Die Musik der Pandemie: In Einsamkeit und im Zusammensein

Über virtuelle Chöre und Orchester, über Solidarität und einriesiges Dankeschön

Virtueller Chor im Pflastersteinlook

Die Menschenleere vor Ort, die Tausenden oder Millionen Menschen im Publikum zu Hause

Hätte jemand vor zwei Monaten die Frage nach einem virtuellen Chor oder Orchester gestellt, wären erhobene Augenbrauen und ausgefallene Antworten das Echo gewesen: Heute wissen wir, was sie sind und auch wie sie funktionieren. Es ist auch die einzige Art, in der wir noch einen Chor/ein Orchester hören, wenn die Aufnahme so aktuell wie möglich sein soll. Es ist das in sich kontrastierende „Allein-Zusammen“, an dem wir uns schon seit Wochen zu gewöhnen versuchen. Und es ist eine neue Art, Musik zu machen und zu vermitteln.

Die erste Art der Musik „allein gemeinsam“ gemacht ist mir per Whatsapp zugekommen. Das Orchester des serbischen Nationaltheaters unter der Leitung des italienischen Dirigenten Andrea Solinas spielte „Bella Ciao“. Das Besondere daran: Es war der 20. März. und in Italien kletterten die Zahlen der Toten Tag für Tag. Und die Nachrichten und Bilder waren erschreckend. Auf der ganzen Welt waren Künstler und Musiker infolge der geschlossenen Theater und Konzerthallen zu Hause geblieben, in Isolation. Dann kam die Idee, Solidarität zu zeigen. Die Musiker haben sich einzeln von zu Hause eingeklinkt und über ein Videocall gemeinsam gespielt.

Mosaikartige Zusammenkunft im Online-Bereich

Eine Premiere für viele. Dass ein Orchester so funktionieren kann, hätte man sich nicht vorgestellt. Ein Orchester lebt vom Miteinander und von dem Zusammensein, dem perfekten Abstimmen, den Blicken auf den Dirigenten und den Blicken des Dirigenten auf jedes einzelne Mitglied des Orchesters. Wie das über ein Videocall funktioniert? Die Geste hat etwas Trauriges an sich, wenn man an den Kontext und die Ursache für diesen virtuellen Auftritt denkt. Die Geste hat etwas Schönes an sich, denn sie spricht von Solidarität.(Il Teatro Nazionale serbo suona "Bella Ciao" in Videocall https://www.youtube.com/watch?v=L63f5DdzYNg&t=4s)

Warum machen Künstler das? „Wir adaptieren uns an eine neue Realität und müssen Lösungen finden, um uns gegenseitig zu unterstützen. Kreative Kräfte helfen uns. Lasst uns andersdenken und Innovationen nutzen, um unsere Beziehungen zu erhalten und das alles zusammen machen. Denn zusammen sind wir erfolgreich“. So erklären es die Musiker des Philharmonischen Orchesters aus Rotterdam ebenfalls am 20. März online: Separat und doch zusammen. Und ließen Beethovens 9. und Europas Hymne erklingen:(„From us, for you“. (https://www.youtube.com/watch?v=3eXT60rbBVk Rotterdams Philarmonisch Orkest)

Es ist der 30. März und das Französische Nationalorchester spielt auf derselben Weise den „Bolero“ von Maurice Ravel. Es ist eine Art, das „confinement“ zu erleichtern, die Abgeschlossenheit also, und den Verlust des Zusammenseins zu überspielen, wie besser als mit dem steigenden Tempo des Boleros. „Zusammen zu Hause“ sind die Schlagwörter.(https://www.youtube.com/watch?v=Sj4pE_bgRQI Le Boléro de Ravel par l'Orchestre national de France en #confinement#ensembleàlamaison)

