KOMMENTAR: Kampf der Kulturen

Die Antwort des Mahoud Wad Achmed, des besiegten Führers der sudanesischen Stämme, die er 1896 Lord Herbert Kitchener gab, dem Eroberer des Sudan, gehört zu einer der afrikanischen Geschichtslegenden. Von seinen englischen Richtern gefragt, weshalb er in dieses Land gekommen sei und es verwüstete – eine Umkehrung der Realitäten... – antwortete der sudanesische Mohammedaner: „Ja, meine lieben Herren, ich bin wie ein Eindringling in eure Häuser gekommen: ich bin der Tropfen Gift, den ihr in die Venen der Geschichte eingespritzt habt.“

Auch daran sollte man denken, wenn man sich überlegt, was die Invasion der Islamisten mit dem Europa der „Kreuzzügler“ in den kommenden Jahrzehnten anrichten kann. Um sich auf diesen kulturellen Schock vorzubereiten, müsste jeder Europäer nicht nur alle Geschichten von 1001 Nacht neu und bewusst, also kritisch, lesen – tausende Buchseiten, garantiert keine Märchenlektüre, nie ein Zeitverlust – aber auch einige Bücher arabischer Literatur, die ab 1960 veröffentlicht wurden. Dazu gehört die monumentale Replik auf Shakespeares „Othello“ – populärstes Shakespeare-Stück in der arabischen Welt – der Roman des Sudanesen Tayeb Salih „Jahreszeit der Migration in den Norden“/Season of the Migration to the Nord (1968), aber auch der 1960 erschienene Roman „Atallah“ (eine arabische Lesart für „Othello“) von Mahmoud Isma`il Jad Quina, „Lina“ (1982) von Samar Attar, das im selben Jahr erschienene  „Geheime Leben des Sa´eed“ von Emile Habiby, „Der Hofnarr“ (1973) von Muhammad Maghut, das 2015 erschienene „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ Salman Rushdies (wer nachrechnet: das sind 1001 Nächte...), in hohem Maß auch die Bücher von Elif Shafak.

Wer eine Ahnung hat von der arabischen Literatur – noch einmal: „1001 Nacht“ ist Pflichtlektüre!, zusätzliches ist Bildung – musste nach den Kölner Ereignissen in der Silvesternacht dran denken, was diese Literatur, ehrlich und offen, einem ins Gesicht schleudert: verbissene Frustration der Nachfahren mit Brutalität Kolonisierter und Verweigerung des durch Verzeihen „Zivilisiertwerdens“. Ein Leitmotiv der guten Bücher aus dem arabischen Raum ist der definitive Heimatverlust derjenigen, die längere Zeit fern des gewohnten arabisch-islamistischen Umfelds in europäisch „zivilisierten“ Räumen leben, also Entfremdung. Eine Schutzreaktion ist die Verweigerung der Anpassung... „Integrationskurse“ wirken vielleicht altersbegrenzt, nicht aber ab einem bestimmten Alter! Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sagte in einem „Spiegel“-Gespräch: „Wir müssen etwas Verbindendes suchen zwischen den Menschen. Und wir müssen realisieren, dass wir eine alternde Gesellschaft sind und Zuwanderer auch eine große Chance bedeuten.“ Für wen?

Gift in den Venen der Geschichte fließt auf beiden Seiten. Machen wir uns nichts vor: Wir erleben den Kampf der Kulturen, keine Inter- oder Plurikulturalität. „Wenn wir Lügen leben, dann aus Selbstbelügung“, schreibt Tayeb Salih.