, ihrer Unzufriedenheit klaren Ausdruck zu verleihen. Und es ist ein deutliches Zeichen, dass man nicht allein mit seinem Ärger da steht. Der Protestmarsch fällt auf, macht neugierig und wird wahrscheinlich den einen oder anderen bisher Unbeteiligten nachdenklich stimmen. „Es wird wohl schon etwas wahr sein an dieser Geschichte. Vielleicht sollte ich mal nachfragen und, warum nicht, gegen diesen rücksichtslosen Umgang mit unseren Wäldern zumindest mit meiner Unterschrift protestieren”. So oder ähnlich könnte der Gedankengang einiger Zuschauer gewesen sein oder jener, die nachträglich über diese Protestaktion erfuhren.

Die Absicht, eine mehrstöckige Tiefgarage unter einem Teil des Zentralparks zu planen, missfiel vielen Kronstädtern. Oder ließ sie zumindest ihre Stirn runzeln, versetzte sie in Staunen. Rund 6600 taten mehr als das und glaubten, dass man dagegen öffentlich was unternehmen muss. Eine Unterschrift auf eine virtuelle Petition mit dem dazugehörenden unmissverständlichen Begleittext ist so eine Tat, denn alles was online und allgemein zugänglich ist, gilt inzwischen auch als etwas Öffentliches. Eine Debatte zum Thema „Parkanlage oder Parkhaus?” sorgte für zusätzliche Aufmerksamkeit.

Rund 4200 Kronstädter verlangten über eine weitere E-Petition die Schließung einer Mülldeponie, die im Verdacht steht, immer wieder weite Teile der Stadt mit einem unangenehmen Geruch zu verpesten und, darüber hinaus, als nicht weiter zumutbarer potenzieller Infektionsherd zu gelten. In diesem Fall erübrigte sich eigentlich die Überzeugungsarbeit für eine Unterschrift, denn der Gestank allein schon erregte die Gemüter. Über 4000 Personen protestierten im Vorjahr auch gegen die Absicht eines Immobilienentwicklers, einen amerikanischen Traum („American Dream” heißt das Bauprojekt) in Form von Luxus-Wohnblocks auf den Hängen der Oberen Vorstadt zu verwirklichen.Die meisten Unterschriften dürften dabei von den direkt Betroffenen, den Bewohnern der Oberen Vorstadt, stammen. Nachbarn und Anrainer beteiligten sich wohl als erste bei zwei weiteren Online-Beschwerden kleineren Ausmaßes, wobei es um den Verzicht auf Umsetzung eines umstrittenen Projekts (Offener Tömösch-Kanal in der Castanilor-Straße) ging, bzw. um die Schließung einer Anlage zur Asphaltherstellung, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Wohnblocks in einem Bartholomäer Viertel befand. Bemerkenswert ist, dass die Stadtverwaltung beide Beschwerden berücksichtigte und dementsprechend handelte. Auch im Falle der anderen genannten Beschwerden (Gorța, Zentralpark, „American Dream“) kann zumindest von einem Teilerfolg gesprochen werden, denn diese Vorhaben wurden suspendiert und nicht weitergeführt. Nur über die  umstrittene Mülldeponie ist bisher nichts Erfreuliches zu melden.

Die Teilerfolge dieser Beschwerden, hinter denen Tausende von Kronstädtern stehen, sind Hoffnung gebend für weitere von der Zivilgesellschaft (Vereine, Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen, Stiftungen) kommende Initiativen. Vom politischen Standpunkt werden sie am besten von der Union Rettet Rumänien (USR) genutzt. Sie selbst betrachtet sich als „Stimme der Zivilgesellschaft“ und unterstützt die meisten dieser Unterschriftenaktionen. Der Kronstädter Senator Allen Coliban, Vorsitzender des Senatsausschusses für Umwelt und USR-Kandidat als Kronstädter Bürgermeister, hat den Umweltschutz bereits zu einem zentralen Punkt seines Wahlprogramms erklärt. Unter dem Motto „Kronstadt kann mehr“ soll Umweltschutz und bessere Lebensqualität eine Priorität in der Ausarbeitung einer Zukunftsvision für die Zinnenstadt darstellen. Coliban gilt als stärkster Gegenkandidat des gegenwärtigen Bürgermeisters George Scripcaru. Dieser hat den Beschwerden durch mangelnde Transparenz und wenig Dialogbereitschaft aber auch durch unbedachte Aussagen, wie z. B. „Wem es in Kronstadt nicht gefällt, ist eine frustrierte Person und sollte von da umsiedeln“, unwillkürlich zu zusätzlichen Unterschriften verholfen. Dass nun die Stadtexekutive in einigen Punkten einen Rückzieher macht und die Beschwerden ernst zu nehmen scheint, könnte auch von Scripcaru genutzt werden, um zu zeigen, dass er die Signale aus den Reihen der Bevölkerung beachtet, Kompromisse sucht und als, allerdings nur auf dem Papier, Unabhängiger jenseits politischer Interessen steht. Zumindest im Bereich Umwelt ist er aber Coliban gegenüber in die Defensive geraten und kann mit ihm in diesem für Kronstadt richtungsweisendem Wahlkampfkapitel nicht mithalten.