Die Letzten ihrer Art

Zu Besuch in Temeswars einziger „Instrumenten-Klinik“

In der Werkstatt aus der Temeswarer Josephstadt hängen von der Decke die unterschiedlichsten Instrumente herunter.

Lucian Oală repariert Blechinstrumente.

Anton Hubert spielt kein Akkordeon, dafür aber kann er fast jede Marke reparieren.
Fotos: Zoltán Pázmány

Ihre Arbeitsplätze sind wie aus einer anderen Ära, ihre Werkstätten sehen wie Museen aus und ihre Berufe sind vom Aussterben bedroht. Trotzdem gibt es sie noch, die Menschen, die Musikinstrumente reparieren. In Temeswar/Timişoara ist eine einzige Werkstatt übrig geblieben, wo verstummte Klangerzeuger ihre Stimme zurückbekommen. Zu Besuch bei zwei Meistern.

 

Seine Finger gleiten sorgfältig über die abgetragenen Bälge. „Da muss ich die neuen Schoner anbringen“, erklärt Anton Hubert (74) und holt ein paar Lederstückchen hervor. Diese muss er mit sehr viel Geduld auf jeden einzelnen Balg kleben. Es ist sehr feine Handarbeit, die Anton Hubert da verrichtet, doch auch die einzige Arbeit, die ihm seit eh und je Spaß macht. Was soll er sonst zu Hause tun, meint der Rentner, der jeden Tag in die Werkstatt geht, um Akkordeons zu reparieren. Das Atelier für Instrumentenreparatur an der Dragalina-Straße Nr. 10 ist das letzte, das noch in Temeswar/Timişoara am Leben geblieben ist. Es bietet vier Personen eine Beschäftigung.

 

Ein halbes Jahrhundert im Dienst

 

Große Brille, grauer Pullover mit geometrischem Muster, lockere Stoffhose, ein gutmütiges Lächeln auf dem Gesicht: Es ist offensichtlich, dass dem Mann Mitte 70 seine Arbeit unheimlich viel Spaß macht. Seit mehr als 50 Jahren arbeitet Anton Hubert bei der Handwerkergenossenschaft Cooperativa Timiş. Am Anfang, lange vor der Wende, hatten sie die Akkordeons selbst hergestellt.

 

Die Töne wurden ursprünglich aus Deutschland und Italien gebracht. „Wir versuchten schließlich, Töne zu produzieren, aber die Qualität war schwach. Wir ließen das schnell sein“, erinnert sich Anton Hubert an seine ersten Arbeitsjahre. Bis zur Revolution war er an einem anderen Ort im Dienst. Der 18. Dezember 1989 war sein erster Diensttag in der Werkstatt aus der Josephstadt, ebenfalls bei der Cooperativa Timiş. „Draußen fuhren die Panzer herum und ich ging zur Arbeit“, erinnert sich Hubert.

Auf einem harten Drehstuhl sitzt Anton Hubert, doch das macht ihm nichts aus. Er muss sich bewegen können, ständig Zugriff auf Instrumente und Ersatzteile haben. Vom Regal nimmt er ein rotes Akkordeon der Marke „Weltmeister“ und drückt auf die Tasten. „Bei dem sind einige Tasten nicht mehr gegangen. Der Tonkasten war verschimmelt, den habe ich gereinigt“, sagt der Handwerker.

 

Das Akkordeon gehört einer Kirche. Zwei-drei kaputte Akkordeons bekommt er in der Woche, die muss er dann wieder zum Leben erwecken. Je nachdem, wie schwer die Reparatur ist, kann das sogar bis zu sechs Monaten dauern. Viele Ersatzteile werden aus dem Ausland bestellt. „Ich beschäftige mich nicht nur mit einem Instrument, sondern versuche, simultan an mehreren zu arbeiten“, erklärt Hubert, der oft auf Ersatzteile warten muss – und das kann dauern. „Arbeit gibt es immer“, fügt er hinzu.

