„Ich wünschte, ich wäre hier öfter im Publikum dabei“

Interview mit der Grande Dame der Bühne: Maia Morgenstern

Auf der Bühne des Doppelfestivals: „Nu sunt eu. Maia Morgenstern“ („Ich bin es nicht. Maia Morgenstern“) Foto: Adrian Piclisan

Großen Applaus hat Maia Morgenstern auch diesmal dem Publikum entrissen. Foto: Adrian Piclisan

Während des Interviews Foto: die Verfasserin

Der wohl bekannteste Name, der bei der 15. Auflage des Doppelfestivals FEST-FDR aufgetreten ist, ist der Maia Morgensterns. Diesmal hat das Publikum an einer sehr intimen Begegnung teilnehmen können: Die Vorstellung „Nu sunt eu. Maia Morgenstern“ („Ich bin es nicht. Maia Morgenstern“) geht aus Fragmenten aus der Biographie der Schauspielerin hervor. Über FEST-FDR und über einige ihrer Rollen und Zukunftspläne sprach Maia Morgenstern, Schauspielerin und Intendantin des Jüdischen Staatsheaters in Bukarest, mit der Redakteurin Ștefana Ciortea-Neamțiu.

 

Maia Morgenstern und FEST-FDR – das muss eine spezielle Beziehung, sein, da Sie schon mehrmals auf der Bühne dieses doppelten Theaterfestivals in Temeswar aufgetreten sind!

Ja, erstens bin ich sehr gern in Temeswar, in diesem Herbst war ich bereits dreimal, und das in einer sehr knappen Zeitspanne. Und die Emotionen wachsen exponentiell, je öfter ich in Temeswar bin, desto ergriffener bin ich, es ist mir umso lieber und umso wichtiger ist es mir hier zu sein. Es gibt eine gewisse Bindung. Das Publikum ist sehr anspruchsvoll, ebenso liebend wie auch kundig, feinsinnig und einladend. Vielleicht scheint es ein Widerspruch, ist es aber nicht; diese Facetten sind komplementär. Ich habe zu selten hier im Publikum gesessen, das Festival hier lädt verschiedene Vorstellungen ein, indem einige Kriterien in Betracht gezogen werden: die Qualität, die Originalität, die Faszination, die Tiefe und die Reinheit des Spiels. Es ist weniger wichtig, ob sie klassisch, modernistisch oder avantgardistisch sind, die freie Meinungsäußerung ist wichtig. Und deshalb behaupte ich, dass ich viel zu selten im Publikum bin. Ich wünschte, ich wäre hier öfter im Publikum dabei.

 

Die diesjährige Auflage des Festivals ist eine besondere. Wie mutet Ihnen das Motto „S.O.S. 2020“ zu?

Es ist so wie unser Leben und inwiefern es von uns abhängt, inwiefern wir wissen, wie wir unseren Ausgleich behalten, unseren Kompass, genau wissen, was wir wollen, was wir bereit sind, zu riskieren und was wir bereit sind, zu schützen und in welchen Fällen wir nicht bereit sind, Kompromisse einzugehen. Ich werde ein Beispiel nennen, das mich stört: Das eine drücken wir auf den sozialen Netzwerken aus und stellen uns empört dar; das andere machen wir im Alltag, da kritisieren wir uns nicht untereinander. Das sollte aber nicht so sein! Man soll Prinzipien haben, für die man steht: das Recht auf Leben, Gesundheit, Meinung. Dann soll man diese Prinzipien in allen Situationen verteidigen. Es geht um das eigene Gewissen. Man denkt sich, da muss man keine Strafe zahlen, aber es ist das Leben, das einem irgendwann einen Strafzettel verpasst. Man soll seine eigenen Überzeugungen, das eigene Gewissen nicht einengen, um in einem gewissen Kontext ein gutes Profil zu machen.

 

Wie war das Jahr 2020 für Sie? Ich meine: Das Nationaltheater Temeswar hat sein Bestes versucht, mit dem Publikum in Verbindung zu bleiben, indem Vorstellungen im Online gezeigt wurden. Viele der Personen, die sich die Vorstellungen angeschaut haben, haben im Chat über die Notwendigkeit des Theaters gesprochen, von ihrem sehnlichen Wunsch, Theater zu erleben. Wie war es für die Schauspieler?

