Es hat gemundet bei der Brauchtumspflege

Sanktannaer lädt Geschäftsleute zu Schweineschlacht ein

„Jerk“ und „Fusion“ von Mark Chandler. Schwer zu sagen, was bei den Gästen „gut“ und was „besser“ ankam.

Zunächst wird Bratwurst frisch – wie der Name sagt – „gebraten“ verzehrt. Um sie länger aufzubewahren wird sie traditionsgemäß geräuchert. Fotos: Siegfried Thiel

„Schweineschlacht ist ein Ritual mit gut durchdachtem ökonomischem Hintergrund und im Banat von den Deutschen übernommen. Schweineschlacht ist also Ritual, Tradition und Notwendigkeit in einem“, sagt der Anthropologe Gheorghe Secheşan. Auch sonst wird – fragt man im Banat nach Überbleibseln deutscher Traditionen – das Schweineschlachten zuerst erwähnt. Bei einem zweiten, hintergründigen Nachfragen ebenso. Natürlich haben die anderen Ethnien es übernommen, doch viele lassen durch Kleinigkeiten den Unterschied erkennen.

Viel schwäbisches Überbleibsel war mit dabei, als Johann Henger in der Kleinstadt Sanktanna/Sântana (Verwaltungskreis Arad) in der zweiten Januarhälfte eine schwäbische Schweineschlacht für die Mitglieder des Arader Deutschsprachigen Wirtschaftsvereins veranstaltet hatte. Eingeladen waren dann auch die Mitglieder des  Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs Banat aus Temeswar. Schlechtwetter und diverse Aufgaben, die an diesem Freitag auf die Unternehmer zukamen, haben die Schweineschlacht bei Johann Henger zu einem Kommen und Gehen gemacht, auch Bürger aus dem Dorf nahmen sich die Zeit, vorbeizuschauen – Leber und Blut, dann Kesselfleisch und zuletzt Szegediner Gulasch waren Anreiz genug dazu. Aber nicht nur aus Temeswar oder Arad waren Gäste angereist, sondern Cristina und Oleg – alte Bekannte von Johann Henger – hatten einen Abstecher auf ihrer Reise aus ihrem Heimatland Republik Moldau in ihre Wahlheimat Deutschland gemacht, um ihren Bekannten, Johann Henger, zu besuchen.

 

 

Exotisch pur: Koch aus der Karibik

 

Tuch auf dem Kopf, Kochjackett, scharfes Tranchiermesser in der Hand und geübte Bewegungen. „Jerk“ bereitet der 41 Jahre alte Mann gerade zu. Eine karibische Spezialität aus Schweinefleisch. ´Ein Pirat der ruhigen Art´, geht es mir durch den Kopf. Zwar trifft die schelmische Einschätzung längst nicht zu, das exotische an ihm muss ich wohl doch auf Anhieb bemerkt und gefühlt haben. Mark Chandler räumt bereits im ersten Satz jedwelches Missverständnis aus dem Weg: „Ich bin der einzige aus der Karibik hier in Sanktanna“. Dabei säbelt er wie bei Präzisionsarbeit an seinen Fingern vorbei in das Fleischstück. „Das Gewürz hier, habe ich selbst gemixt“, sagt Chandler. Wenig später wird er das Gewürz in nicht geringer Menge über das Fleisch streuen.

Zweimal nimmt er das Blech mit dem „Jerk“ vom Herd, wenige Stunden später sucht manch einer noch ein Stück. Vergebens.

Vor sechs Jahren ist Mark Chandler nach Sanktanna gekommen, um als Volontär am Kinderheim zu arbeiten, heute ist er hier heimisch geworden, hat geheiratet, und ist freiberuflicher Koch. Und dass der Mann von den Barbados-Inseln in Rumänien, in Europa und der EU angekommen ist, zeigt er mit seinem aus Schweinerippen bestehenden „Fusion“, eine Kombination aus den USA, Karibik und der EU, sagt er lächelnd. Public Relations hat Chandler studiert, doch als Koch ist er zum wahren Globetrotter geworden und von überall hat er Einflüsse mitgebracht: aus Thailand, China, Mexiko, Japan. Die Umstellung auf rumänische bzw. Banater Kochkunst war für ihn keineswegs kompliziert. Sogar den typisch rumänischen Maisbrei „mămăligă“ kennt er: Wir, in der Karibik, haben auch so etwas, nur heißt es bei uns „CooCoo“, sagt Chandler, der sich bereits mit gutem Rumänisch zurechfindet.