 

Arbeit mit Herz

 

In seinen Händen hielt er auch mal das ein oder andere Akkordeon, das die 100-Jahresgrenze überschritten hatte. „Akkordeons leben, so lange man auf sie aufpasst und man aufmerksam mit ihnen umgeht“. Anton Hubert holt ein braunes Akkordeon vom Regal runter. „Buttstädt“ steht mit silbernen Druckbuchstaben darauf geschrieben. Es ist ein etwas älteres Wiener Modell, das Huberts Aufmerksamkeit besonders in Anspruch nimmt. Doch auch dieses wird nach einiger Zeit komplett „geheilt“ die „Instrumenten-Klinik“ verlassen.

 

Es klingt vielleicht etwas unerwartet: Anton Hubert selbst spielt kein Akkordeon. Trotzdem repariert er die Instrumente so, dass sie perfekt klingen, wenn sie wieder zum Kunden kommen. Für den Akkordeon-Reparierer Anton Hubert hat die Technik vorgesorgt. „Es gibt ein elektronisches Gerät, mit dem ich den Ton überprüfe“, sagt er lächelnd.

Genauer als das menschliche Ohr ist das auf jeden Fall.

 

Dafür aber ist sein jüngster Enkel musikalisch drauf. Der 15-jährige Lenau-Schüler William Hubert spielt manchmal Gitarre. Doch auch bei ihm scheint es  für den Opa so, als ob die Leidenschaft nachlässt. „Er treibt jetzt Fußball. Ich habe ihm aber gesagt, dass es Tausende Fußballer gibt und nicht alle ihren Platz in der Fußballwelt haben“, sagt der Mann.

 

Zu den besten Akkordeon-Marken zählt Anton Hubert den Hohner. Die Matthias Hohner AG mit Sitz in Trossingen ist weltweit einer der führenden Hersteller von Akkordeons und Harmonikas. Deutsche Marken waren Hubert schon immer lieber als andere gewesen, und das nicht nur dem Klang wegen.

 

„Die Hohner sind auch leichter auseinanderzunehmen und zu reparieren“, erklärt der 74-Jährige. Es ist eine Arbeit mit Herz, die Anton Hubert seit mehr als einem halben Jahrhundert verrichtet. „Du kannst niemals sagen, dass du alles weißt. Auf dem Markt erscheinen ständig neue Modelle und Systeme, mit denen du dich vertraut machen musst“, fügt Hubert hinzu. Anton Hubert ist einer der Letzten seiner Art.

 

Mehr Künstler als Handwerker

 

Der Hauch von Traurigkeit in seiner Stimme ist nicht zu überhören: Obwohl er lächelnd erzählt, wieviel Spaß ihm seine Arbeit bereitet, ist Lucian Oală überzeugt, dass er einen aussterbenden Beruf ausübt. Noch ein paar Jahre wird es die Werkstatt geben, glaubt er. „Leider“, fügt er hinzu, „denn es ist ein einzigartiger Job“. Lucian Oală ist der Mann in Temeswar, aus dessen Händen alle Blechinstrumente „gesund“ wieder herauskommen.

 

Klopfen und Hämmern, Schleifen und Schweißen, im Hintergrund leise Radiomusik. Lucian Oală ist gerade mit einer Tuba beschäftigt, die speziell für altertümliche Musik gestimmt ist. Dieses Instrument wurde bis in die 40er Jahre von Blaskapellen im Banat genutzt. Damals wurden all diese Blechinstrumente nach dem Wiener Modell gestimmt. „Es ist eine kleine Musikgruppe - Blaskapelle wäre übertrieben -, die mit dem, was sie geerbt hat, spielt. Nicht, weil sie es so wollen, sondern, weil sie keine anderen Instrumente haben“, sagt der Mann. Zu seinen Kunden zählen fast alle Musiker aus den Banater Blaskapellen.

 

Zur Musik fand Lucian Oală bereits im jungen Alter. Ein Althorn war das erste Instrument, mit dem das Kind die ersten Töne herausbrachte. Es war die Kirche, die ihn zur Musik führte.  In seiner Jugend hatte er die verschiedensten Blasinstrumente ausprobiert.

