Zuversicht nach der Krise

Oswald Kolb von Continental Automotive Systems über Standortentscheidung, Ausbildungsprobleme und die Vorzüge von Hermannstadt

Gutes Verhältnis zum Rathaus: Oswald Kolb (re.) und Bürgermeister Klaus Johannis bei einer Werksführung im Herbst 2011.
Foto: Holger Wermke

Das Unternehmen gehört zu den größten Investoren in Hermannstadt/Sibiu, seit 2003 investierte Continental Automotive Systems rund 145 Millionen Euro in drei Produktionseinheiten und ein Forschungszentrum. Rund 1800 Mitarbeiter entwickeln und produzieren hier elektronische Komponenten für die Automobilindustrie. In den nächsten Jahren soll die Zahl der Mitarbeiter auf 2300 steigen. Der Umsatz in Hermannstadt erreichte 2010 218 Millionen, 2007 waren es noch 70 Millionen. Geschäftsführer Oswald Kolb sprach mit ADZ-Redakteur Holger Wermke über die Geschäftsentwicklung, den Kampf um gute Mitarbeiter und günstige Standortfaktoren. 

Continental Automotive Systems ist eines der größten, wenn nicht das größte Unternehmen im Kreis Hermannstadt. Herr Kolb, seit wann leiten Sie das Hermannstädter Werk?

Ich persönlich war das erste Mal Ende 2007 in Hermannstadt und habe ab April 2008 die Leitung von Continental hier übernommen. In den ersten Monaten war hier noch sehr deutlich diese Aufbruchstimmung aus der europäischen Kulturhauptstadt 2007 zu spüren. 2009 und 2010 waren geprägt von der Krise. Seit 2011 geht es wieder voran, aber im Wesentlichen nur bei den etablierten Firmen mit ausländischen Investoren. Marquardt, Takata, Brandl, SNR und nicht zuletzt Continental erweitern im Moment ihre Kapazitäten. Größere neue Firmenzuzüge gibt es im Moment keine und die alteingesessene Wirtschaft scheint immer noch erhebliche Probleme zu haben.

Welche Faktoren gaben 2003 den Ausschlag, sich in Hermannstadt anzusiedeln?

Die erste Investitionswelle nach dem Umbruch 1989/90 suchte sich ihr Ziel im Grenzgebiet nach Ungarn. Hier war einfach die logistische Anbindung wesentlich besser. Auch Continental folgte mit den ersten Werken ab 2000 dieser Logik. Unser Reifenwerk in Temeswar/Timişoara und die Werke von ContiTec in Temeswar, Nădab und Carei sind in diesem Zeitraum aufgebaut worden. Als wir jedoch 2003 einen Platz für ein neues Elektronikwerk gesucht haben, begann aufgrund der Konkurrenzsituation die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften zu vernünftigen Konditionen bereits ein Problem zu werden. Die Fluktuation war hoch. Werke werden in unserer Industrie mit einem Planungshorizont von 20 – 25 Jahren geplant und unserer Meinung nach war hierfür diese Gegend bereits ausgereizt.

Sodass Sie sich stärker in Richtung Landesmitte orientiert haben...

Hermannstadt war logistisch für uns noch beherrschbar, auf eine Autobahnanbindung haben wir langfristig gesetzt. Über die DN1 können wir das europäische Autobahnnetz erreichen und Expressbelieferungen nach Süddeutschland, wo unsere größten Kunden sitzen, in maximal 24 Stunden sicherstellen. Der Flughafen war ein großes Plus genauso wie die Universität. Dass wir uns aber aus einer Auswahl von Städten letztendlich für Hermannstadt entschieden haben, kam nicht zuletzt daher, dass man von Anfang an das Gefühl hatte, hier gut aufgehoben zu sein. Die örtliche Verwaltung mit dem Bürgermeister wollte uns einfach haben. Die Genehmigungszeiten und die Unterstützung, die wir vor allem in der Anfangsphase erhielten, haben unser Vertrauen bestätigt. Und Hermannstadt ist eine wunderschöne Stadt mit Flair und auch für Expats attraktiv.

Sie feierten erst im Herbst 2011 Richtfest für das Modul IV des Hermannstädter Standortes...

In unserer Langfristplanung sind wir immer von einer Fabrik in der heutigen Größenordnung ausgegangen. Nachdem die Erwartungen mit den ersten Bauabschnitten erfüllt wurden und die Geschäftsentwicklung von Continental zusätzliche Volumina erforderten, war es nur konsequent, diese Langfristplanung auch umzusetzen.

Die jüngst veröffentlichten, vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung zeigen für Hermannstadt nur noch eine Einwohnerzahl von 135.000. Wirken sich diese Zahlen auf Ihre Planungen aus?

Dies ist natürlich ein Punkt, den wir sehr sorgfältig beobachten. Letztendlich geht es um qualifizierte Arbeitskräfte und Infrastruktur. Bei einer „schrumpfenden“ Stadt besteht immer die Gefahr, dass die vorhandene Infrastruktur wie Universität, Schulen, Flughafen, aber auch Kultur, Gastronomie und soziale Infrastruktur nicht gehalten werden kann und somit an Attraktivität für unsere Mitarbeiter verliert.

Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften wird immer wieder von ausländischen Investoren beklagt. Wie sichern Sie sich bei Continental die benötigten Fachkräfte?

