Ein altes Dorf namens Neudorf

Ein altes Dorf namens Neudorf

Die katholische Kirche im Dorfzentrum

Heldendenkmal neben dem Gotteshaus Archivfotos: Zoltán Pázmány

Es war und ist kein im Banat oder in der Westzone bedeutender Ort, nicht mal eine typische Banater Großgemeinde, wie die reichen und bevölkerungsstarken Ortschaften der Banater Heide, oder der Heimatort großer Dorfsöhne, wie das naheliegende Guttenbrunn, bekannt als Geburtsort des Berühmtesten des Völkchens der Banater Schwaben -  Adam Müller- Guttenbrunn. Und doch hat das Dörfchen Neudorf (es behielt, aus unbekannten Gründen, wie nur wenige der Banater deutschen Ortschaften, diesen so leicht ins Rumänische übersetzbaren, deutschen Namen aus der Gründerzeit, selbst nach der Dreiteilung des Banats und dem Anschluss an Großrumänien, am 4. Juni 1920) den gleichen geschichtlichen Werdegang (im österreichisch-ungarischen Kaiserreich, im ungarischen und darauf im rumänischen Königreich, im kommunistischen Rumänien 1944-1989  und auch im demokratischen Rumänien nach der Wende) wie sämtliche banatschwäbischen Dörfer. Und seine Bewohner (um das 1900, lag deren Anzahl bei etwa 1300, davon 85 Prozent also knapp über 1000 Deutsche) hatten denselben allgemein  tragischen Schicksalsgang aller Banater Schwaben (die Kriege der Großen Europas, Enteignung, Entrechtung, Verschleppung, Zwangsaufenthalt, in periodischer Abfolge, von der deutschen Ansiedlung bis zur Massenauswanderung nach1990. 2015  wurde das 250. Dorfjubiläum, von den Neudorfer Banater Schwaben aus der alten und aus der neuen Heimat gemeinsam, groß gefeiert.

Das Dorf Neudorf  im Kreis Arad (ungarisch Temesujfalu, serbisch Novo Selo) in der Banater Hecke gelegen, fast an der historischen Grenze zwischen dem Banat und Siebenbürgen, also zwischen Lippa und Guttenbrunn, an der Kreisstraße DJ682, in 30 Kilometer Entfernung von der Kreishauptstadt Arad, gilt heute administrativ mit seinen etwas über 900 Einwohnern, darunter auch noch ein Dutzend deutscher Herkunft,  als eingemeindetes Dorf. Mit dem Nachbarort Chesin] gehört es zu Guttenbrunn/ Z²brani. Zu den Nachbarorten gehören außer  Guttenbrunn, Chesin], Traunau, Paulisch und Baratzhausen. Dokumentarisch belegt ist die Ortschaft schon im Jahr 1448, also schon vor der Türkenzeit: Die Siedlung hieß Unter-Keszin, Ober-Keszin ist das heutige Chesinț. Auf der bekannten Banat-Landkarte von Graf Mercy (1723)  ist der Ort als Novosello eingetragen, 1761 hieß er Novosellopuszta . Im Jahr 1765 wurde auf Anregung des Salzeinnehmers und Administrationsrats Carl Samuel Neumann Edler von Buchholt (geb. 1722-1782 in Matscha gestorben) aus Lippa auf dieser Pusta das Dorf  angelegt. Es wurden damals, vor 255 Jahren, 148 deutsche Familien aus Lothringen, dem Odenwald, Franken, der Pfalz und dem Saarland angesiedelt. 1798 ließ der lokale Gutsherr Lovasz im naheliegenden Wäldchen ein Schloss erbauen. Es wurde 1848 von den aufständischen Motzen vernichtet,1884 aber wieder aufgebaut und gar aufgestockt. Nach 1945 wurde es enteignet. Das schöne Bauwerk verfiel und wurde letztlich abgerissen.

