Zwischen Fürstenhof, historischen Herbergen und Klöstern

Streifzug mit Zeitsprüngen durch den Bukarester Altstadtkern

Lapidarium des Stavropoleos-Klosters mit Konsolenstein vom Colțea-Turm Fotos: George Dumitriu

Lapidarium des Stavropoleos-Klosters mit Konsolenstein vom Colțea-Turm Fotos: George Dumitriu

Moderne Lokale und Cafes bevölkern die Lipscani-Straße heute.

Der Alte Fürstenhof kann heute als Museum besucht werden.

Innenhof des „Hanul lui Manuc“ mit romantischem Gastgarten

21. Jahrhundert, Anfang drittes Jahrzehnt. Im Dreieck zwischen den historischen Straßen Lipscani, Smârdan und dem Boulevard I. C. Brătianu buhlen schmucke Läden und elegante Cafes um Bukarester Spaziergänger und Touristen aus aller Herren Länder. Aus modernen Terrassenlokalen mit Folienwänden und Wärmepilzen dringt Geschnatter in allen Sprachen. Die Speisekarten bieten neben Fastfood und traditionellen rumänischen Köstlichkeiten auch Falafel oder Indien-Currys. Aufwendig restaurierte Karawansereien, zu Galerien, Künstlerläden oder Veranstaltungszentren umgestaltet, präsentieren sich als Hochburgen der Kultur. Am Abend verwandeln schummrige Bars und schillernde Nachtclubs den Ort in einen Hotspot des Bukarester Nachtlebens. Nur wer den Blick nach oben hebt, über verschnörkelte Balkongeländer und bröckelnde Stuckfassaden hinaus bis in den Sternenhimmel, kann den Zauber der Altstadt von einst noch ein wenig spüren...

Nichts von alledem erinnert  mehr an das Bukarester Altstadtzentrum, wie es sich Anfang 2000 präsentierte: mit verstaubten Antiquitätenläden, charmanten Buchantiquariaten, unzähligen Auslagen voller bunter Glaskunst und dicht gesäten Brautmode-Geschäften, als hätten die Bukarester nichts anderes im Sinn, als Hochzeit zu feiern. Über der Straße auf einem Draht aufgehängt flatterten weiße Traumkleider aus Polyester und Tüll effektvoll im Wind. Nach einem ermüdenden Marsch über das von klaffenden Löchern unterbrochene Kopfsteinpflaster konnte man dann in einer der spärlichen Kneipen auf verschossenen roten Plastikstühlen eine „Halba“, ein gezapftes Bier im Plastikbecher, genießen. Bei Einbruch der Dämmerung, wenn die Rollläden geräuschvoll runterratterten, suchte man besser das Weite. Dann huschten nur noch Katzen und unheimliche Schatten um die düsteren Ecken.

Residenz der Fürsten der Walachei

Kein Teil von Bukarest hat sein Gesicht so sehr gewandelt wie die Altstadt. Wie mag es hier erst vor ein paar Jahrhunderten gewesen sein? Zu der Zeit, als Vlad Țepeș (1431-1476) oder Constantin Brâncoveanu (1654-1714) den Alten Fürstenhof bewohnten; damals war Târgoviște noch Hauptstadt der Walachei. Die Residenz der walachischen Fürsten in Bukarest (1456-1660) erstreckte sich in ihrer Blütezeit unter Brâncoveanu mitsamt ihren üppigen Gärten über 25.000 Quadratmeter weit bis ans Ufer der Dâmbovița im Süden. Im Norden grenzte sie an die Lipscani-Straße, im Westen an die Straßen Smârdan und Șelari, im Osten an den Boulevard I. C. Brătianu. Im Herzen des Fürstenhofs tönte die sonore Stimme eines Kantors aus der heute ältesten Kirche der Hauptstadt, erbaut von Mircea Ciobanul (1545-1554). Hier wurden zwei Jahrhunderte lang die herrschenden Häupter der Walachei gekrönt.

