Dorfpolizist nun verstärkt auf Streife

Angst vor der Reform nicht bestätigt

Rund um die Uhr fahren Streifenwagen von den Revieren ab.
Foto: Siegfried Thiel

Der 40 Jahre alte Mann lebt angeblich seit Jahren mit seiner Nichte zusammen. Verdacht auf Inzest. Aller Wahrscheinlichkeit nach war sie erst 16 Jahre alt, als sie ihr erstes Kind auf die Welt brachte. Beischlaf mit einer Minderjährigen. Das wäre kurz skizziert ein Ereignis, das derzeit für Aufsehen in der Temescher Gemeinde Neubeschenowa/Dudeştii Noi sorgt. Es ist aber auch gleichzeitig der wohl brisanteste Fall des neu organisierten Polizeireviers, das seinen Sitz in Sanktandres/Sânandrei bei Temeswar/Timişoara hat. Weitere elf Polizeireviere gibt es im Verwaltungskreis Temesch/Timiş, alle zuständig für mehrere Kommunalzentren und die eingemeindeten Dörfer. Sie sind das Resultat der Reform Rumäniens Polizeidienststellen auf dem Land, die im Verwaltungskreis Temesch bis zum 30. September abgeschlossen wurde.

So ganz glücklich sieht nicht jeder Polizist aus, der seine Stelle als Chef- oder stellvertretender Leiter einer Polizeidienststelle aufgeben musste. Wenn sie jedoch auf ihre Bürgerpflicht angesprochen werden, behaupten sie alle die neue Struktur habe eine positive Auswirkung auf den Bürger. Ein einziger Polizist versieht nun den Dienst in den Polizeidienststellen der Gemeinden: Er darf intervenieren, wenn zwei Bürger um eine  Kleinigkeit streiten, wenn das Fest der Kirchenweihe abgehalten wird oder wenn der lokale Gesangverein seine Jahresversammlung abhält. Er ist auch zuständig für die Untersuchung von Strafverfahren und vor allem soll er als bürgernaher Polizist auftreten. Auf insgesamt zwölf solcher Polizeireviere sind die nahezu 90 Gemeinden im Verwaltungskreis Temesch aufgeteilt. Die Polizeiwachen in den Städten sind in ihrer alten Struktur beibehalten geblieben.

Von den zwei oder drei Polizisten der Dienststelle blieb nur ein einziger als Dorfpolizist zurück, die anderen wurden dem Revier zugeteilt. Es hat schon Struktur – die neue Aufteilung. Polizisten auf dem Land werden nun nicht außerhalb der Dienstzeit zur Wirtshausschlägerei gerufen und müssen auch nicht bei Nacht und Nebel aus dem Bett aufstehen und Maisdieben hinterherlaufen. Das hat nun das Polizeirevier übernommen. Auf zwei Trassen fahren die Polizisten vom Revier aus Sanktandres die sieben Gemeindezentren und acht eingemeindeten Dörfer aus ihrem Zuständigkeitsbereich rund um die Uhr ab. „Abends und nachts haben wir verstärkte Einheiten im Einsatz. Unsere Streifen verweilen auf ihrer Trasse oft länger vor einer Einrichtung oder in einer Gegend, wo Konfliktsituationen nicht selten sind“, sagt Unterkommissar Talida Crivoi, die auf dem Polizeirevier in Sanktandres für öffentliche Ordnung zuständig ist. Der Interimsleiter des Reviers, Eugen Sfichi, sieht nicht nur die sofortige Einsatzbereitschaft der Polizisten als Vorteil der neuen Struktur, sondern auch mehr Sicherheit sei dadurch gewährt. „Was kann denn ein einziger Polizist schon tun, wenn er in einen Konflikt gerät?“, fragt sich rhetorisch Kommissar Sfichi. Er möchte auch ab Dezember Revierleiter bleiben. Die Stelle ist ausgeschrieben und er wird sich am 7. Dezember einer diesbezüglichen Prüfung stellen. Mit Stapeln an Papieren geht Hauptwachtmeister Petre Nicorici durch das Revier. Er ist nach der Reform vor Ort geblieben und weil er Bürger und Situationen in Sanktandres am besten kennt, ist er zuständig für die Bearbeitung von Strafverfahren. „Als Polizist auf dem Land ist die Arbeit vielseitig: Von bürgernahem Auftreten, in Strafverfahren ermitteln, oder an Veranstaltungen teilnehmen.“, sagt Nicorici. Oberwachtmeister Marius C²niceanu musste seine Stelle aufgeben. Als ehemaliger Stellvertreter des Dienststellenleiters in der Gemeinde Billed/Biled darf er jetzt interimistisch den im Ort verbliebenen Polizisten ersetzen. Sonst wird er aus der Zentrale in Sanktandres auf Streife geschickt – ob das ein Imageverlust ist? Polizisten aller Ebenen verneinen solche Aussagen. „Ihr neues Amt im System ist attraktiver, besser bezahlt, deshalb glaube ich nicht, dass man da von ´Verlust´ sprechen kann“, sagt Kommissar Florin Bolbos, stellvertretender Leiter der Temescher Kreispolizei. Für die Bürger in Billed ist die Leere der Polizeidienststelle im Ort eher eine Prestigesache: „Ich frage mich, warum das Polizeirevier nicht in unserer Ortschaft unterkommen konnte?“. Dass nun öfter Streifenwagen durch die Hauptstraße gefahren sind, hat eine Frau etwa um die 50 „wiederholt gesehen“, aber „ob die da sind, wenn man sie braucht“, dessen ist sie sich nicht ganz sicher. Andere haben von der Polizeireform auf dem Lande keine Ahnung, sie wissen bloß, dass die Polizeidienststelle im Ort „verlassen aussehen“, soll, seitdem „man Polizisten entlassen hat“, wollen manche wissen. Der Mann vor dem Rathaus ist jedoch gut informiert: „Im Extremfall können Polizisten nun prompt eingreifen, auch weil sie mehrere sind“. Skeptisch bleibt er wegen der Distanz: „Ob die das von Sanktandres aus immer in ausreichender Zeit schaffen?“ Müsste er die Frage beantworten, würde er ein klares „Nein“ abgeben. Unterkommissarin Crivoi vom Revier in Sanktandres weiß jedoch, dass ein Streifenwagen in ihrem Abschnitt wahrscheinlich nicht mehr als 15 Minuten bis zum Konfliktort braucht.