Die römisch-katholische Pfarrkirche von Neudorf, mit dem HeiligenWendelin als Schutzpatron, wurde 1771 in barockem Stil erbaut,1772 eingeweiht  und 1929 restauriert. 2005 wurde das unter Denkmalschutz stehende Gotteshaus mit Unterstützung der HOG Neudorf  renoviert. Einer der in Neudorf  im Laufe der Jahrhunderte hier  beibehaltenen kirchlichen Feiertagen ist der Florianstag: Am 4. Mai wurde und wird weiterhin, heute in kleinerem Rahmen,  in der Neudorfer Pfarrkirche der Heilige Florian von Lorch, Märtyrer und Schutzpatron der Feuerwehr, gefeiert. In Neudorf wird traditionsgemäß  ein Hochamt in der katholischen Dorfkirche zelebriert. Bei der Sonntagsmesse kommen auch die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr zusammen.

Eine besondere Sehenswürdigkeit des Ortes, die im Laufe der Jahre auch stets Touristen von überall angelockt hat: Die Krypta der Kirche, die dem Grafen Zelinski gehörte, beherbergt die Grabstätte der Erzherzogin Maria Ana Ferdinanda von Habsburg (1770–1809),  die hier verstarb. Ihr zum Gedenken ließ Kaiser Ferdinand I. von Österreich, noch “der Gütige“ genannt, 1841 eine Grabstätte aus Carrara-Marmor errichten. Sie war die Tochter des Erzherzogs und späteren Kaisers Leopold II., also  ein Mitglied des kaiserlichen Habsburger Hofs. Weil die Erzherzogin lungenkrank (TBC) war, zog sie sich 1809 zwecks einer Kur in die Gegend von Neudorf zurück, die damals noch reich an Tannenwäldern war. Sie soll sich bis zum Tod auf dem Schloss des Grafen Zelinski (es gibt Stimmen, die von einem kurzen Verhältnis der Beiden sprechen) aufgehalten haben. Es wird erzählt, dass sie eigentlich vor einer Muss-Heirat vom Wiener Hof an den Rand des Imperiums, ins Banat, geflohen war. Sie starb im selben Jahr 1809 - sie war damals bloß 39 Jahre alt - und wurde in der hiesigen Pfarrkirche beigesetzt. Sie ruht in einem Sarg unter dem Altar. Neben dem Altar gibt eine Gedenkplatte, die an die in Florenz geborene und in Neudorf gestorbene und beerdigte Erzherzogin erinnert. Die Kirchturmuhr ist auch eine Sehenswürdigkeit. Sie wurde 1882 in der bekannten Manhardschen Turmuhrenfabrik von München hergestellt. Die Mechanik funktioniert heute noch.

Ein Jahrhundert lang hielten die Neudorfer einen an Aberglauben rührenden Brauch: Einmal jährlich, am Kirchweihtag, jeweils am 2. Juli, öffnete das Kirchenkomitee den Sarg der Erzherzogin, um die berühmten Gebeine zu beschauen!? Am Florianstag, dem 4.Mai, taten es der katholischen Gemeinde auch die Mitglieder der Freiwilligen Dorffeuerwehr gleich. Weil die sterblichen Reste der Erzherzogin durch dieses periodische „Beschauen“ in den letzten Jahren sichtliche Spuren hinterlassen hatte, beschloss  die römisch-katholische Diözese Temeswar im Jahr 2005, mit einem Beschluss des damaligen Vikars Laszlo Böcskei,  diese „Zeremonien“ zu verbieten. Im Dorf erzählen noch die Alten, dass die Sowjets 1945, als die Front bei in der Gegend von Neudorf war, das Grab geöffnet und daraus alles Wertvolle (Schmuckgegenstände wie Ringe und Halsketten) gestohlen hätten. Die „Befreier“ hätten gar die Füße der Toten abgesägt, erzählen die Alten, um das vergoldete Schuhwerk der Erzherzogin als Souvenir mitgehen lassen zu können.