Der Engel von Neubeschenowa

Schwester Chiquita betreut Kinder mit Behinderung

Schwester Chiquita ging ihrer Berufung nach. Sie betreut fünf behinderte Kinder im Haus „Lebensquell“.
Fotos: Zoltán Pázmány

Toni und Ioana sitzen am Tisch und spielen „Halli-Galli“. Das Kartenspiel haben sie aus Deutschland bekommen. In einer Ecke, auf einer weichen Matratze, liegt der kleine Ciprian und gibt ab und zu unartikulierte Laute von sich. Toni und Ioana schauen manchmal zu dem Kleinen hinüber, doch das Kartenspiel wird nicht unterbrochen. Toni gewinnt, wie immer. Ein gewohnter Anblick im Haus „Lebensquell“ aus Neubeschenowa/Dudeştii Noi. Fünf Kinder mit physischer und psychischer Behinderung werden hier von Schwester Chiquita Mischke betreut.

„Am 30. November 1999 wurde das Haus eingeweiht. Mit dabei war auch Pfarrer Dirschl von der Caritas, der heutige Generalvikar der römisch-katholischen Diözese Temeswar. Es ist für mich besser, unter dem Schutz der Caritas zu arbeiten. Im alten Haus haben wir die Kinder vom Krankenhaus herüberholen dürfen“, erinnert sich Chiquita Mischke. Die Einrichtung für die Betreuung von behinderten Minderjährigen gibt es in Neubeschenowa bereits seit 1992. 1999 kam sie unter des Caritasverbands der römisch-katholischen Diözese Temeswar/Timişoara.

Die aus Essen in Deutschland stammende Krankenschwester ist für die fünf Kinder, die im Haus „Lebensquell“ daheim sind, Mutter und Vater zugleich. Jeden Morgen geht sie zu den Kleinen, gibt ihnen zu essen, spricht mit ihnen und behandelt sie. Vor allem mit Hilfe der Reflexzonentherapie erzielte die gelernte Krankenschwester gute Ergebnisse. Drei der Kinder sind psychisch schwer behindert und können das Haus gar nicht verlassen. Toni ist geistig zurückgeblieben und Ioana leidet an den Folgen von Spina Bifida, einer Krankheit, die ihre Beine gelähmt hat. Seit 1992 werden im Haus „Lebensquell“ Kinder mit neuropsychischen Problemen betreut und behandelt.

Liebevoll schaut sich Schwester Chiquita die Fotos der Kinder an. Den 16-jährigen Toni holte sie vor elf Jahren ins Haus, direkt aus dem Kinderheim. Sowohl ihn, als auch Ioana ließ Schwester Chiquita operieren. Ioanas Mutter hatte die Kleine früh abgeben müssen. Die alleinerziehende Mutter hatte damals keine Ahnung, wie sie mit dem kranken Kind umgehen sollte. Schwester Chiquita übernahm den Fall. „Die Mutter konnte nichts dafür. Sie wurde aus der Kinderklinik entlassen, weil die Ärzte auch da mit dem kranken Kind nichts anfangen konnten“, erinnert sich die Krankenschwester. Ioana wurde im ungarischen Szeged operiert.

Bevor Schwester Chiquita 1991 durch die Aktion „Hilfe für Rumänien“ nach Temeswar kam, war sie auf einer Sozialstation in England sowie in Bombay, in Indien, wo sie sich mit der Pflege von Leprakranken beschäftigte. In Temeswar angekommen, arbeitete sie zunächst in der Kinderkrankenpflegeschule „Sancta Maria Hilfe“, die auf Initiative der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen gegründet wurde. Ihr Job hieß Praxis-Anleiterin für die angehenden Krankenschwestern. Sie erfuhr schnell von den Problemen mit Waisen und behinderten Kindern, die es damals in Rumänien gab - und heute immer noch gibt. „Für mich war es eine Berufung. Ich habe gesehen, dass diese Kinder an die Seite geschoben werden. Ich verstehe das heute. Niemand wusste damals, was man mit ihnen anfangen sollte, denn es waren einfach zu viele“, sagt sie.

1992 gründete Schwester Chiquita auf Eigeninitiative die Einrichtung für behinderte Kinder. Sie mietete zunächst von der römisch-katholische Kirche das alte, leerstehende Pfarrhaus in Neubeschenowa an. Der Chefarzt des Krankenhauses in Temeswar erteilte seine Genehmigung zur Aufnahme von stark motorisch und psychisch retardierten Waisenkindern – vorerst an Wochenenden. Die Kinder erholten sich gut und das Programm fand breite Anerkennung. Einige Waisenkinder wurden deutschen Eltern zur Adoption vermittelt.

Leicht hatte es Schwester Chiquita nicht. Immer mehr Patienten kamen in das Haus, das schließlich zu klein wurde. Im August 1999 erwarb sie ein Bauernhaus in Neubeschenowa, wofür sie einen Kredit in Höhe von 40.000 DM aufnahm. Regelmäßig werden neue Kinder in das Haus überstellt. Es ist das einzige in der Region, das schwerst körperlich und geistig behinderte Kinder aufnimmt und betreut.

Nicht nur für die fünf Kinder, die im Haus „Lebensquell“ eine neue Familie gefunden haben, ist Schwester Chiquita wie eine Mutter. Die Deutsche hat vor einigen Jahren auch ein behindertes Mädchen aus Rumänien adoptiert. Voller Stolz zeigt Schwester Chiquita das Foto ihrer Adoptivtochter Larisa, die heute 23 Jahre alt ist und in einer Sozialeinrichtung in Essen lebt. Larisa spricht perfekt Deutsch und arbeitet - trotz Behinderung -  in einer Werkstatt. Jeden Samstag telefoniert Larisa mit ihrer Mutter. Zwei Mal im Jahr fährt Schwester Chiquita nach Deutschland und besucht ihre Tochter. Doch auch dort hat sie kaum Zeit zum Ausruhen. Sie muss mit Sponsoren sprechen und Spenden akquirieren, denn zu Hause, in Rumänien, warten fünf Kinder mit speziellen Bedürfnissen, dass ihre „Mama“ zurückkehrt.