Ich kann nicht sagen, wie es für alle Schauspieler gewesen ist, ich kann nur erzählen, wie es für mich gewesen ist, ich kann Ihnen über die Akribie, über das Ziel sprechen, das ich mir gesetzt habe, täglich, mich vorzubereiten, mich physisch vorzubereiten, auch die Entspannung gehört dazu, auch das Warten, der Moment des Schwebezustands, aber es haben die Momente der Intensität körperliche Vorbereitung, Übungen für die Stimme, künstlerische Vorbereitung usw. von Diktion bis Forschung. Ich konnte durch die Medien studieren, was in dieser Welt in den darstellenden Künsten passiert, die eigentlich der Spiegel einer Gesellschaft sind.

Sich auf dem Laufenden halten, verstehen, gegen den Degout und die Verzweiflung kämpfen und gegen das „Man-weiß-sowieso-nichts-und-warum-sollte-ich-mich-denn-aufregen“. Es geht nicht darum, sich aufzuregen, auch nicht zu erstarren, sondern sich in einen Wartezustand zu versetzen, mit sich selbst und an sich selbst zu arbeiten, mit den eigenen Methoden, Mitteln, der eigenen Kunst.

 

Die Vorstellung, in der Sie beim FEST-FDR aufgetreten sind, „Nu sunt eu. Maia Morgenstern“ („Ich bin es nicht. Maia Morgenstern“) zeigt schöne wie auch dramatische Teile Ihres Lebens auf und hat einen Schwerpunkt; das ist der Humor.

Ich hoffe es!

 

Welche Rolle spielt der Humor in Ihrem Leben?

Eine heilende, eine heilende, kauterisierende Rolle. Er ist der Rettungsring und vor allem die Selbstironie. Ich weiß, dass ich an dem Kassandra-Syndrom leide. Ich bin nicht eingebildet. Ich nehme mit dem Humor vorlieb.

 

Sie erinnern in dieser Vorstellung auch an die Rolle, die sie in Mel Gibsons Film „Die Passion Christi“ gespielt haben, die Rolle der Maria. Diese Rolle hat Ihr Image auf internationaler Ebene…

… kaputt gemacht. Vor 17 Jahren haben sie mich zerrissen, es war sehr schmerzhaft.

 

Andererseits: Es gibt viele Kritikerstimmen, die sagen, dass Sie eine sehr gute Rolle konstruiert haben. Wie sehen Sie diese Rolle heute, nach Jahren?

Ich erinnere mich mit großem Stolz, mit großer Freude, mit Nostalgie und auch mit dem Gefühl, dass ich sehr gut gearbeitet habe.  Es ist ganz einfach die Freude, eine Rolle, eine Situation, eine Geschichte konstruiert zu haben, die Idee der Mutter, der Mutter, die ihren Sohn verliert, und nicht eingreifen kann, nichts dagegen tun kann und vom immensen Leid aufgezehrt wird.

 

Welche Rolle würde Ihnen jetzt gefallen oder welche Projekte haben Sie für die Zukunft?

Ich habe fast Angst, es zu sagen. Ich werde für die künftigen Projekte sehr viel Dokumentation brauchen. Am Jüdischen Theater bieten wir zurzeit die Vorstellung „De la Caragiale la Șalom Alehem“ („Von Caragiale bis Scholem Alejchem“) an. Sie waren fast Zeitgenossen, haben sich fast auf dieselbe Zeitspanne bezogen, mit viel Humor, viel Selbstironie, sie haben die Laster der Gesellschaft und der Welt, in der sie gelebt haben erforscht. Und dann haben wir uns ein Treffen in einem Zug vorgestellt, in dem Personen aus Caragiales Werken und Personen aus Scholem Alejchems Werken einsteigen. Man hat den Eindruck, man kennt Caragiale und Scholem Alejchem sehr gut, aber es bedarf viel Dokumentation, viel Forschung, um das Stück zu inszenieren.

Um jetzt auf die Zukunftsprojekte zurückzukommen: Ich denke an einen Dialog, der Zeiten überschreitet, an einen Dialog zwischen Golda Meir und Ana Pauker. Schwierig, ich weiß! Das bedeutet viel Dokumentation, weil wir über Kontroversen sprechen, über Menschen und Persönlichkeiten, die geliebt und gehasst wurden, vor denen man Angst hatte, Persönlichkeiten, Personen, Frauen. Eine sehr gewissenhafte Forschung mit den Mitteln der darstellenden Künste fände ich interessant und mutig. Ich glaube, es bedarf viel Mut, das anzugehen.