Ostern war es doppelt schwierig für uns alle, aber vor allem für die Menschen in der vordersten Linie: Die Mitglieder des Münchner Rundfunkorchesters wussten dies und spielten den Kanon in D-Dur von Johann Pachelbel ebenfalls aus den eigenen Wohnzimmern. Das Video war allen Helfern in der COVID-19-Krise gewidmet. (https://www.youtube.com/watch?v=L0JqWz-eF6w Kanon in D-Dur von Johann Pachelbel - Münchner Rundfunkorchester)

YouTube ist zwar der Online-Pool für Videos, die Konzerte festhalten, aber das Fliesenmuster der Videos ist neu, weil das Haptische verlorengegangen ist und das Neben- und Miteinander nur geistig und virtuell möglich ist. Von diesem Haptischen und der Zärtlichkeit eben spricht die „Symphonie confinee: La tendresse“ ein Projekt von Valentin Vander vor über einem Monat. (https://www.youtube.com/watch?v=rEjvRktXeisSymphonie confinée - La tendresse)

Und dass was es mit dem Homeworking auf sich hat, zeigt ein Video aus Großbritannien mit Humor, als ein Mitglied der „Opera North“ die Becken schlägt und drei Kinder neben dem Vater sitzen: Das eine hält sich die Ohren zu, das zweite freut sich, das dritte und jüngste guckt verwundert. So ist gut gemeisterte Arbeit von zu Hause. (https://www.youtube.com/watch?v=nt8FhIVmR8M2020: An Isolation Odyssey | 40 musicians play epic intro from Kubrick classic during UK lockdown)

Für Chöre gelten dieselben Regeln und dieselben Lösungen, so sind diese Tage virtuelle Chöre auf YouTube zu hören und sehen: So ein virtueller Chor entstand aus der Zusammenarbeit der Chöre „Lavinium“ und „Sing up“ aus Rom: „Hallelujah“ von Leonard Cohen im Arrangement von Fabrizio Vestri ist am 20. März gestreamt worden. Seitdem hat Fabrizio Vestri auf seinem YouTube Kanal auch mehrere Tutorials hochgeladen, in denen er erklärt, wie man so einen virtuellen Chor kreieren kann.(https://www.youtube.com/watch?v=ovwbHsKS6gACORO VIRTUALE - VIRTUAL CHOIR - Hallelujah (Leonard Cohen) /arr. Fabrizio Vestri)

Oder 700 Kinder, die die bekannte „Nessundorma“-Arie singen, ebenfalls im virtuellen Chor: Wenn das nicht Musik ist, die berührt… (https://www.youtube.com/watch?v=MZWmikiJVIQEuropa InCanto 700 bambini cantano Nessun Dorma – Turandot).

Oder 100 Menschen – Orchester, Sänger, Chörein der Komposition„Hristos a înviat“von Andrei Tudorzusammengekommen: Mit Felicia Filip, Irina Iordăchescu, Irina Baianț, Laura Bretan, Marcel Pavel, Dan Miri]ță, Andrei Lazăr, mit Luminița Anghel, Paula Seling, Nicound Oana Sârbu, mit demChor „Acapella” unterderLeitung von George Miron unddemKinderchor „Sunetul muzicii” unterderLeitung von Cristina Manoliu. Vom Komponisten Andrei Tudor, Verse: Andreea Andrei. Premiere am 18. April. (https://www.youtube.com/watch?v=AzxW870yrXkHristos a inviat ! - 100 de artisti pentru voi 2020)

Die Musik der Pandemie für gute Zwecke

Die Musik der Pandemie setzt sich ein für Einnahmen für gute Zwecke. Und die Listedieser Zwecke wirdimmer länger und die Situationen sind extrem, denn das Virus hat einen Einfluss nicht nur auf die Gesundheit der Menschen, wie wir es inzwischen herausgefunden haben. Ein Beispiel ist der Wohltätigkeitsmoment, der die StimmenundKünste von Andra und anderer bekannter Musiker aus Rumänien unter dem Titel „Împreună“ vereint. Das Lied, das ab den 19. April im Online ist, dient den Einnahmen für das Rote Kreuz (https://www.youtube.com/watch?v=oYuIVFQd0Rc, „Împreună” - moment artistic caritabil, interpretat de unii dintre cei mai iubiţi artiști români).