Beginnen wir den historischen Spaziergang mit diesem Bild im Kopf am nördlichen Ende des einstigen Fürstenhofs, an der Statue der Wölfin in der Kreuzung der Lipscani Straße mit dem Brătianu-Boulevard. Die lebensgroße Nachbildung der Kapitolinischen Wölfin, mit den gierigen Mündern von Roms mythischen Stadtgründern Romulus und Remus an ihre prallen Zitzen geheftet, gab es damals freilich noch nicht. Diese erhielt Karl I. erst 1906 von Rom zum Anlass seines 40. Herrschaftsjubiläums. Sie sollte aber auch an den Beginn der römisch-rumänischen Geschichte erinnern: an 1800 Jahre seit der Eroberung Dakiens durch den römischen Kaiser Trajan. Damals gab es an dieser Stelle nur ausgedehnte Wälder... Erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts schuf die politische Einigung der Walachei unter Basarab I. (ca. 1310–1352) die Voraussetzung für die Entwicklung einer Residenzstadt. Die erste urkundliche Erwähnung Bukarests stammt aus dem Jahr 1459, das Dokument trägt die Unterschrift von Vlad Țepeș.

Stadt der Händler und Karawanen

Zeitsprung an den Beginn des 18. Jahrhunderts: Die Lipscani oder Leipziger Straße war damals ein schmales langes Gässchen, welches das Handelszentrum Bukarests mit der Ausfallstraße, die direkt zum Palast von Mogoșoaia führte, der heutigen Calea Victoriei, verband. Ihren Namen verdankt sie der „lipscanie“, einer neuen Form des Großhandels mit Waren aus Leipzig, die den Markt bald dominieren sollte und auch in anderen Städten Fuß fasste. Lipscani-Straßen gibt es daher auch in Craiova, Slatina, Caracal oder Râmnicu Valcea. Der Handel mit Leipzig war so bedeutend, dass gleich mehrere Handelsrouten aus dem Gebiet des heutigen Rumänien dorthin führten, eine davon aus Bukarest entlang der Donau über Wien.

Die Händler kamen in Karawanen und wer es sich leisten konnte, nächtigte in Herbergen, „Han“ genannt, von denen drei bis heute erhalten sind. In der Lipscani liegt das „Hanul cu Tei“, heute mit seinen zahlreichen Galerien und Läden, in denen Ölbilder oder Künstlerbedarf feilgeboten werden, ein Eldorado für Maler und Kunstliebhaber. Reich verzierte schmiedeeiserne Tore bieten Einlass von beiden Straßen, der unteren Lipscani und der oberen Blănari, der Gasse der Fellhändler. Die 1833 erbaute „Herberge an der Straße der großen Marketender“,wie sie damals genannt wurde, ist als einzige in ihrer originalen Form erhalten. Über den Gewölbekellern reihen sich auf beiden Seiten des langgezogenen Innenhofs kleine Läden aneinander, die Mitte verstellen Restauranttische. Die Glasfassade im Stockwerk darüber ist typisch für die Walachei.

An der Kreuzung zur Gabroveni-Straße, die ihren Namen von der bulgarischen Stadt Gabrovo entlehnt hat, denn es handelte sich um die Gasse der bulgarischen Messerhändler, liegt das 1739 erbaute älteste noch erhaltene Wirtshaus der Stadt, das „Hanul Gabroveni“. Hier verkehrten einst  Kürschner, Glasperlenmacher und Schneider, die diese Gegend vor zwei Jahrhunderten belebten. 1847 brannte das Haus des einflussreichen Bukaresters Tudor Hagi Tudorache dann beim Großen Feuer ab. Doch 1856 baute es sein Sohn George Hagi Tudorache noch größer wieder auf: Es entstand eine feudale Herberge mit Gewölbekellern und zahlreichen Gästekammern mit steingepflasterten Gehsteigen davor. Von nun an verkehrten dort Händler, die Waren aus Leipzig und Wien brachten, aber auch die von den Bojaren der Walachei entsandten Feilscher auf der Suche nach feinen Stoffen und edlem Schmuck.

