Heiße Winternächte in der Fabrik

Es war einmal…im Banat: Im Lokal „Königin von England“

Die Musik von der „Königin von England“ grüßte sie von weitem. Sooft die Tür der Gaststube, in der die Zigeuner fiedelten, sich öffnete, riss der Luftzug einen Fetzen los von einer Tanzweise und warf ihn hinaus in die Winternacht. Hei, war da lustige Gesellschaft! Die jungen Herren vom Komitat langweilten sich auch in der Festung in der nach zehn Uhr abends keine Geige mehr singen durfte, ohne besondere Erlaubnis des Stadtkommandanten, auch sie suchten die Vorstadt auf, wenn sie sich eine fröhliche Nacht bereiten wollten. Freilich öffneten sich die Festungstore nicht vor dem nächsten Morgen, aber das war ihnen gar nichts sonderlich unangenehm. Schlafen konnte man bei Tage. Und bei der „Königin von England“ fand man doch immer das feinste, der „Pfau“ war bei weitem nicht so in Gnade bei der galanten Welt. Die Frauenhäuser der Festung, deren Bewohnerinnen das Laufen in den Gassen verboten war, öffneten sich am Abend, und die buntesten Vögel flogen aus. Sie flogen eben dorthin, wo es lustiger war. Mochte der muckerische Stadtkommandant die guten Sitten hinter seinen Wällen wahren jenseits des letzten Grabens lag die Grenze seiner Macht. Und was strömte da in der Vorstadt Fabrik nicht von jeher alles zusammen. Aus allen interessanten Völkern des Landes zog die Industrie ihre Helfer herbei, ringsum siedelten sich die Schichten, die ohne Grundbesitz waren , an; Nirgends gab es ein solches Sprachen-und Rassengemisch; Serben und Walachen, Bulgaren und Slowaken, Zigeuner, Madjaren hausten mitten in dem deutschen Bürgertum, das die Betriebe leitete. Und auch Italiener, Franzosen und Holländer waren einst hierher berufen worden, die industriellen Versuche zu fördern und in Schwung zu bringen. Da brauste freieres Blut als in der Festung, da wurden die Moralgesetze nicht so ernst genommen wie in der Stadt.,, In der Vorstadt waren die Reizungen stärker, da warf das Laster den Mantel ab, und die Nächte wurden zu Festen der Frau Venus. Diese freien Mädchen aus allen Völkern überboten einander an Reiz, an Tollheit und auch an Schamlosigkeit. Es gab da indische und paradiesische Feste, Bälle mit und ohne Kostüm. Die Zigeuner fiedelten wie wild und auf ihren Tellern tanzten die Dukaten der ungarischen Herren. Sie gaben diesen Festen eine besondere Farbe. Hier hörte man endlich den Klang der madjarischen Sprache.  So manche betrunkene Schöne musste vor die Tür gesetzt werden, wenn sie die Herrschaft über sich verlor. Dafür waren immer ein paar Hausknechte zur Hand…

Und da mitten hinein führten die beiden Begleiter aus der Festung ihren ahnungslosen „Kameraden“. Er hörte sich gern „Kamerad“ nennen von ihnen, und sie erwiesen ihm den Gefallen. Kaum stand Niembsch im Saale flog auch schon eine üppige Blonde mit hängenden Zöpfen herbei und bohrte ihre Augen in die seinen.

„Jai, de szep ember!“ Oh, was für ein schöner Mann! rief sie aus und er errötete.

Weich streifte ihn ihr voller Arm. Mit einem flinken, zärtlichen Griff ihrer Hand schreckte sie alle Urtriebe in ihm auf. Er hatte Lust, sie an sich zu reißen. Aber sie entglitt. Auch schauten zu viele Augen nach ihm. Seine beiden Begleiter lachten nur über diese freche Begrüßung, auch über den Eindruck, den diese auf Niembsch machte. Das war hier nichts Ungewöhnliches. Er hatte der Ilona gefallen, der Naive, Unverdorbene…Sie tanzte jetzt, mitten in dem Wirbel der Paare, mit einem hageren Alten vom Komitat einen Tschardasch, aber den Kopf wendete sie ständig nach dem schönen Neuling. Ja, der gefiel ihr, den wollte sie heute haben.

Aber seine Begleiter gaben ihn nicht frei. Sie zogen ihn mit sich und verschwanden alsbald im Spielzimmer. Alle Tische waren da besetzt. Hinter einzelnen Spielern standen Mädchen aus dem Saal als Zuschauerinnen und kiebitzten Patuzzi schien hier sehr bekannt zu sein: Der Aufwärter eilte dienstwillig herbei und stellte ein weiteres Tischchen auf. Er brachte Karten und Rauchzeug und Getränke und machte es der Gesellschaft bequem. Denn, dass die bis zum Morgen sitzen bleiben würden, das wusste er.

Lässig griff Niembsch nach den Karten. Es hatte ihn etwas aus dem Gleichgewicht gebracht, und er wusste nicht, was es wäre. Er war nervös. Aber er gewann. Er strich immer wieder die Einsätze ein. Sie hatten schon einige Spiele hinter sich, da strich plötzlich eine leise Hand über seine Haare hin und er wandte rasch den Kopf. Das Gesicht Ilonas strahlte ihm entgegen.

„Schäm dich, dass du so gewinnst“, sagte sie.

„Schämen?“ lachte er „Ja, warum schämen?“

„Beweis, dass du die Frauen nicht magst!“sagte sie.“Ich mag dich auch nicht. Bleib du nur bei deinen Karten!“

Und sie ging hinaus. Aber einen langen Blick warf sie ihm noch von der Tür er zu, der sein Blut wieder in Wallung brachte. Er verlor die Partie.

„Ich kann heute nicht spielen“, sagte Niembsch. “Ich will tanzen. Morgen geb ich euch Revanche…Die Zeche hier zahle ich!“