Menschenleere Räume und Straßen, viel Publikum zu Hause

Die Musik der Pandemie ist jedoch nicht nur die Musik der virtuellen Zusammenarbeit, sondern auch die Musik, die man allein oder zu zweit – in zwei Metern Entfernung macht, in Räumen oder an Orten, die heute erdrückend menschenleer sind. So zum Beispiel das Osterkonzert, das Andrea Bocelli am katholischen Ostersonntag im Mailänder Dom gegeben hat und in dem die Stimme des weltberühmten Tenors unsere aller Stimme Richtung Himmel wurde: eine Stimme der Hoffnung, des Glaubens, der Stärke. Einer Einladung der Stadt und des Doms folgend hat Bocelli mehrere Kompositionen gesungen und am Anfang des Videos, bevor der Dom in seiner majestätischen Größe gezeigt wurde, in einigen Worten seinen Glauben zusammengefasst, während sich vor den Augen des Millionenpublikums zu Hause Bilder einer bis vor Kurzem vibranten, aber jetzt fast gespensterisch menschenleeren Stadt gezeigt wurden: Dass Mailand es schaffen wird, dass Italien es schaffen wird, das wir alle es schaffen – ein perfektes Credo am Otersonntag. (https://www.youtube.com/watch?v=huTUOek4LgU, Andrea Bocelli Music for Hope: Live from Duomo di Milano).

Nur wenige Tage später haben sich eine der größten Sopranstimmen der Welt und ein Violinen-Virtuose auf einer Stradivarius-Geige vereint, um das Vaterunser musikalisch zu beten: Angela Gheorghiu und Alexandru Tomescu in einem – ganz wie Mailand in dieser Hinsicht – einst vibranten, jetzt gespenstisch menschenleeren Bukarest. Alexandru Tomescu hat auf seinem YouTube Kanal gepostet: „In einem fast menschenleeren, irrealen Bukarest wird ein Gebet gesprochen, das unsere Seelen heilen kann“. (https://www.youtube.com/watch?v=pWNkNgB4zKgAngela Gheorghiu& Alexandru Tomescu - Tatăl Nostru 2020)

Mehr solche Beispiele: der Cellist Stjepan Hauser in der römischen Arena seiner Heimatstadt Pula in Kroatien. Der Künstler verneigte sich vor dem virtuellen Publikum, die Arena war menschenleer, dafür aber Tausende im Publikum zu Hause: (https://www.youtube.com/watch?v=5eYuUAV4YE4HAUSER: 'Alone, Together' from Arena Pula)

Oder für Liebhaber anderer Genres der Musiker Stephen Ridley (Gesang, Klavier) in einer menschenleeren U-Bahn-Station in London, mit Schutzmaske vor dem Song und mit Desinfektionsmittel zur Hand, um die Klaviertasten desinfiziert.
Die Menschenleere ist „unearthly“, was überirdisch, aber auch unheimlich bedeutet. (https://www.youtube.com/watch?v=MO97wSZmBmg A song for the world || 'Imagine' empty metro station piano perfomrnace London (Coronavirus)

Die Musik der Pandemie ist auch ein virtueller Lineup, eine „Digital Show“, ein „Festival“ von zu Hause, für zu Hause, es ist das „One World Together at Home“. Die Weltgesundheitsorganisation und „Global Citizen“ hatten dazu aufgerufen. Und für die Vertreter aller Generationen waren mehrere große Künstlernamen da: Rita Ora, Lady Gaga, ebenso wie Paul McCartney oder Elton John. Mehrere Stunden Musik gestreamt am 18. April, heute noch einzelne Videos von den Performances zu sehen&hören. Die Künstler haben sich für die Menschen in der vordersten Linie eingesetzt.

Die Musik der Pandemie ist mal mobilisierend, mal wehmütig, immer öfter himmlisch. Allen Künstlern jedoch ein großes DANKESCHÖN!