1874 gelangte das „Hanul Gabroveni“ in den Besitz von Solomon Ascher, der es zur Handelspassage mit Sitz einer Manufaktur, einer Spiritusfabrik und der Marmorosch Blank Bank ausbaute. 1955 enteignet, 1977 vom Erdbeben beschädigt, 1999 erneut von einem Brand verwüstet, verfiel es fast zur Ruine. Bis es nach aufwendigem Wiederaufbau 2006-2014 seine Tore als Sitz von ARCUB, dem modernen Kulturhaus der Hauptstadt, eröffnete.

Herbergen mit eigenem Kloster

Es mag als besondere Kuriosität erscheinen, dass das Stavropoleos-Kloster in der gleichnamigen Straße unterhalb der Lipscani seine Existenz einer ebensolchen Karawanserei verdankt. 1720 gründete der Grieche Ioanichie Stratonikeas aus Epirus dort eine Herberge, aus deren Einnahmen er 1724 im Hof eine Kirche und ein Kloster errichtete –  damals durchaus üblich in Bukarest. Stratonikeas wurde 1926 zum Metropoliten von Stauropolis ernannt, daher der Name des rumänisch-orthodoxen Klosters, einem der schönsten Gebäude der Hauptstadt im Brâncoveanu-Stil. Noch heute leben dort sieben Nonnen und zwei Priester, die sich neben Gottesdiensten mit der Publikation kirchlicher Literatur befassen und ein kleines Museum pflegen, in dem man mittelalterliche Kultobjekte, Ikonen, Kirchengewänder und ein Fresko aus dem1986 von Ceaușescu abgerissenen Kloster Văcărești bestaunen kann. Das Lapidarium im Hof des Stavropoleos-Klosters ist nicht nur ein Ort meditativer Ruhe. Dort kann man unter den zahlreichen Exponaten zwei kuriose Steine entdecken: die Konsolen der Balustrade des einstigen Colțea-Turms im gleichnamigen Kloster, das von Mihai Cantacuzino (1640-1716), Schwertführer am walachischen Fürstenhof, aus den Einkünften des Colțea-Wirtshauses finanziert worden war. 1704 eröffnete dieser hinter der Klosterkirche auch noch ein Armenkrankenhaus, das erste Spital der Walachei.

Die wohl berühmteste Herberge Bukarests aber ist die ehemalige Karawanserei „Hanul lui Manuc“, die dem Alten Fürstenhof gegenüberliegt. Ihr Erbauer, ein 1769 in bescheidenen Verhältnissen  geborener Armenier namens Emanuel („Manuc“) Martirosi Mârzaian, kam als Gehilfe eines Händlers aus Ruse nach Jassy/Iași. Dort lernte er zwölf Fremdsprachen, etablierte sich auf dem Markt und folgte beharrlich seinem Traum nach Reichtum, der ihn nach Bukarest führte, wo er sich 1806 dauerhaft niederließ. Damals galt „Manuc Bei“ bereits als reichster Ausländer der Walachei. Sultan Mustafa IV. ernannte ihn 1808 zum türkischen Diplomaten und verlieh ihm den Titel „Bei“ (Prinz) der Moldau und der Walachei. Geachtet von Türken wie Russen spielte er als Unterhändler des Friedensvertrags nach dem Russisch-Türkischen Krieg von 1806-1812 eine bedeutende Rolle. In seiner 1800 erbauten Karawanserei, damals auf dem Gelände des Fürstenhofs, logierte die Delegation des russischen Zaren. Nachdem das Gebäude vom Erdbeben 1838 ernsthaft beschädigt wurde, sah sich Manuc‘s Sohn 1841 zum Verkauf genötigt. Nach mehrfachem Besitzerwechsel investierte 1862 Lambru Vasilescu in den Wiederaufbau als „Grand Hotel Dacia“, wo bald die Reichen und Schönen Bukarests rauschende Feste feierten. 1881 von der Familie Cantacuzino erworben, steckte Constantin Cantacuzino um 2000 eine respektable Summe in  Ausbau und Modernisierung als Gaststätte. Heute gilt der Komplex mit exklusivem Restaurant, Weinstube und romantischem Gastgarten gegenüber dem Alten Fürstenhof wieder als eine der touristischen Hauptattraktionen Bukarests.