Kaffeeklatsch: „Altes und Neues – das muss man einfach zusammenbringen!“

Vor einigen Monaten bin ich von Dresden nach Temeswar gezogen, um herauszufinden, was Heimat, Sprache und Kultur bedeuten. Ich bin auf der Suche danach, was junge Leute in Rumänien dazu bewegt, Deutsch zu lernen und sich in der deutschen Gemeinschaft zu engagieren. Bei Kaffee und Kuchen möchte ich ganz unverbindlich mit völlig unterschiedlichen Menschen ins Gespräch kommen und im Klein-Klein der Frage nachgehen, was diese Gesellschaft zusammenhält.

An einem frühlingshaften Nachmittag im Cafe Verde treffe ich Astrid Kataro. Siebzehn Jahre alt. Lenau-Schülerin der 11. Klasse der Deutschen Spezialabteilung. Und begeistert von deutscher Kultur. Vermutlich bin ich die ungeeignetste Kandidatin für dieses Thema, denn ich beherrsche weder die schwäbische Mundart noch bin ich mit regionalen Bräuchen vertraut. Astrid hat einen festen Händedruck,  moccabraunes Haar und strahlende Augen.

Kräutertee dampft vor sich hin, im Hintergrund das Murmeln von Feierabendgesprächen. Astrid ist kein Mensch, der sich hinter Teetassen versteckt.

Sie spricht fließend vier Sprachen. Ungarisch, Rumänisch, Hochdeutsch. Und schwowisch. Erstere erlernte sie in ihrem Elternhaus, das Rumänisch im Kindergarten und Hochdeutsch auf der Schule.  Ihr Großvater war es, der ihr mehr oder minder die schwäbische Tradition näherbrachte. Auf Umwegen, denn als kleines Kind wehrte sich Astrid eindringlich gegen das kulturelle Unter-die-Fittische-Nehmen. Trotzig entgegnete sie damals: „Ich spreche kein Schwäbisch!“ In der dritten Klasse begann sie zufällig mit dem Tanzen, ein Hobby, das sie mehr als alles Andere mit der schwäbischen Kultur verbindet. Später wurde ihr LehrerHansi Müller und bis heute geht sie einmal in der Woche zu der Gruppe  „Buntes Sträußchen“. Wenn sie nicht für die Banater Zeitung schreibt, beim deutschen Radio arbeitet oder an Projekte mit dem Deutschen Forum mitwirkt, tanzt Astrid. Und zwar mit vier Röcken. Dein Maximum?, frage ich. Sie schmunzelt. „Sechs. Fünf Unterröcke und ein Oberrock.“ Kleider machen Leute. Für Astrid scheint es sehr wichtig zu sein, in welchen Gewändern sie das Tanzbein schwingt. Stolz zeigt sie mir auf ihrem Handy Fotos von sich.  „Ich habe eine eigene Tracht. Nur das Tuch fehlt mir noch. Ich würde aber gern eines selber nähen.“ In der Schulzeit wohnt Astrid bei ihrer Großmutter in Temeswar, am Wochenende nimmt sie aber den Weg nach Hause auf sich - ein kleines Nest des mir unbekannten Banater Dörfergewirrs und für ein Landei wie Astrid eigener Aussage nach  Idylle und Sehnsuchtsort.

Was liebst du am meisten an dem Dorfleben? frage ich. Das Geschwätz, die Ruhe oder die Nachbarn? „Alles zusammen.“

 Ich rühre verlegen in dem Sahneberg meiner heißen Schokolade herum. Was verbindet dich mit der deutschen Kultur?, frage ich unumwunden. „Schwäbische Kultur besteht für mich aus Tanzen, Tracht und Kirchweihe. Kirchweihe ist ein sehr wichtiges Fest für uns.“

Ein bisschen Tradition. Ein bisschen Spaß. Es fällt mir schwer zu verstehen, was Astrid meint, wenn sie von „ihrer schwäbischen Kultur“ erzählt.  „Ich interessiere mich einfach für Traditionen. Das Alte und das Neue -  das muss man einfach zusammenbringen.“

Ich hake nach, was sie über Rumänien denkt.

Träume von einem anderen Leben in Deutschland. Verächtliche Seufzer über ein politisches System, das nie funktioniert hat. Resignation. Das ist die Standardreaktion, die ich erwarte.

Nix da! „Ich würde gern in München oder Heidelberg studieren. Germanistik. “ Eilig fügt sie hinzu: „Aber ich komme zurück. Meine Heimat ist das Banat. Also ich möchte schon in meinem Dorf wohnen bleiben.“

Sie scheint daran nicht zu zweifeln. Ebenso leicht geht ihr das Wort Heimat über die Lippen, ein Buchstabenmonster, das unsere Politiker regelmäßig zu Existenzkrisen treibt.

Zum Abschluss will ich wissen, was ihr liebster schwowischer Satz ist. Nach einigem Überlegen ruft sie aus: „Dann halt doch endlich deine Gusch!“

Ich folge ihrem Rat und schweige. Was bedeutet deutsche Kultur in Temeswar? Auf diese Frage habe ich keine Antwort gefunden, nicht für mich, aber wie auch immer sie aussehen mag - Astrid scheint überzeugt zu sein.  Schließlich sind junge, engagierte Leute, die sich für die kulturelle Vielfalt einzusetzen, genau das, was Rumänien braucht.

Ich habe das Gefühl, das Astrid ihre Heimat sehr liebt und wer bin ich, ihr vorzuschreiben, wie diese Heimat auszusehen hat?