Auf der Donau ins „wilde“ Banat (21)

Die frühe Ansiedlungszeit der Banater Schwaben im Spiegel der Literatur/ Romane von Karl Wilhelm von Martini, Adam Müller-Guttenbrunn und Gerda von Kries

Die Banater Hauptstadt rückt so ins Bild:

"Barbara hatte in diesen acht Tagen Zeit sich die Stadt anzusehen und erfuhr von den Landsleuten mancherlei über Entstehung und Entwicklung dieser ersten deutschen Stadt im Banat.

„Klein-Wien“, so nannte man Temeswar in manchen Kreisen, denn die Stadt hatte ganz den Charakter einer kleinen deutschen Residenz, Kirchen und freie Plätze, saubere Gassen und blitzende Wirtshausschilder gaben der Stadt das Gepräge. Eine Tuchfabrik, eine Papiermühle und Lederfabrik, ebenso eine Nagelschmiede, Färberei und Seifensiederei verdankten ihr Dasein dem Gewerbefleiß. Bäcker und Fleischhauer, Müller und Schlosser, Gold- und Silberarbeiter, selbst Kürschner und Kaffeesieder hatten sich dort niedergelassen. Es gab Bier- und Branntweinausschank und viele Einkehrgasthöfe und Gartenwirtschaften." (Gerda von Kries)

Diese und andere Episoden erweitern das  Banat-Mosaik des Romans „Verena Enderlin“, das allerdings im Siedlerdorf  Weinstock seinen festen Mittelpunkt behält. Dort verliert die Hauptheldin   jede Hoffnung, nachdem noch zwei ihrer Kinder sterben und ihr Mann schwer erkrankt. Noch einmal bäumt sie, die eher scheue Frau sich auf und geht auf die Suche nach der Sumpfhexe, die sie für ihr Unglück verantwortlich macht, ganz im Sinne der übrigen Gemeinde, und zur Rede stellen will. Eine der entscheidenden Wendepunkte des Banat-Romans von Gerda von Kries, der bekanntlich im Glauben selbst verwurzelten Schriftstellerin, bahnt sich an. Sie ist nicht nur im Glauben an ein neues Leben im neuen Land erschüttert, sondern auch in ihrer tief religiösen Fühl- und Denkweise, nicht zuletzt im Glauben an sich selbst.

Dramatisch höchst zugespitzt wird die Begegnung mit der „Sumpfhexe“ erzählt. Es stellt sich  heraus, dass die alte, kranke und verwahrloste Frau, die bei ihrem Erscheinen im Dorf wiederholt Angst und Schrecken verbreitete, nichts anderes als ein bedauernswertes Opfer kriegerischer Zeitereignisse war, irre geworden nach dem Verlust ihrer eigenen Kinder:

"Unter Verenas festem Blick begann die Alte plötzlich zu greinen. „Ich nicht! Ich nicht! Arme alte Frau hat kleine Kinder lieb, wird niemand tot machen. Wer gibt arme alte Frau ihre Kinder wieder? Kleine Kinder, gute Kinder ...“ Sie zählte an den Fingern ab: „Eins, zwei, drei, vier, fünf - alle mir genommen. Böse Soldaten, krumme Säbel! Viel Blut, oh, soviel Blut! Wo sind sie hin? Fort, weit fort, ich muss sie suchen, immerzu suchen...“

 …. Das war keine Hexe, die kleinen Kindern nachlief, um sie zu verzaubern, das war ein altes, hilfloses Weib, wie Verenas Mutter eins gewesen war." (Gerda von Kries)

Der ideelle, religiöse oder lebensphilosophische Charakter dieses Banat-Romans wird  in den Schlusskapiteln überdeutlich. Verena hadert mit Gott und der Welt. Warum musste ihr das alles zustoßen? Ein Gespräch mit dem Dorfpfarrer beantwortet nicht alle ihre Fragen. Auf seinen Rat begibt sich Verena auf die Heimreise mit ihrem kranken Mann und dem ihr einzig gebliebenen Sohn. Es ist eine „Heimkehr“ im gängigen Sinn, doch auch eine zu sich selbst.

Dies scheint mir letztendlich die Essenz des Romans auszumachen, die wohl am einprägsamsten in ihrer abschließenden Selbsterkenntnis zusammengefasst ist:

"Und wenn sie jetzt nach Hause kam, verarmt, verwaist, gleichsam auf der Flucht vor dem unheimlichen Jäger Tod, so wollte sie dennoch den Kopf hoch tragen in der Gewissheit: Es ist mein Weg, den ich gegangen bin, den musste ich gehen und den werde ich gehen bis zum Ende. "(Gerda von Kries)

Gerda von Kries  weist in ihrem „Nachwort“ auf die lebensphilosophische Idee hin, die in dem als Motto vorangestellten Rilke-Zitat anklingt, und erläutert in knappster Form  den tieferen Sinn ihres hier erörterten Werkes:

"Wenige Worte umschließen das ganze bewegende Leben einer tapferen Frau und der Ihren. Den inneren, ewigen Gesetzen solchen Schicksals nachzuspüren in frei gestalteter Erzählung des äußeren Ablaufs ist Sinn und Absicht dieser Geschichte."(Gerda von Kries)

 

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Die drei hier besprochenen Romane, deren Geschehen sich um die Mitte des 18. Jh. abspielt, sind im Laufe eines Jahrhunderts erschienen - 1854, 1913 und 1949. Sie entstanden unter jeweils grundverschiedenen historischem Voraussetzungen und wurden verfasst von Autoren ganz unterschiedlicher Herkunft und Prägung sowie mit jeweils eigener Beziehung zur Ansiedlung der Auswanderer aus deutschen Landen, die später Banater Schwaben genannt wurden. Daraus resultieren auch  die Unterschiede der inhaltlichen Schwerpunkte der Romane, ihre Einstellung zum Besiedlungswerk sowie letzten Endes die Gestaltungsweise des historischen Stoffes.

Den Romanen von Karl Wilhelm von Martini, Adam Müller-Guttenbrunn und Gerda von Kries  ist der größere geschichtliche Rahmen gemeinsam, wobei die Mischung zwischen  „Dichtung und Wahrheit“ unterschiedlich dosiert ist. Müller-Guttenbrunn und von Kries beziehen beispielsweise die Gründe mit ein, die die Auswanderer dazu bewegt haben, sich hoffnungsvoll auf eine risikoreiche Reise in ein fernes, unbekanntes Land zu begeben. Einzelschicksale erscheinen dabei eingebunden in ein Gemeinschaftserlebnis. Bei Martini steht eher das individuelle Banat-Erlebnis in dem noch weitgehend unerschlossenen Gebiet im Vordergrund.

(Schluss)