„Das schwierigste Kochrezept in Rumänien war Rumänisch zu lernen“, spaßt der Mann aus der Karibik. Trotzdem: Er fürchtete, Krautwickel, die rumänischen „sarmale“ zu kochen, denn als er zum ersten Mal im Kinderheim den Geruch davon in die Nase bekam, fand er diesen kurios. Zu Hause gelangen  ihm dann auch die Krautwickel, ihr Geruch war anders. Vielleicht war im Heim einiges nicht mehr ganz frisch, vermutet Chandler von den Barbados.

 

 

Abbrühen ist typisch

 

„Schauen Sie mal, wie bei den Indianern“, lächelt Gastgeber Johann Henger. Im Hof steht ein Trog zum Abbrühen der Schweine – ein Trog aus Holz. Dafür ist das Gestell, um die Schweine zu zerlegen, aus Eisen (statt aus Holz) und statt des alther bekannten Stechmessers wird nun nach EU-Vorschrift ein Gerät zum Einschläfern verwendet. „Früher haben wir nicht mit der Gasflamme nachgeholfen, um alle Borsten wegzukriegen“, sagt Gastgeber und Hausherr Johann Henger. Zum Abbrühen, Borstenschrubben, mit Stroh abbrennen kam nun noch die Gasflamme hinzu. Blut und Leber als typisches Frühstück bei der Schweineschlacht stehen gegen Mittag auf dem Tisch, später das Kesselfleisch mit gekochten Innereien. „Aufpassen, dass keine Brotkrümel an das Fleisch geraten!“, so der Hinweis der Schlachter. Im Falle der Schnapsflasche, die – seit eh und je bei einer Banater Schweineschlacht unentbehrlich - von Hand zu Hand gereicht wird, ist ein solcher Hinweis nicht angebracht.


Unterdessen machen die eigens eingestellten Metzger weiter Bratwurst in der Einfuhr des Bauernhauses. Professionell geht es ihnen von der Hand, im gleichem Rhythmus drehen sie am Hebel, nur selten reißt die Wursthülle. Früher, als der Metzger noch mit dem Bauch einen Holzzylinder anschieben musste, war es etwas schwieriger und Wursthüllen aus dem Handel gab es ebenfalls keine. In der Einfuhr des Bauernhauses in Sanktanna ist ein Deutscher aus dem Ort zuständig für das Wurstmachen. Sein Gehilfe ist Rumäne und kommt aus dem Nachbardorf: „Wir haben schlachten und natürlich auch Wurst machen von den älteren Leuten gelernt“. Die Gäste – egal ob Deutsche oder Rumänen - sind an diesem Tag wirklich Gäste. Sie müssen nicht arbeiten.

Die einen staunen, weil sie diese Art der Schlachterei nach schwäbischem Brauch nicht kennen, die anderen erleben ein Stückchen Nostalgie, weil sie es aus Kindheit und Jugend im Banat schon zum Teil vergessen hatten. Und ausgelassen wurde nichts, auch wenn Nieselregen den ganzen Tag über die Schweineschlacht bei Johann Henger begleitete. In der Küche kommen zwei Sanktannaer Frauen mit Erfahrung in Sachen Schweineschlacht mit allem zurecht: Sie braten und kochen, nebenbei machen sie den Teig, backen Krapfen.

Spät am Abend spielen im Keller bei Johann Henger drei Musikanten aus dem Dorf. Etwas zu laut – nicht nur für meinen Geschmack – aber üblich für rumänische Verhältnisse. Es hat gemundet an diesem Tag beim Gastgeber aus Sanktanna. Genauso wie viele banat-schwäbische Traditionen stirbt auch das Schweineschlachten aus. Einst standen fette Schweine als Symbol des Wohlstandes, heute denken viele an ihren Cholesterinspiegel, an den Aufwand, ein Schwein zu züchten und viele Banater Schwaben geben es auch aus Altersgründen auf. Auch unter den etwa 400 verbliebenen Deutschen in Sanktanna ist es wohl nicht anders.

Über das Essen hinaus, bleibt mit der Schlacht ein Stück Tradition erhalten, zumal Johann Henger im kommenden Winter ein solches Event wiederholen will. Für alle, die gerne an dem hängen, was ihren Ahnen ihr Dasein gesichert hat, war/ist es auch ein Stückchen erlebte Heimatgeschichte.