Auf der Donau ins „wilde“ Banat (19)

Die frühe Ansiedlungszeit der Banater Schwaben im Spiegel der Literatur/ Romane von Karl Wilhelm von Martini, Adam Müller-Guttenbrunn und Gerda von Kries

Doch das Leben der Ansiedler, die äußerlich wie eine geschlossene Gruppe wirken, steht nur selten im Einklang mit dieser beschaulichen Atmosphäre. Geschichten, die schon im Hauensteiner Heimatdorf begonnen hatten, werden von der Erzählerin  in der Banater Landschaft weitergeführt. Im neu erbauten Ansiedlungsdorf Weinstock, das gewissermaßen die Stelle des Hotzenwälder Hornberg einnimmt - Verenas Heimatort, wie wir wissen -, treffen wir wieder die Nachbarsleut´ der Hauptheldin aus dem Schwarzwald, darunter Müller Siebold mit seiner Frau Theres und den acht Kindern, die ungestüme Monika und ihre ratlosen alten Zieheltern sowie die wegen ihres Verlobten ins Banat gekommene Barbara usw. Ihre Lebenswege sind verwoben mit der Entstehung einer neuen  Dorfgemeinschaft, die sich erst finden muss. Dabei treten einige markante Romangestalten auf wie der Pfarrer, der Schultheiß oder die beiden Dorfältesten, deren Wort Gewicht hatte in der Gemeinde. Mancher von ihnen trägt den Namen einer  Familie der ersten Siedler des Alemannendorfes Saderlach bei Arad: Eisele, Steinbrunner, Weiß, Zipfl. (Siehe die Auflistung früher Saderlacher Sippennamen in: Burger, a.a.O., S. 523) Gerda von Kries legte, wie  bereits angedeutet, großen Wert auf Namen mit religiösem, geschichtlichem oder geographischem Bezug. Dies gehört ebenso zu ihren erzählerischen Mitteln wie auch versteckte Vorausdeutungen, die der Erzählung Spannung und Überraschungsmomente verleihen.

Verena kann ihre Zukunftsängste auch am neuen Ort nicht abstreifen. Ihre beunruhigenden Träume und Vorahnungen verheißen nichts Gutes. Sie scheinen sich zu bewahrheiten: Eine Überschwemmungs-Katastrophe hat verheerende Folgen für das Dorf, und das gefürchtete Sumpffieber fordert Opfer, zuerst Verenas Sohn Jobbi. Diese fortbestehenden oder sich wiederholenden existenziellen Gefährdungen treffen die ganze Dorfgemeinschaft, die auf der einen Seite ihren bereits gefestigten Charakter zeigt, schon fast heimisch geworden ist, auf der anderen jedoch noch in mitgebrachten, unterschwellig weiter wirkenden veralteten Lebensvorstellungen befangen ist, etwa im Aberglauben.

Die Dorfbewohner halten eine Art „Thing“ ab, um gemeinsam zu entscheiden, ob sie an einen höher gelegenen Ort umziehen sollten, um der Hochwassergefahr ein- für allemal zu entgehen. Eine hochinteressante Massenszene im Roman, fein und sparsam gezeichnete Menschenbilder, spannende Darstellung der Meinungsbildung im Für und Wider zur Ortsverlegung! Auf dieser geradezu demokratischen Volksversammlung – sie erinnert an eine altgermanische Tradition, auch verbreitet von Norwegen bis Island - sagt jeder, der das will, seine Meinung. Neben den Wortführern der Gemeinde - dem Dorfschulzen, dem Pfarrer, den Dorfältesten – sprach auch eine Frau:

Es war aber noch keine rechte Entscheidung zustande gekommen, als sich die Schwäbin Margret, die Witwe des frühzeitig Ertrunkenen, vernehmen ließ. Sie war ein kräftig gebautes Weib mit festen Armen und entschlossenen Bewegungen. Unter dem dunklen Kopftuch und der niederen Stirn blickten die Augen zielgerichtet in die Welt. Ihre beiden Söhne Frieder und Jörg erzog sie rechtschaffen, und was sie sagte, galt im ganzen Ort. Sie war die einzige unter den Frauen, die an diesem Abend das Wort ergriff.

„Wenn wir schon gehen“, sagte sie, „dann wollen wir alle zusammen gehen.“

Ihre Worte klangen wie ein Befehl und brachten Klarheit in die wogenden Gemüter. Margret schickte ihre Blicke über alle hin. Die Bauern nickten, auch die Erzväter stimmten zu, und die Widersprechenden verstummten. Schließlich, als sie auseinander gingen, da wussten sie eins: War das Geschick, das kommende auch ungewiss, sie wollten es gemeinsam tragen. (Gerda von Kries)

 

Drei Jahre darauf kehren die Dorfbewohner - nach dem gescheiterten Umzugsversuch - wieder nach Weinstock in ihre noch stehenden Häuser zurück, nachdem der Pfarrer den Anfang dazu gemacht hatte. Sie hatten nicht geahnt, dass sie an ihrem ersten Banater Siedlungsort schon feste Wurzeln geschlagen hatten.

In die Schilderung des aktuellen Siedlungsgeschehens sind kurze historische Streiflichter eingeblendet – etwa auf Prinz Eugen und die Türkenkriege, auf Graf Mercys Banater Aufbauwerk, auch auf die Verbannung der Salpeterer - und auch Ausschnitte aus Zeitdokumenten über Banater Ereignisse sind eingefügt. Der Dorfpfarrer spricht sich bei der Versammlung für den Umzug der Gemeinde aus und zitiert aus einem „Protokoll“, in dem „die Schäden aus dem Unglücksjahr 1730 (1731) verzeichnet standen“:

Am 13. März 1731 sind durch Hochwasser ums Leben gekommen 11 Menschen,

in Zombor 5 Kinder,                                                     in Sarawalka 522 Kühe,

in Csanad 177 Ochsen,                                              in Egresch 1861 Schafe,

in St. Miklosch 96 Pferde,                                            in Perjamosch 1123 Schweine

in Ratz St. Peter  481 Stück Jungvieh

dazu große Mengen Frucht.

 

Fortsetzung folgt