 

Gingen sie kaputt, so versuchte Lucian Oală, sie selbst zu reparieren. „Das ging oft schief und ich rannte dann mit dem Instrument zu dieser Werkstatt hin. Die Meister kannten mich schon und fragten sofort: ´Na, was hast du diesmal kaputt gemacht?`“, erinnert er sich.  Die Jahre vergingen und aus dem Kind wurde ein Mann. Lucian Oală ging eines Tages wieder über die Schwelle des Ateliers, doch auf die Frage der Meister hatte er diesmal eine andere Antwort. „Nichts. Ich will mich hier anstellen lassen“, sagte er damals entschlossen.

 

Ein Leben mit den Musikinstrumenten

 

Im August waren es 21 Jahre, seitdem sich Lucian Oală mit der Reparatur von Instrumenten beschäftigt. Fast alle Blasintrumente aus Blech kann er reparieren. Ausnahme machen die Saxophone. Von der Zimmerdecke hängen Blechinstrumente aller Formen, Arten und Marken herunter. Ein Labyrinth von Blechrohren schwebt über Lucian Oalăs Kopf, eine ganze Blaskapelle könnte man damit ausstatten.

 

Lucian Oală weiß, dass die Deutschen die Tradition der Blaskapellen ins Banat gebracht hatten. „Jedes Dorf hatte damals mindestens eine Kapelle. Allein in Temeswar gab es früher acht Werkstätten für Instrumentenreparatur“, erinnert sich der Meister. Die Deutschen hatten auch die ersten Blasinstrumente nach Temeswar befördert.

 

Allerdings konnten sie sie nicht einfach so über die Grenze bringen, denn dafür waren hohe Gebühren fällig. Die erfinderischen Deutschen fanden schnell einen Trick, diese Gebühren zu umgehen: In Teile auseinandergenommen brachten sie die Instrumente ins Banat. So wurden die ersten Ateliers gegründet, die aus Bestandteilen Musikinstrumente herstellten. Fehlte ein Teilchen, so mussten es die Handwerker selbst nachbauen.

 

Über die Blaskapellen von heute ist Lucian Oală ein bisschen enttäuscht. Die Qualität ist längst in den Hintergrund gerückt und dabei bezieht sich der Handwerker nicht auf die Musik, sondern vor allem auf die Instrumente. Viele werden in China oder, „noch schlimmer, auf dem Schiff“ hergestellt, sind billig und halten auch dementsprechend wenig. Dann ist das Fachwissen des Instrumentendoktors gefragt. „Bei meinem Beruf kann ich nicht einfach die fertigen Ersatzteile bestellen und montieren. Ich muss sie selbst produzieren“, erklärt Lucian Oală. Dann gießt er selbst die Teilchen nach, genau so, wie es vor Jahrzehnten die ersten Werkstätten in Temeswar getan haben. Für kurze Zeit ist Lucian Oală dann kein einfacher Handwerker mehr, sondern ein Künstler.

 

Den Beruf hat er von den alten Meistern Nicolae Voicu und Gheorghe Varodi gelernt. Er gibt offen zu, dass der Meister Voicu am Anfang seine Bedenken hatte, ob Lucian Oală den Beruf erlernen wird oder nicht. „Man muss sehr viel Feingefühl aufweisen und das hatte ich ursprünglich nicht“, erinnert sich der junge Mann.

 

Der Wunsch, in diesem Geschäft tätig zu sein, war aber so groß, dass er sich schließlich selbst übertraf und zum Profi-Reparateur von Blechinstrumten wurde. Es ist ein schlecht bezahlter Job, gibt er offen zu, und trotzdem hat er nie daran gedacht, seinen Beruf aufzugeben. „Es ist ein Handwerk, das man nur dann aufgibt, wenn man stirbt“, sagt Lucian Oală. Künftig würde er, solange es geht, diesem Job nachgehen, auch wenn er nebenbei höchstwahrscheinlich auch etwas anderes machen wird. Auch Lucian Oală ist einer der Letzten seiner Zunft.