Qualifizierte Mitarbeiter sind der Schlüssel für den Erfolg jedes Unternehmens. Und den in den angelsächsischen Ländern als „War for Talents“ bezeichneten Effekt sehen wir hier längst. Nur dass dieser Kampf bereits auf der Facharbeiterebene beginnt. Zum einen müssen wir natürlich attraktiv sein für kluge, motivierte und fleißige Mitarbeiter. Dazu gehören neben einem passenden Gehalt viele Faktoren, wie attraktive Arbeitsplätze mit der Möglichkeit vorwärts zu kommen, ein ansprechendes Umfeld und nicht zuletzt ein gutes Betriebsklima.

Wie schätzen Sie die Qualität der staatlichen Ausbildung ein?

Das rumänische Bildungssystem entlässt die jungen Menschen relativ früh und stark theorielastig ins Berufsleben. Diese Lücken müssen wir kompensieren. Das machen wir, indem wir zusätzliche innerbetriebliche Schulungen anbieten und „Training on the job“ einplanen. Mitarbeiter von Berufs- und Hochschulen brauchen eine gewisse Zeit, bis sie hundertprozentig für den Job einsetzbar sind. 

Die deutschen Wirtschaftsklubs im Land beklagen unisono große Defizite in der Facharbeiterausbildung. Wie geht Continental mit diesem Problem um?

Das Thema fehlende Facharbeiterausbildung ist natürlich ein besonderes Thema. Hier wurde landesweit in der Vergangenheit viel versäumt bzw. kaputtgemacht. Auch hier müssen wir als Unternehmen diese Lücken schließen. Wir tun das durch entsprechende Auslese der Kandidaten und zusätzliche Ausbildung, wie zum Beispiel eine spezielle Technikerausbildung, die wir teilweise direkt bei Conti, teilweise über den Deutschen Wirtschaftsclub organisieren. Aber hier laufen ja seit neuestem auf Landesebene Initiativen, die in die richtige Richtung gehen.

Zahlreiche Automobilhersteller – Ihre Kunden – vermeldeten zuletzt Rekordverkäufe. Wie schätzen Sie die künftige Geschäftsentwicklung für Ihr Unternehmen ein?

Es ist eine seltsame Situation, da zum einen Rekordzahlen veröffentlicht werden, zum anderen beständig das Schreckensszenario einer Weltwirtschaftskrise in der Luft liegt, was sehr schnell auf unser Geschäft durchschlagen würde. Wie schnell das geht, das haben wir 2008 schmerzlich erfahren. Für unseren Standort sollte 2012 auf alle Fälle ein gutes Jahr werden, da wir bereits mehrere ungeplante Projekte gewinnen konnten und somit auch mögliche Abschwächungen im zweiten Halbjahr kompensieren könnten. Grundsätzlich gilt es natürlich, wachsam zu bleiben und kurzfristig flexibel zu sein.

Sie sind Mitglied im Vorstand des Deutschen Wirtschaftsclubs Siebenbürgen, des größten Verbandes von Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum hier im Land. Wie erklären Sie die Attraktivität der Stadt für diese Investorengruppe?

Die mannigfaltigen Verbindungen aus der Geschichte heraus sind natürlich ein wichtiges Element. Wenn wir uns die einzelnen Firmen hier ansehen, dann sieht man an vielen Stellen Menschen, die einen familiären Hintergrund in dieser Region haben. Die kulturelle Nähe dieser Region zum deutschen Sprachraum und natürlich die Attraktivität von Stadt und Landschaft tun ein Übriges. Und dann natürlich neudeutsch „Clusterbildung“. Wo einmal zehn deutsche Firmen sind, geht auch die elfte hin. Der deutsche „Sprachvorteil“ hier ist für kleine und mittlere Unternehmen nicht zu unterschätzen.

Wie beurteilen Sie als Vertreter eines weltweit tätigen Unternehmens die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Rumänien?

Als Gast in einem Land sollte man vorsichtig mit pauschalen Einschätzungen hierzu sein. Ich habe aufgrund meines Berufes bereits längere Zeit in Korea und in Tschechien gearbeitet. Beide Länder waren jeweils in Umbruchsituationen, die sie sehr erfolgreich gemeistert haben. Wenn ich meine Erfahrungen dort mit hier vergleiche, dann sehe ich als Schwachpunkt und langfristig entscheidenden Punkt für die weitere Entwicklung des Landes die schon angesprochene Situation der Mitarbeiterqualifikation und Abwanderung qualifizierter junger Arbeitskräfte. 

Mit welchen Problemen sind Unternehmen hierzulande konfrontiert?

Bei der gesamtwirtschaftlichen Situation sollte man meiner Meinung nach unterscheiden zwischen der Situation für große Konzerne und den kleinen und mittleren Unternehmen. Wir sind als Konzern nach Rumänien gegangen wegen der Kombination aus qualifizierten Arbeitskräften und vernünftigen Konditionen. Wenn die Arbeitskräfte abwandern, hat unsere Hi-Tech-Industrie hier ein Problem. Bei der zweiten Kategorie sind die Themen fehlende Rechtssicherheit, Bürokratie und Korruption sicherlich ein großer Hemmschuh für die weitere Entwicklung.

Sie leben seit mehreren Jahren in Rumänien – haben Sie vor, länger zu bleiben oder zieht es Sie zurück nach Deutschland?

Ich bin nun seit vier Jahren hier in Hermannstadt und plane zumindest noch ein weiteres Jahr hierzubleiben. Dann wird man sehen. Meine Heimat ist aber nach wie vor Regensburg in Bayern. Und irgendwann werde ich wieder dorthin zurückkehren.

Vielen Dank für das Gespräch.