Ein Ort im neuen Kleid

Stadtzentrum von Großsanktnikolaus – das Nákó-Kastell bei Nacht Foto: Comunitatea Sânmiclauseana

Sissis Statue war aus dem großen Park verschwunden. Die meisten Menschen des Ortes in der Gegenwart hatten nie von dieser Statue gehört. Die Frage nach dem Verbleib stellte daher auch niemand mehr. Die Geschichte der Stadt stand nicht in den Schulbüchern. Monografien und deren Autoren sind nicht Thema des Textes.

Nach dem Vertrag von Trianon war Sissi tot. Im eigentlichen und im übertragenen Sinne des Wortes. Eine neue Sprache zog in die Ämter und Schulen. Großsanktnikolaus (rumänisch: Sânnicolau Mare) hieß offiziell nicht mehr Nagyszentmiklós. Die k.u.k. Monarchie war tot. Der Ort hatte einen neuen Hüter. Das kleine Schloss (Kastell) der Grafenfamilie Nákó hatte den Besitzer schon längst gewechselt. Neues braucht immer seine Zeit. Sich einzurichten und sich zu bewähren. Niemand ahnte, wie kurz diese Zeit sein wird, wie dramatisch die Veränderungen des Ortes  sich zum Schluss zeigen. Das Wort Multikulti gab es zu dieser Zeit nicht, dient uns aber der schnellen Beschreibung des Zusammenlebens verschiedener Nationalitäten. Und Nationalitäten gab es nicht gerade wenige. Die Deutschen bildeten um eine Zeit die Mehrheit, auch sprachen mitwohnende Nationalitäten nicht selten mehrere Sprachen. So hatte die deutsche Sprache über viele Jahre eine besondere Bedeutung. In den Läden der Stadt war es durchaus möglich in dieser Sprache problemlos seinen Einkauf zu machen. Verkäufer jener Zeit sprachen oft noch drei bis vier Sprachen. Der rumänische Staat erlaubte den Unterricht in den Sprachen der mitwohnenden Nationalitäten, falls die Schülerzahlen stimmten. Die deutsche Sprache im Ort war noch vom Österreichischen beeinflusst. Nicht nur die Sprache behielt das Erbe, auch die Architektur des Ortes trug noch den Stempel der ungarisch-österreichischen Zeit. Im Juni 1942 wird die Deutschgemeinde sich mit dem Ort Großsanktnikolaus vereinen.

Der Zweite Weltkrieg führte zum Ende jüdischen Lebens in der Stadt. Noch vor Kriegsende kommt es auch für die deutsche Bevölkerung zu einer dramatischen Veränderung. Im Herbst 1944 flüchtet ein Teil der Deutschen vor den Russen westwärts. Und wer nicht geflüchtet ist, war in Gefahr zur sogenannten Aufbauarbeit in die Sowjetunion deportiert zu werden. Die Machtübernahme durch die Kommunisten verändert mit der Zeit nicht nur die Zusammensetzung der Bevölkerung des Ortes, auch die Spuren der alten Architektur werden sichtlich weniger. Im Laufe der 45 Jahre kommunistischer Herrschaft kommt es zu Veränderungen im Stadtbild, die nicht immer positiv bzw. ästhetisch vorteilhaft sind.  Es verschwinden ganze Häuserreihen. Sogar ein Großteil des ehemaligen griechischen Viertels wird demoliert. Für manche Einheimische eine menschliche Tragödie. Die Stadt erlebt eine industrielle Entwicklung, was den Zuzug fremder Menschen aus verschiedenen Teilen des Landes erklärt. Die Enteignungen, Diskriminierungen und auch die Deportierungen in die Sowjetunion bzw. später in den Baragan führt langsam zum Exodus der Deutschen. Das Antlitz der Stadt und die bekannte Atmosphäre verändern sich. Nach der sogenannten Revolution verändert sich die Situation wieder. Es wird  privat viel gebaut. Das neue Bild des Ortes hat immer weniger mit dem bekannten Bild der Stadt eine Ähnlichkeit. Ausgewanderte vermissen bei einem eventuellen Besuch die frühere Atmosphäre. Zwar wirkt die Stadt sauber und bietet diverse Möglichkeiten für die persönliche Entwicklung des Menschen, aber der ehemalige Charme des Ortes fehlt. Oft reden auch Fremde über diese Stadt. Eine Stadt ohne Arbeitslose. Oder man sagt, es sei die westlichste Stadt Rumäniens. Vielleicht sollte man sagen, auch schreiben, dass die Stadt durch die Grenzöffnung viel gewonnen hat. Dass die Menschen, die es heute als selbstverständlich sehen, auch wissen, dass es eine Ewigkeit ganz anders war. Dass Freiheit ein Traum war. Für den Menschen ihr Leben verloren.